Der Plan - und wie er scheiterte

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Sie hatten den ganzen Sonntag damit zugebracht, ihren Kater auszukurieren, und am Montag wartete schon wieder die Schule auf Harumi und ihre Freundinnen.
Mittlerweile hatten sich die Wogen von Harumis Gemüt jedoch wieder geglättet. Das war alles nur wegen des Alkohols, sagte sie sich immer wieder, als versuche sie, es sich selbst einzureden. Es ist gut, dass ich Kamui los bin ... Er ist mir sowieso immer nur auf die Nerven gegangen ... Eigentlich war ich doch total unglücklich. Das sollte ich selbst doch am besten wissen ...
Dennoch war es schwer, eine derartige Zurückweisung zu verkraften und dass Harumi sich darüber ärgerte, dass ihr eben das so schwer fiel, machte die Umstände auch nicht besser. Es war ein richtiger Teufelskreis und sie wusste einfach nicht, wie sie ihm entkommen sollte.
Die Geschehnisse von vor gerade mal einer Woche nagten noch immer sehr an ihr.
Ihr Exfreund hatte nicht einmal richtig mit ihr Schluss gemacht, er hatte sich lediglich nicht mehr gemeldet, war nicht mehr an sein Handy gegangen, hatte auf keine von Harumis Nachrichten geantwortet. Und dann war Harumi zusammen mit Asuka und Mayumi Zeugin geworden, wie er seine neue Flamme auf dem Schulhof geküsst hatte. Kein einfacher, unschuldiger Kuss, sondern eine richtige, heiße Knutscherei.
Harumi wusste selbst nicht so genau, was sie bei dem Gedanken daran empfinden sollte. Trauer? Wut? Ungläubigkeit? ... Eigentlich ... fühlte sie sich wie betäubt ... Und sie hatte das Gefühl, dass es zwischen ihr und Kamui niemals so leidenschaftlich gewesen war ...
Es war keinesfalls so abgelaufen wie in einem dieser dramatischen Jugendfilme, sie hatte nicht einfach auf dem Absatz kehrt gemacht und war tränenblind davongelaufen. Das wäre dumm gewesen, denn egal, wie eindeutig es auch ausgesehen haben mochte, sich wortlos abzuwenden und die Situation ohne Fragen hinzunehmen, war niemals eine gute Idee.
Genau genommen ... hatte sie sich in diesem Moment gar nicht von der Stelle rühren können vor Unglauben. Diese Szene hatte sich in ihr Hirn eingebrannt wie glühendes Eisen, sie war ein Tritt ins Herz gewesen, und auch ihre Freundinnen waren geschockt gewesen.
Doch dann, nachdem sie sich wieder gefangen hatte, war Harumi zusammen mit ihren Freundinnen auf Kamui zugegangen und hatte gewartet, bis er sie bemerkte - und dann hatte Harumi sich gewünscht, sie wäre doch einfach davongelaufen.
Er hatte sich nur zu ihr umgewandt, sie angelächelt und gemeint, dass er etwas Besseres gefunden habe als sie und dass er Harumi nun nicht mehr brauchen würde. Sein selbstgefälliges Lächeln, das Lächeln dieses anderen, Harumi fremden Mädchens ...
Es ging immer alles nur nach Kamuis Kopf, erinnerte Harumi sich und seufzte schwer. Er hat mich ausgenutzt und ich habe es nicht einmal bemerkt ... Sie erinnerte sich an den vergangenen Samstag, diesen furchtbaren Reinfall von einem Mädelsabend, an dem sie Kamui doch noch hinterhergetrauert hatte, obwohl sie gedacht hatte, besser dran zu sein ohne ihn. Aber wie sie es auch drehte und wendete ... er hatte sie verletzt, das war nicht zu leugnen. Er ist ein kaltblütiger Mistkerl, dachte Harumi verbittert. Warum nur habe ich das so lange einfach nicht erkannt? Bin ich denn wirklich so blind?
„Haru? Hey, Haru!"
„Hm?", machte Harumi überrascht und hob den Kopf.
„Grübelst du etwa immer noch über die Sache mit Kamui?", wollte Asuka wissen und seufzte, fuhr sich mit einer Hand durch die golden schimmernde Mähne. „Meine Güte ..."
„Lass' sie, sowas braucht Zeit", meinte Mayumi beschwichtigend.
Harumi seufzte. „Eigentlich ... ist Kamui mir total egal ...", meinte sie leise und sah aus dem Fenster. „Ich ärgere mich nur darüber ... dass ich so lange so blind gewesen bin ..."
„Ja, das ist allerdings besorgniserregend", kommentierte Mayumi nüchtern und stemmte eine Hand in die Hüfte. „Aber hey ... Haru-chan ... du siehst unglaublich gut aus. Sobald sich rumgesprochen hat, dass du wieder Single bist, werden die Jungs Schlange stehen bei dir."
Harumi lächelte, als sie diese Worte hörte. „Danke, Mayumi", sagte sie leise.
„Oh Mann, Kamui hat dich echt kaputtgemacht", seufzte Asuka theatralisch. „Du warst mal viel selbstsicherer, Haru-chan. Weißt du noch, als du dich auf der Mittelschule an Jun rangemacht hast? Dem Trottel sind fast die Augen rausgefallen, weil du so umwerfend warst. Generell ... Du warst der Hingucker überhaupt. Du musst unbedingt dein Selbstvertrauen zurückgewinnen. Kamui hat dich total verändert."
Harumis Lächeln wurde ein wenig breiter, als sie an diese Zeiten zurückdachte. Ja, sie hatte sich niemals geziert oder für irgendetwas geschämt, Schüchternheit war keine Eigenschaft, die ihr Wesen besonders prägte. Das hieß nicht, dass sie sich gern zum Affen machte - nein, wie ihre Freundinnen verstand sie es, stets einen Auftritt hinzulegen, der garantiert Eindruck hinterließ - einen guten Eindruck. Ja, das waren gute Zeiten gewesen. „Was schlägst du denn vor?", wollte Harumi darum nun verschmitzt wissen.
„Oh Gott, du kannst Asuka doch nicht bei sowas um Rat bitten", meinte Mayumi bloß und stützte die Stirn gegen ihre Handfläche. „Ich ahne Schlimmes."
„Hm", machte Asuka nachdenklich und überhörte den Einwurf ihrer Freundin geflissentlich, dann hellte sich ihr Gesicht schlagartig auf. „Was hältst du davon, wenn du dir jetzt mal jemanden angelst? Nur für eine Nacht oder so. Du bist echt eine Granate, Haru-chan, der Typ, der auf dich nicht anspringt, ist entweder blind oder schwul."
Sie brachte es so trocken hervor, dass Harumi einfach lachen musste. „Okay, wenn du das sagst", meinte sie dann amüsiert und sie spürte, wie gut ihr das Lachen tat.
„Oh je", stöhnte Mayumi nur. „Harumi, hör' nicht auf sie. Asuka hat keine Ahnung von solchen Dingen", neckte die Brünette ihre Freundin dann.
„Entschuldige mal!", rief Asuka auch sogleich empört aus. „Was schlägst du denn vor?"
„Ich empfehle Haru-chan eine Pause", erklärte Mayumi ernst. „Ich glaube, sie hatte im vergangenen Jahr genug Probleme." Sie sah zu Harumi. „Nimm dir eine Auszeit, es ist ja nicht so, als müsstest du um den letzten Kerl auf Erden buhlen."
Da hat sie Recht, stimmte Harumi ihr gedanklich zu.
„Es wird keine Probleme geben", behauptete Asuka jedoch entschieden. „Ich spreche ja nicht von einer Beziehung, sondern nur von einem One Night Stand."
„Hm", machte Mayumi nur, wenig überzeugt. „Jungs bedeuten immer Probleme."
Harumi kicherte. „Lass' das Kenji nicht hören", feixte sie.
Mayumi grinste bloß. „Ich hatte schon mehr Beziehungen, als für eine Achtzehnjährige angemessen sind, glaub' mir, Schätzchen. Kenji ist nicht der einzige Kerl in meinem Leben."
„Auch das solltest du ihn besser nicht hören lassen", warf plötzlich Chiyo dazwischen, die eben zu ihnen gestoßen war. „Ich hoffe doch, dass dieser Satz, den ich eben aufgeschnappt habe, im Kontext ein bisschen weniger unsittlich klingt."
„Tut er, tut er", meinte Mayumi beruhigend und tätschelte ihrer jüngeren Freundin den Kopf. „Also, gehen wir?", fragte sie dann ihre Freundinnen und schulterte ihre Tasche.
„Hey, Haru, was ist jetzt? Willst du's nicht mal probieren?", fragte Asuka.
„Was probieren?", wollte Chiyo neugierig wissen.
„Etwas ganz Dummes", meinte Mayumi trocken.
Asuka warf ihr einen gefährlich finsteren Blick zu.
Harumi lachte. „Mädels, jetzt kommt mal wieder runter", sagte sie dann. „Es ist nicht nötig, dass ihr euch meinetwegen angiftet, okay?" Sie lächelte und sah noch einmal aus dem Fenster, ließ sich Asukas Vorschlag noch einmal durch den Kopf gehen. Einfach mal Spaß haben, für eine Nacht oder so ... Die Gewissheit haben, dass ich attraktiv bin und dass Kamui mich nicht weggeworfen hat, weil ich langweilig bin ... Harumi grinste. „Jep, ich werd's ausprobieren", sagte sie entschlossen und nickte.
„Was denn?", fragte Chiyo noch einmal ein wenig ratlos.
Asuka zwinkerte dem Mädchen verschmitzt zu. „Haru angelt sich einen Kerl, den sie dann genauso hängenlässt wie Kamui sie", erklärte sie, die Stimme verschwörerisch gesenkt.
„Hey", meinte Harumi nun alarmiert. „Ich bin kein Arschloch wie Kamui, Asuka. Ich such' mir natürlich jemanden, der damit genauso wenig ein Problem hat wie ich."
Beleidigt schürzte Asuka die Lippen. „Wenn du meinst ..."
Mayumi lachte. „Okay ... dann lass' uns mal auf die Pirsch gehen", sagte sie und reckte den Hals. „Ich halte für dich Ausschau, okay, Zwerglein?"
„Hey!", rief Harumi lachend aus und boxte Mayumi in die Seite.
„Einer von unserer Schule?", fragte Chiyo nun. „Ist das nicht irgendwie ... ungünstig?"
„Warum? Wenn's einvernehmlich ist und jeder seinen Spaß hat ..." Asuka zuckte mit den Schultern. „Ist doch egal, ob man den Typen nochmal wiedersieht ..."
„Umso besser eigentlich, wenn man nochmal Bock hat", scherzte Mayumi.
„Oh Mann, ihr beiden ...", seufzte Harumi und schüttelte den Kopf, doch insgeheim freute sie sich unglaublich über die Anteilnahme ihrer Freundinnen.
„In unserer Parallelklasse sind einige süße Typen", meinte Mayumi nun und blieb stehen, hielt Harumi am Ärmel fest und warf einen Blick zu den Fenstern, an denen sich fünf verschiedene Schülergruppen aufhielten. „Da, schau' mal, ganz rechts."
„Hm, nee", meinte Harumi sofort, als sie weiche, beinahe kindliche Gesichtszüge sah, umrahmt von dickem schwarzem Haar. „Der sieht aus wie ein Weichei."
„Immerhin kein Prolet wie Kamui, oder?", fragte Chiyo nachdenklich.
„Ja, aber ... So einer hat wahrscheinlich gar keine Ahnung, was er überhaupt machen muss", witzelte Asuka und ließ ihren Blick weiter schweifen. „Hey", wisperte sie dann und stieß Harumi plötzlich ihren Ellenbogen in die Seite, sodass es schmerzte.
„Au!", beschwerte Harumi sich empört.
„Da, siehst du den da? Den Blonden?", fragte Asuka begeistert und kicherte.
Harumi sah sofort, wen ihre Freundin meinte. Untypisch helles, leicht gelocktes Haar und strahlend blaue Augen, gepaart mit einem charakteristischen Lächeln und einer lebensbejahenden Ausstrahlung. Als Harumi das sah, schenkte sie Asuka lediglich einen entnervten Blick. „Kou Mukami?", fragte sie. „Ist das dein Ernst?"
„Hast Recht. Wenn du den abschleppst, bin ich wirklich todeseifersüchtig auf dich", meinte die Blonde nachdenklich und nickte. „Aber an sich ... vom Typ her?"
„Hm ... nein, eigentlich gar nicht", wehrte Harumi ab.
„Und außerdem ist er vergeben", merkte Mayumi da seelenruhig an und lehnte sich an die Wand. „An ein Mädchen aus dem ersten Jahr. Das weiß doch mittlerweile echt jeder."
„Wenn man vom Teufel spricht", grinste Harumi, als sich ein dunkelhaariges Mädchen aus den Schülermengen löste, auf die Gruppe, die sich um den Blonden scharte, zuging und von dem blonden Idol sofort liebevoll geküsst wurde.
„Die ist doch jetzt echt nichts Besonderes", meinte Asuka schmollend und verschränkte die Arme vor der Brust, betrachtete dabei betont desinteressiert ihre Fingernägel.
„Na, bist du neidisch?", neckte Harumi die Blonde.
„Darauf kannst du Gift nehmen", grollte Asuka und starrte finster zu den beiden hinüber. „Die Kleine hat sich immerhin den Mädchenschwarm der ganzen Schule geangelt."
Harumi lachte leise. „Oha."
„Hey, wir sind nicht deinetwegen hier, Asuka", ermahnte Mayumi ihre Freundin. Sie legte Harumi eine Hand auf die Schulter und deutete dann an ihr vorbei. „Was ist mit den anderen beiden da?"
„Oh Mann, der Schwarzhaarige sieht süß aus", murmelte Chiyo leise.
„Der Große?", fragte Asuka. „Hm ... ja ... schon ..."
„Der andere ist heißer", meinte Harumi da plötzlich aus einer Eingebung heraus.
„Huh?", machten ihre Freundinnen überrascht im Chor.
„Der mit den braunen Haaren. Der Größte", präzisierte Harumi und lächelte.
„Oha, Haru hat ihr Objekt der Begierde ausgemacht", kicherte Asuka.
„Aber hallo", sagte Harumi und lachte, dann nickte sie entschlossen. „Den schnapp' ich mir."
Sie alle sahen auf, als Mayumi plötzlich zu lachen begann, so laut, dass sogar einige der umstehenden Schüler ihnen verwunderte Blicke zuwarfen.
„Was ist denn jetzt mit dir kaputt?", wollte Asuka verdattert wissen.
Mayumi hielt sich eine Hand vor den Mund und atmete dann tief durch. „Ich musste nur grade daran denken, wie es aussehen wird, wenn du vor dem Typen stehst, Haru-chan."
Harumi zog nur fragend eine Augenbraue nach oben.
„Schätzchen, der ist doch eindeutig größer als die meisten hier. Sicherlich an die zwei Meter", erklärte Mayumi. „Glaubst du, dass der einen Zwerg wie dich überhaupt bemerkt?"
„Hey!", rief Harumi aus und boxte ihre Freundin noch einmal in die Seite.
Nun kicherte auch Asuka. „Gott, ich wünschte, ich wäre da dabei ..."
„Ich nicht", knurrte Harumi und verlagerte das Gewicht der Tasche auf ihrer Schulter. „Okay, lasst uns jetzt erstmal ins Klassenzimmer gehen. Nach der Schule sprech' ich ihn an, okay?"
„Okay", stimmten Asuka, Mayumi und Chiyo ihr lachend zu.

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