Kein Vertrauen

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Als Harumi die Augen aufschlug, fand sie sich in einem ihr unbekannten Raum wieder, über dem der dunkelblaue Schatten der Nacht lag. Verwundert wandte sie ihr Gesicht der einzigen Lichtquelle zu – dem Fenster, durch das fahles Mondlicht fiel. 
Das kommt mir bekannt vor, dachte sie irritiert, doch zugleich wusste sie nicht, woher. Irgendwie war sie schon einmal hier gewesen … Warum bin ich nicht zu Hause?, war die nächste Frage, die sich ihr stellte, und mit diesem Gedanken kam plötzlich auch die Angst. 
Sie erschrak, als sie neben – oder hinter sich – eine Bewegung wahrnahm, und dann fiel es ihr mit einem Mal wie Schuppen von den Augen. Das ist Yumas Zimmer!, schoss es ihr durch den Kopf und noch ehe sie darüber nachdenken konnte, hatte sie sich fast schon reflexartig aufgerichtet und war aufgesprungen, auch wenn im selben Moment ein schrecklicher Schmerz durch ihre Schläfen zuckte. 
Dieser Schmerz trug keineswegs dazu bei, dass Harumi sich beruhigte, stattdessen schoss mit einem Mal blanke Panik durch ihre Adern, und ihr Körper handelte vollkommen instinktiv, ohne dass Harumis Verstand überhaupt begreifen konnte, was vor sich ging. 
Sie wollte nicht denken, nicht fragen, sie wollte nur noch weg …! 
Weit kam sie allerdings nicht. 
„Jetzt bleib’ schon hier … Meine Güte …“ Eine ihr durchaus vertraute, dunkle Stimme, die unverkennbar genervt klang, eine Kombination, die Harumis unkontrollierbare Angst aus irgendeinem Grund nur noch weiter schürte. Yuma …
Wie aus dem Nichts schlang sich von hinten ein Arm um ihre Taille und mit einem kräftigen Ruck zog Yuma Harumi wieder auf das Bett zurück, ein erschrockener Schrei entfuhr ihr, und dann spürte sie auch schon Tränen in sich aufsteigen. 
Es war sehr schnell gegangen, und plötzlich fand sie sich mit dem Rücken an seiner Brust wieder, sie konnte seinen Atem in ihrem Nacken spüren, nur ein winziger Lufthauch, doch sie bekam eine Gänsehaut davon und ihr Herz pochte wie verrückt. 
Schließlich realisierte sie nach und nach wirklich, wo sie sich wohl befand und vor allem mit wem. Noch immer rang sie nach Atem, dann griff sie mit beiden Händen nach der von Yuma, die sie noch immer kurz unterhalb ihrer Brust fest umschlungen hielt. „Yuma“, wisperte sie mit dünner Stimme. „Bitte … Lass’ mich gehen.“ 
„Hah?“, machte er nur wenig begeistert. „… Sag’ mal … hast du eigentlich eine Ahnung, wie spät es ist?“, fragte er dann und Harumi spürte, wie die Polster seiner Schlafcouch nachgaben, als er sich hinter ihr auf dem Ellenbogen aufstützte. Und sie spürte auch seinen Blick, mit dem er sie traktierte, als versuche er, allein damit ihre Seele bloßzulegen. 
Harumi zitterte. „Ich weiß doch noch nicht einmal, warum ich hier bin“, entgegnete sie dann nach kurzem Schweigen leise und starrte einfach nur in die vom Mondlicht durchflutete Dunkelheit. Die Panik klang langsam ab, es war eine absolut irrationale Angstattacke gewesen, die nur nach und nach ihre kalten Hände von Harumis Verstand nahm, nichtsdestotrotz wirkte Yumas Nähe seltsam beunruhigend auf sie. 
„Es ist zwei Uhr nachts. Wo willst du da schon hin?“, brummte er nur müde. 
Sie schloss die Augen und atmete dann tief durch. Es ist so viel passiert … Sie versuchte, sich wieder zu sammeln. Ich habe ihn geküsst, oder nicht? Es ist wohl unnötig, sich jetzt zu fürchten … Kurz blickte sie an sich herab, doch alles was nicht von der Decke verhüllt wurde, trug nicht zu ihrer Beunruhigung bei. Sie trug noch immer ihr weißes T-Shirt und vermutlich auch ihre Sporthose. So weit, so gut. 
Nun richtete sie sich wieder auf, dieses Mal etwas gemächlicher, und nachdem er sich sicher war, dass sie nicht sofort das Weite suchen würde, ließ Yuma sie langsam wieder los. 
„Huh? Weinst du?“, fragte der Vampir dann mit einem Mal überrascht und stützte seinen Kopf auf einer Hand auf, musterte sie weiterhin eingehend. 
Harumi schluckte und beschämt wischte sie sich die Tränen von den Wangen. Dann schüttelte sie den Kopf. „Nicht mehr“, sagte sie mit brüchiger Stimme. Sie hatte eben einen wahren Horrortrip durchstanden, doch das ließ sich nur schwer erklären. Sie hatte nichts geträumt, aber sie war von diesem schwarzen Nichts direkt in einen wahrhaftigen Albtraum gestürzt, der von ihrer Angst verursacht worden war, und dann erst war sie endlich richtig aufgewacht. 
„Yuma“, sprach sie ihn nun leise an und sah kurz zu ihm, aber lange hielt sie seinem Blick aus irgendeinem Grund nicht stand, und so sah sie wieder weg. 
„Hm?“, machte Yuma mehr oder weniger interessiert. 
„Ich erinnere mich nicht daran, wie ich hierher gekommen bin“, sagte sie leise, ihre Stimme war so belegt, dass sie kaum sprechen konnte. Es ging ihr ganz furchtbar damit, nicht zu wissen, was in den letzten Stunden geschehen war. Es war wie ein Filmriss … Das wäre nicht das erste Mal, aber nun ängstigten die Umstände sie. 
Yuma jedoch lachte nur kurz. „Das glaube ich dir“, meinte er nur trocken und setzte dann endlich zu einer Erklärung an, auch wenn sie nur sehr knapp ausfiel. „Du bist k.o. gegangen, nachdem ich dir einen Ball zugepasst hab’.“ Er grinste. 
Harumi schluckte, dann versuchte sie, ihre übrigen Erinnerungen wieder sinnvoll aneinanderzureihen. Basketball, ja, daran erinnerte sie sich. Und wir haben das Spiel beendet, richtig? Ja, es war ein Unentschieden … Dann kamen ihr Kamui und seine Kumpane in den Sinn und … der Kuss. Ja. Jetzt passte alles wieder. 
Harumi zitterte ein wenig. Es war kühl in Yumas Zimmer. 
„Unbeabsichtigt, falls es dich beruhigt“, setzte er da mit einem Mal hinzu. 
„Huh?“, machte nun Harumi, sie war ganz in ihren eigenen Gedanken versunken gewesen. 
Yuma seufzte. „Ich hab’ dich nicht mit Absicht ausgeschaltet“, präzisierte er dann. 
Leicht nickte Harumi. Was sollte sie dazu schon sagen?
„Was ist? Willst du nicht auch noch ’ne Runde schlafen?“, wollte Yuma nun wissen und legte sich wieder hin, drehte sich auf den Rücken, das Gesicht Harumi zugewandt. 
Harumi zögerte, doch dann gab sie sich einen Ruck. Was ist schon dabei?, fragte sie sich, als versuche sie, sich selbst zu überreden. Er hat mir vorher nichts getan und jetzt wirkt er auch nicht, als würde er irgendetwas planen … Ich sollte ihm mittlerweile zumindest so weit vertrauen. Sie musterte ihn kurz, dann nickte sie zaghaft. „Danke“, wisperte sie und schlüpfte wieder unter die Decke. 
„Dafür brauchst du dich nicht zu bedanken“, brummte Yuma und schloss die Augen. „Lass’ uns einfach nur schlafen.“ Er schien wirklich müde zu sein. 
Was ist das bloß? Er ist schon seit Tagen wie ausgewechselt, dachte Harumi unsicher und versuchte dennoch, gegen dieses konstante Gefühl des Unwohlseins in ihrem Bauch anzukämpfen, ihr Misstrauen auszuschalten, aber das war unmöglich. Denn trotzdem … ist er immer noch dieser Yuma … dieser Mann, der mich … Sie schluckte schwer. 
Warum nur mussten ihr all diese Gedanken jetzt kommen? Heute Nachmittag hat mich seine Nähe doch auch nicht gestört … ganz im Gegenteil. 
Sie atmete tief ein und drehte sich auf die Seite. Auf dem Rücken konnte sie nicht schlafen, und auch auf der rechten Seite tat sie sich schwer … also wandte sie sich Yuma zu und bemerkte nun seine nackten Schultern, die unter der Bettdecke hervorragten, und ihre Hände, die sie an ihre Brust gepresst hatte, berührten zugleich seinen bloßen Oberarm. Unbehaglich schluckte sie und dann rutschte sie kaum merklich wieder ein Stück von ihm weg, aber viel Platz hatte sie nicht – auch wenn Yumas Schlafcouch ausgeklappt war, ihr blieben hinter ihrem Rücken nur noch wenige Zentimeter. 
Da öffnete Yuma die Augen und sah das Mädchen neben sich missbilligend an. „Schläfst du immer so unruhig?“, wollte er barsch wissen. Oh ja, er war schlecht gelaunt, wenn man ihn nicht zu seinen gewohnten Zeiten schlafen ließ, das stand mittlerweile außer Frage.  
„Ich schlafe doch gar nicht“, erwiderte Harumi ein wenig zerknirscht. 
„Und warum nicht?“, fragte Yuma genervt zurück. 
Harumi schluckte. „Weil …“ Sie schloss die Augen. „Ach, egal. Tut mir leid.“ Das muss ich nicht jetzt ausdiskutieren …
Mit einem schwer zu deutenden Grummeln schloss Yuma die Augen wieder. 
Warum nur scheint er meine Gefühle niemals wirklich nachvollziehen zu können?, fragte sie sich unterdessen unglücklich. Von Zeit zu Zeit hatte sie sogar das Gefühl gehabt, dass er es versuchte … aber wirklich Erfolg gehabt hatte er damit allem Anschein nach nicht. Außer bei dieser Sache mit Kamui, rief Harumi sich wieder ins Gedächtnis. Doch gleich darauf zweifelte sie auch daran. Sicherlich hatte er es nicht für sie getan, sondern um seinen eigenen Standpunkt zu festigen … 
Moment, was?, dachte Harumi im nächsten Moment entsetzt. Ob er mich vielleicht wirklich … für sich beansprucht? Sie dachte an die Sache mit Kazuya, mit dem Rauchen, dem Kuss … 
Zwei Mal hatte er schon ihr Blut getrunken, und er hatte dabei so selbstsicher gewirkt, als hätte sie gar keine andere Wahl, als es zuzulassen. Es ließ sich nicht leugnen. Er brachte sich in ihr Leben ein und beeinflusste es, ob sie es wollte oder nicht. 
Aber darüber sollte ich mir jetzt keine Gedanken machen, dachte Harumi und spürte allmählich, wie müde sie eigentlich war. Schon jetzt taten ihr alle Muskeln weh, die sie beim Basketball beansprucht hatte. Ich sollte schlafen.
Also schloss sie die Augen und versuchte, nicht länger nachzudenken, alle Gedanken auszusperren. Wenn sie weniger müde war, würde ihr das Denken auch viel leichter fallen, darum konzentrierte sie sich kurzerhand auf Yumas gleichmäßigen Atem. Es dauerte höchstens fünf Minuten, bis sie tatsächlich eingeschlafen war. 

Fervent LoveWo Geschichten leben. Entdecke jetzt