Man lässt keine Mädchen weinen

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Erst mitten in einem Wald hielt er. „Absteigen." Ich folgte und zog stumm den Helm aus. Mein Blick lag auf dem matschigen Boden. Er nahm mir den Helm ab und legte seine Hand unter mein Kinn. „Alles in Ordnung?" Ich schüttelte den Kopf. Er lächelte leicht:"Okay die Frage hätte ich mir eigentlich sparen können." Er nahm meine Hand und ging mit mir auf einen kleinen Berg. Immer wieder half er mir über größere Steine oder wenn es für mich zu steil wurde.

Oben angekommen setzte er sich ins Gras. „Komm setz dich. Du siehst immer noch so aus als würdest du gleich umkippen.", lächelte er und legte seine Lederjacke neben sich. Ich setzte mich umständlich darauf und sah gerade aus über den Wald. Ich zog mein rechtes Bein an und legte meine Arme darum.

Wir schwiegen lange bis ich zu ihm sah. „Was soll ich machen?" Überrascht, dass ich wieder redete sah er kurz zu mir, als hätte er vergessen, dass ich überhaupt da bin. „Was meinst du?" „Wegen Mom und Kiahn. Soll ich es meinem Vater sagen oder nicht. Wie kann ich ihr jemals wieder in die Augen sehen? Ich will nicht mehr nach Hause. Ich will da nicht mehr zurück. Bei meiner einzigen Chance da raus zu kommen hab ich versagt.", ich lehnte meine Stirn an mein Bein und versuchte nicht zu heulen. Athan legte seine Arme um mich. „Wie konnte ich das nicht bemerken? Sie ist meine Mutter und er mein bester Freund. Oder war. Gott ich könnte einfach nur kotzen.", ich schluchzte auf und Tränen liefen meine Wangen runter. „Du kannst bei mir bleiben bis deine Mutter wieder weg ist.", sagte er nach kurzem zögern. Ich sah mit verheultem Gesicht zu ihm:"Warum bist du so nett zu mir? Du müsstest nicht mit mir hier sitzen und dir das ganze Geheule und das Drama antun." „Willst du, dass ich geh?", lächelte er schief. „Nein.", murmelte ich und sah wieder über den Wald.

Wieder wurde es still zwischen uns. Athan hatte sich inzwischen auf seine Arme abgestützt und sah ebenfalls über die Bäume. „Ey Cami?" „Mh?" „Ich hab dir von Anfang an gesagt dass Kiahn ein Arsch ist.", grinste er. Ich brachte kurz ein Lächeln zustande:"Du hattest recht." „Ich hab immer recht." „Dann kannst du mir ja sagen was ich machen soll." „Dein Vater hat ein Recht darauf es zu erfahren. Wenn dein Freund dich betrügt, würdest du es dann nicht wissen wollen?", sagte er langsam. „Doch. Aber wie? Hey Dad. Wie war die Reise? Ach ja. Ich hab Mom und Kiahn in der Küche beim ficken erwischt." „Vielleicht nicht ganz so direkt."

Seufzend schloss ich meine Augen. „Ich hab Kopfschmerzen." „Dann hör auf zu weinen." „Meine Eltern werden sich wohl in naher Zukunft trennen. Darf ich da nicht heulen?" „Was bringt es dir, wenn du dir dabei nur selbst weh tust?" Auf diese Frage hatte ich keine Antwort.

Ich wischte mir über die Augen und sah wieder zu ihm. „Danke. Das müsstest du alles nicht tun." „Doch müsste ich. Meine Mutter hat mir beigebracht, dass man keine Mädchen weinen lässt." Verwundert sah ich zu ihm. „Schau nicht so. Auch ich hab positive Werte in mir.", meinte er augenrollend. „Mir ist nur gerade aufgefallen, dass in der Schule noch kein Mädchen wegen dir geweint hat.", murmelte ich. „Das überlass ich meinen Freunden. Ich hab kein Interesse daran irgendwelche Cheerleaderinnen ins Bett zu bekommen oder irgendeine zu erobern. Zu viel Arbeit. Und ich seh keinen Sinn dahinter." „Sag mal du bist aber keine Jungfrau mehr oder?" Er begann zu lachen und fuhr mir durch die Haare:"Du hast heute deine Mutter mit Brooke gesehen und fragst ob ich Jungfrau bin? Ich hab auch meinen Spaß, nur schau ich dass die andere Person dasselbe will wie ich und auf keine Beziehung aus ist."

Ich schmollte leicht und sah in den Sonnenuntergang, als mein Magen knurrte. „Hat das Prinzeschen etwa hunger?", grinste er mich an. „Ich hatte den kompletten Tag noch nichts. Und um ehrlich zu sein hab ich nicht Mal wirklich Lust auf essen." „Leider ist das ein menschliches Bedürfnis. Und wenn du nichts isst, dann ich." Er stand auf und half mir hoch.

Ich biss auf meine Lippe und zögerte. „Spucks aus oder deine Lippe blutet bald.", sagte er abwesend und zog seine Jacke wieder an. „Kann ich vielleicht wirklich für ein oder zwei Nächte bei dir bleiben? Oder du bei mir? Ich will weder meiner Mutter noch Kiahn alleine gegenüber stehen." „Was ist dir lieber, eine alte abgelegene Couch oder dein riesiges, weiches Bett." „Ich würde auch im Dreck schlafen solang ich nicht allein wäre.", murmelte ich. „Dann würde ich vorschlagen du bleibst die erste Zeit bei mir. Und wenn dein Dad kommt schlafen wir bei dir." Ich nickte und sagte erleichtert:"Danke. Ich weiß das wirklich zu schätzen." „Freu dich nicht zu früh. Mein Zuhause ist das genaue Gegenteil von deinem." „Egal."

Wir begannen wieder den Berg runter zu laufen. Erschrocken schrie ich auf als ich einen kleinen Abhang abrutschte. Doch nur einen Moment später hatte Athan meinen Arm ergriffen und zog mich wieder hoch. „Okay dein Leben ist jetzt nicht wirklich geil, aber dich deswegen gleich umbringen? Sei vorsichtiger Prinzeschen." Immer noch erschrocken sah ich den Abhang runter. „Ich geh zuerst und schau, dass du nicht runter fällst.", er ließ meine Hand los und kletterte schnell runter. „Okay du bist dran." Leicht zitternd begann ich runter zu klettern. Ich rutschte gefühlt tausendmal ab.

„Stoß dich von der Wand ab und lass dich fallen. Der untere Teil wird zu schwer für dich sein.", meinte er. Ich sah nach unten:"Spinnst du? Das sind locker 3 Meter." „Ich fang dich schon auf.", lachte er. Ich schüttelte den Kopf und wollte weiter runter klettern, als ich wieder abrutschte und keinen Halt mehr fand. Ich begann zu schreien, aber der harte Aufprall kam nicht. Langsam öffnete ich meine Augen. „Ich hab doch gesagt ich fang dich.", grinste Athan und ließ mich runter. Ich krallte mich mit der einen Hand an seiner Schulter fest während ich die andere gegen mein Herz presste. Es klopfte eindeutig viel zu schnell. „Hey beruhig dich. Ist ja gut gegangen." „Ich hab mein Leben an mir vorbei ziehen sehen!" Er grinste:"Aber es hat dich abgelenkt." Ich starrte ihn an, ehe ich einfach nur meinen Kopf schüttelte und weiter ging.

Die Sonne war inzwischen unter gegangen. Wir saßen in einem Imbiss und aßen. „Sollen wir eigentlich nochmal bei dir vorbei? Wegen Klamotten, Schulzeug und all das.", fragte er kauend. „Mach den Mund leer bevor du sprichst.", murrte ich leicht angewidert. Er rollte mit den Augen, schluckte und sagte dann:"Also?" „Wenns geht.", murmelte ich. „Klar. Muss ich dir schon nichts von mir abgeben." Ich trank von meiner Cola und nickte dann.

Vom Arschloch zum SchatzWo Geschichten leben. Entdecke jetzt