"Du spielst mit mir"

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Es wunderte Noriko eigentlich gar nicht mehr, als sie plötzlich mitten in der Nacht geweckt wurde. Wieder war es Kous Knie, das sich ihr den Rücken bohrte und langsam drehte sie sich zu ihm herum, wartete, bis sie sein Gesicht in der Dunkelheit erkennen konnte.
Wieder waren die Hände an seiner Brust zu Fäusten geballt, seine Augenbrauen zogen sich schmerzerfüllt zusammen und seine Mundwinkel zuckten, seine Kiefer waren fest aufeinandergepresst. Mit einem Mal ging ein weiterer Ruck durch seinen Körper und er biss sich im Schlaf auf die Unterlippe, Noriko sah, wie sich seine Eckzähne in das weiche Fleisch bohrten, und ein Blutfaden lief ihm das Kinn hinunter.
Noriko schluckte, dann entschied sie sich, dass es wohl nichts half, zu warten. „Hey, Kou-kun", flüsterte sie leise und legte eine Hand auf seine Wange, ihre Finger fuhren in sein blondes Haar und ihr Griff verstärkte sich. „Kou-kun ... wach' auf." Sie wich zurück, als Kou merklich zusammenzuckte, dann griff sie nach seiner Hand und drückte sie sanft.
Da schlug Kou die Augen auf und mit seinem Erwachen verschwand auch diese krampfhafte Anspannung, die von seinem Körper Besitz ergriffen hatte. Stattdessen lief nun ein leichtes Zittern durch seine Glieder und er sah verwundert zu Noriko. „Noriko ...-chan?", wisperte er leise und schien erst realisieren zu müssen, wo er sich befand. Dann setzte er sich langsam auf, zog die Beine an seinen Körper, schlang die Arme darum und starrte mit seltsam leerem Blick auf die Bettdecke. Dann hob er die Hand an seine zerbissenen Lippen und er wischte das Blut weg, er tat es schnell und fahrig, so als schäme er sich dafür.
„Ist ... ist alles in Ordnung?", wollte Noriko leise wissen. Dann wandte sie kurz den Blick ab. Dumme Frage!, schimpfte sie sich gleich darauf im Stillen. Das sind keine normalen Albträume. Er leidet darunter, Nacht für Nacht.
„J-ja", nickte Kou jedoch nur verlegen und presste die Bettdecke an sich.
Er sieht so zerbrechlich aus, dachte Noriko mitleidig. Dass er vor mir jemals so viel Schwäche zeigen würde ... Sie wollte eine Hand auf seine Schulter legen, doch dann dachte sie daran, wie er vor ihr zurückgezuckt war und so ließ sie es bleiben. „Wovon hast du geträumt, Kou-kun?", fragte sie leise.
Kou seufzte, fuhr sich kurz mit einer Hand durch die Haare und sah Noriko dann aus dunkel umschatteten Augen an, seine Hand grub sich in die Bettdecke, die über seinen Knien lag. „Ruki-kun, Yuma-kun, Azusa-kun", sagte er leise, leidend. „Brennendes Eisen und Peitschenhiebe." Er sagte es so niedergeschlagen, so schrecklich mutlos, dass Norikos Bedürfnis, ihn in den Arm zu nehmen, schier übermächtig wurde.
Schließlich gab sie diesem Drang nach und schlang einfach ihre Arme um seinen Hals, schmiegte sich an ihn, hoffte, dass die Wärme ihres Körpers helfen würde, die bösen Erinnerungen zu vertreiben. Auch wenn das vermutlich eine naive Hoffnung war. Sie spürte, wie er sich von einem Moment auf den anderen versteifte, doch er wich nicht zurück.
„Es tut mir weh, wie sehr du leidest, Kou-kun", sagte Noriko einfach, was ihr gerade durch den Kopf ging, und sie strich sanft durch Kous blonde Locken. „Ich habe nur eine Frage ... es ist doch vorbei, oder nicht? Also ... ihr seid doch jetzt in Sicherheit, oder nicht? Du und deine Brüder, ihr werdet nicht mehr gequält, oder?" Wer konnte das schon so genau wissen?
„ ... Nein", sagte Kou schließlich mit belegter Stimme und sie spürte seine kalten Hände, die sich beinahe zögerlich auf ihren Rücken legten. „Es sind nur ..." Kurz vergrub er sein Gesicht an ihrer Halsbeuge, ehe er weitersprach. „ ... nur Träume."
„Das ist ... gut", sagte Noriko leise. „Also ... es ist trotzdem furchtbar, wie sehr du noch immer leidest, aber vielleicht lassen sich böse Träume vertreiben. Grausame Menschen sind schwieriger zu besiegen, deswegen." Sie lockerte ihre Umarmung und sah Kou ins Gesicht, in diese unglaublich schönen blauen Augen, die sonst immer strahlten, nun jedoch gefüllt waren mit Schmerz. „Kann ich dir denn gar nicht helfen, Kou-kun?", wollte sie leise wissen. „Gibt es denn nichts, womit ich diese schlechten Träume vertreiben könnte?"
Es überraschte sie, als sich plötzlich, all seiner vorangegangenen Worte zum Trotz, ein schelmisches Grinsen auf Kous Gesicht stahl. „Na ja, Noriko-chan", meinte er dann leichthin. „Ich muss schon sagen, es gefällt mir, wenn du dich so an mich presst."
Da wurde Noriko plötzlich mit einem Schlag bewusst, dass sie beide noch immer vollkommen nackt waren. Doch der Schreck währte nur kurz, so kurz, dass sie nicht einmal zurückwich, es wäre ja auch ziemlich albern gewesen, sich jetzt noch zu zieren, wo es doch schon gar nichts mehr gab, das er noch nicht gesehen hätte.
Ein Gedanke, der Noriko bei genauerer Überlegung seltsam unwirklich vorkam, wie ein Traum. Aber ... ein schöner Traum. Sie beide ... hatten tatsächlich miteinander geschlafen? Sie spürte eine wohlbekannte Wärme in ihrem Inneren, als sie an den vergangenen Abend dachte, diese unvergessliche, leidenschaftliche Nacht.
„Tch", machte sie nun jedoch theatralisch und verschränkte die Arme vor ihrer entblößten Brust, wandte betont eingeschnappt den Blick zur Seite. „Da mache ich mir wirklich ernsthaft Sorgen um dich und du denkst nur an das eine. Typisch."
Kou kicherte leise, dann plötzlich warf er sie nach hinten um, woraufhin ihr ein vergnügtes Glucksen entfuhr, und er ließ sich halb über ihrem Oberkörper nieder, machte kurz vor ihren Lippen Halt. „Das eine und das andere ließe sich sehr gut verbinden, Noriko-chan", hauchte er, von Angst und Schmerz war in seinen Augen nichts mehr zu erkennen.
Als Noriko das sah, lächelte sie glücklich und strich langsam durch Kous weiche Haare. „Wenn du meinst", erwiderte sie dann leise und nahm den sanften Kuss, den er ihr daraufhin schenkte, willig an. Wenn ich ihm helfen kann, will ich alles tun.
Es war ein langsamer Kuss, und er war so leidenschaftlich, dass ihnen bald darauf vereinzelte Seufzer über die Lippen kamen, wann immer sie die sensiblen Punkte des jeweils anderen trafen und reizten, es war ein langer Kuss, eine einzige Symphonie.
Schließlich löste Kou sich kurz von Noriko, der Daumen seiner rechten Hand streichelte behutsam über ihr Schlüsselbein. „Von nun an träume ich nur noch von dir, Noriko-chan", hauchte er dann leise und setzte den Kuss liebevoll fort.
Als Noriko mit der Zunge sanft über seine noch immer leicht von Blut befleckten Lippen strich, seufzte Kou verlangend auf und machte Anstalten, erneut auf Noriko zu klettern, doch da löste sie sich von ihm. „Kou-kun", sagte sie. „Es ist mitten in der Nacht ..."
„Egal", keuchte Kou und küsste Noriko noch einmal.
„Kou-kun, bitte", sagte sie und schob ihn sanft von sich. „Ich bin müde ... Du bekommst alles, was du willst, aber bitte, lass' uns noch ein bisschen schlafen, ja?"
Kou, der zuvor noch ziemlich enttäuscht dreingeschaut hatte, hob nun hellhörig den Kopf und ließ sich wieder neben Noriko sinken. „Alles, was ich will?", fragte er dann mit einem lauernden Unterton und seine Augen blitzten schelmisch auf.
Noriko schmunzelte. „Wenn es mich nicht umbringt", fügte sie vorsichtshalber hinzu und drehte sich nun auf die Seite, stützte den Kopf auf ihrer Hand auf. „Du ... hast doch neulich etwas von einem Bad gesagt ...", meinte sie unschuldig und begann, verworrene Muster auf Kous Brust zu zeichnen. Sie grinste, als sich bei ihm eine Gänsehaut bildete.
Abrupt wandte Kou ihr das Gesicht zu und lachte leise. „Was für eine lüsterne kleine Neko-chan da doch neben mir liegt", meinte er amüsiert, richtete sich ein wenig auf und legte seine Lippen auf ihren Hals, woraufhin sie sich wieder in ihr Kissen sinken ließ.
„Nur für dich", wisperte Noriko leise und schloss glücklich die Augen.
Kou gluckste vergnügt und ließ nun wieder von ihr ab. „Also gut", sagte er und zog die Bettdecke wieder über ihre beiden Körper. „Dann schlaf' gut, Neko-chan."
„Du auch, Kou-kun", sagte Noriko leise. „Und ... versuch' ..." Sie stockte für einen Moment, rang mit sich selbst. „Versuch', an etwas Schönes zu denken", meinte sie schließlich, obwohl sie natürlich wusste, dass das leichter gesagt war als getan.
Kou unterdessen schien diese geradezu kindlich-naive Bitte zu amüsieren. „Ich versuche es, Noriko-chan ... Ich denke einfach an unser Bad." Er kicherte.
Noriko schnaubte. „Wer ist hier bitte lüstern?", flüsterte sie empört.
„Shh", machte Kou daraufhin nur und legte ihr einen Finger an die Lippen.
„Tch", erwiderte Noriko belustigt und schloss endlich die Augen. Und es fiel ihr schwer, jetzt wieder einzuschlafen, sehr schwer. Und vermutlich ging es Kou dabei nicht anders.
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Sedutive ScentWhere stories live. Discover now