Schattenkinder

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Atmen. Laufen. Atmen. Laufen. Stehen bleiben. Bei Bewusstsein bleiben. Augen öffnen. Weitergehen. Stop. Da war es wieder. Lachen. Schritte. Flüstern...

Wisst ihr wie sich das anfühlt, wenn man innerlich weint? Zerrissene Seelen erkennt man, wenn man ihnen in die Augen sieht. Das Funkeln des unendlichen Schmerzes wird niemals vergehen.

Daddy hat mir gezeigt was Leiden heißt, aber das ewige Schicksal war noch nicht fertig mit mir. Ich werde dir jetzt erzählen wie ich meine erste Bekanntschaft mit den Schattenkindern machte. Manche sagen ich wäre verrückt geworden, aber das stimmt nicht. Ich habe nur meine Wahrnehmung erweitert. Und das muss ja nicht unbedingt etwas schlechtes sein oder?

Dunkelheit. Nichts als Dunkelheit. 2 Jahre waren vergangen. Die Vorhänge in meinem Zimmer waren immer noch pink und meine Bettdecke immer noch weiß. So unbefleckt, als wäre nie etwas geschehen. Nur eine kleine Sache hatte sich verändert. Ich war jetzt allein. Naja vielleicht stimmt das nicht ganz, aber dazu später mehr. Sicher fragt ihr euch, was mit Daddy passiert ist nachdem er mich angefasst hat. Daddy ist gegangen. Daddy ist tot. Er hat sich aufgehangen. Er hat gesagt, dass er sich jetzt selber wehtun muss. 

Die Behörden haben mich zu einer neuen Familie geschickt. Sie haben gesagt, dass sei besser für mich. Ich wohne jetzt weit weg von zuhause. Wenigstens durfte ich alle meine alten Sachen mitnehmen. Vor meinem neuen Haus erstreckt sich ein großer Wald mit mächtigen Bäumen. Es ist schön dort. Die Sonne scheint und die Seele lacht. Mein neuer Daddy ist nett, aber nicht so nett wie mein toter Daddy. Ich habe meiner neuen Mami gesagt, dass ich sie lieb habe. Danach habe ich mich so schlecht gefühlt, weil ich meine liebe Mami Fee betrogen habe. Ich bin ein verlogenes Miststück. Ich verdiene es nicht zu leben. Ich bin eine Lügnerin.

 Der Tag an dem sich mein Leben zunächst zum guten wenden sollte, war ein Mittwoch. Doch der Schein trügt. Die Geschichte geht weiter. Und sie wird grausamer und hässlicher sein, als je zuvor.

Der Wald ist ein magischer Ort oder? Besonders im Sommer, wenn sich die Bäume in der sanften Brise des zarten Geflüsters des Windes bewegen. Ich bin fast jeden Tag dort gewesen. Meine Seele fand für zwei oder drei Stunden den Frieden, die sie so sehr brauchte. Die Tiere und Bäume hatten sie längst an meine Gesellschaft gewöhnt und ich fühlte mich zum ersten Mal seit langer Zeit wieder geborgen.

Es gab eine Regel in meinem neuen Zuhause. Gehe nicht in den Wald wenn die Dämmerung anbricht, sonst wirst du von wilden Tieren gefressen und kehrst nie wieder zurück. Bis zum heutigen Tag, habe ich diese Regel auch nie gebrochen. Doch was tun Kinder bekannterweise am liebsten? Genau. Sie brechen Regeln und schreiten über Grenzen, die ihr Leben vielleicht für immer verändern.

An jenem Tag stand mir der Sinn nach Rebellion. Punkt 22:00 Uhr schlich ich mich durch das Fenster nach draußen und verschwand im grünen Meer des Waldes. Ich wollte zu meinem Lieblingsplatz gehen. Ich hatte auf meinen Erkundungstouren einen kleine Höhle gefunden. Sie war wunderschön und schrecklich zugleich. Die wenigen Stunden waren zu wenig um meinen Aufenthalt dort auch wirklich genießen zu können.

Nach einer halben Stunde war ich am Ziel. Mittlerweile war es stockdunkel und in der Ferne heulte ein Wolf. Ich lehnte mich zurück und beobachtete das Nachtleben des Waldes, bis ich etwas ganz in meiner Nähe knacken hörte. Es war so nah und laut und es stammte definitiv nicht von einem Tier. Dann hörte ich wie etwas in den Tiefen des Gestrüpps anfing zu kichern...

Angst erfüllte mich und ich schaute mich panisch um. Damit hatte ich nicht gerechnet. Ich dachte hier wäre ich sicher. Ich fühlte mich beobachtet. Ich fühlte mich gejagt und verfolgt. Wieso musste mir die Welt auch noch diesen Platz nehmen?

Dann rannte ich los. Ich wurde schneller und achtete nicht mehr darauf wohin ich rannte, haubtsache weit weg. Die Wurzel der dicken Eiche vor mir sah ich nicht. Ich stolperte. Ich fiel und landete auf dem harten Boden unter mir. Starr vor Angst blieb ich liegen. Wenn ich nur lange genug wartet, würde es bestimmt auch wieder hell werden und der Albtraum würde ein Ende nehmen. Doch nichts passierte. Die Sonne war nirgendwo zu sehen und ich war allein. Gefangen in den Klauen des dunklen, grünen Monsters.

Plötzlich streifte mein Gesicht etwas, dass sich anfühlte wie der Saum des Rockes meiner neuen Mami. Dann kicherte es wieder und auf einmal wurde es ganz hell. Was war das? Ein böser Zauber? Spielte mir mein Verstand einen Streich? Steh auf Mira. Du darfst da nicht liegen bleiben. Der Boden ist kalt. Du wirst dir noch eine Erkältung holen. Dann kicherte es wieder. 

Langsam stand ich auf. Meine Augen hatte ich zugekniffen und meine Atmung war flach. Mach die Augen auf Mira. Du brauchst keine Angst zu haben. Behutsam öffnete ich meine Augen. Vor mir stand ein Mädchen, dass ungefähr in meinem Alter sein musste. Sie trug ein weißes, langes Nachthemd und in ihrer rechten Hand hielt sie einen brennenden Kerzenleuchter. 

"Wer bist du? ", fragte ich sie. Das Mädchen schenkte mir ein breites, schauriges Grinsen. Ich bin ein Schattenkind und wenn du willst führe ich dich in eine neue, schöne Welt. Wir haben so lange auf dich gewartet. Wir sind jetzt ein Teil von dir und du wirst ein Teil von uns sein Mira. Schon bald wirst du all deine Schmerzen vergessen haben und dein Leben wird ein besseres sein. Nimmst du das Angebot an?

Es klang so verlockend. Ein Leben ohne Schmerzen? Das ist alles was ich immer wollte. Das Mädchen streckte mir ihre Hand hin und ich zögerte nicht. Die Angst war einem unbändigen Verlangen gewichen. Ich ergriff die Hand. Das war wohl der größte Fehler meines Lebens.

Gut Mira. Wir werden uns wiedersehen und nächstes Mal bringe ich auch meine Freunde mit. Sie werden sich freuen dich endlich kennen lernen zu dürfen. Mit einem leisen Kichern verschwand sie im Dickicht des dunklen Waldes.

Dann wachte ich auf und blickte in die blauen Augen meiner neuen Mami.


Ziemlich abgefahren oder? Tja es wird noch schlimmer, also erzählt mir hinterher nicht ich hätte euch nicht gewarnt...

AngstWhere stories live. Discover now