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Bald ist mein achtzehnter Geburtstag und ich kann es kaum erwarten, endlich volljährig zu sein. Mein kleiner Bruder Damian ist auch schon total nervös, obwohl es mein Geburtstag und nicht seiner ist. Er ist fünfzehn Jahre alt und erhofft sich wahrscheinlich, das ich ihn dann mit dem Auto überall hin fahre. Ich darf zwar dann endlich alleine fahren, aber das heißt nicht, dass ich ihn in der Gegend herum fahre. Alle meine Freundinnen und Freunde sind schon achtzehn, also fehle nur noch ich. Jeder von ihnen hat ein Auto geschenkt bekommen und ich weiß, dass ich keines bekommen werde. Ich bin darüber nicht traurig oder enttäuscht, vielleicht ein bisschen, aber meine Eltern können sich ein weiteres Auto einfach nicht leisten. Irgendwann werde ich mir selbst ein Auto leisten können.

"Phil, wir müssen loooos! Sonst kommen wir noch zu spät.", ruft Damian von unten.

"Ich komme gleich. Ich suche noch mein Handy."

"Du Spatzenhirn, es ist hier unten."

Er ist immer so lieb zu mir, aber das bekommt er schon noch zurück. Ich habe vorhin mein Handy extra unten gelassen, damit ich es gleich finde. Ich klatsche mit meiner Handfläche gegen meine Stirn. Wieso bin ich teilweise nur so vergesslich?! Wenigstens habe ich mein Kleid gestern noch gebügelt, damit es nicht voller Falten ist. Auf der Hochzeit meiner Cousine muss ich natürlich hübsch aussehen. Am liebsten laufe ich aber nur in einer schwarzen Leggings mit einem einfachen Top und einem Karo-Hemd darüber herum, aber zu so einem Anlass wäre mein übliches Outfit nicht passend.

"Du darfst gerne fahren, ich möchte heute gerne bei meiner Nervensäge von Bruder sitzen.", erkläre ich meinem Vater.

"Wie du meinst.", er zuckt mit den Schultern und alle steigen ein.

Aus meiner kleinen Tasche krame ich mein Handy raus und sehe, dass ich über hundert Nachrichten habe. Meine beste Freundin ist ein totaler One Direction Fan und hat dafür sogar eine Gruppe eröffnet. Obwohl ich nicht wirklich ein Fan bin, bleibe ich ihretwegen in der Gruppe und höre mir die ganzen Neuigkeiten von allen Bandmittgliedern an. Ich habe mir noch nie einen Artikel über die fünf durchgelesen, das war auch bis jetzt noch nie wirklich nötig gewesen, da Ronja mich immer auf dem Laufenden hält. Anscheinend hat einer der Jungs heute ein Interview gegeben, in welchem er über seine Kindheit und seine Familie berichtet.

Ronja: 'Harrys Eltern haben sich vor achtzehn Jahren getrennt, wusstet ihr das?'

Melissa: 'Der arme Junge.'

Ich: 'Es trennen sich doch so viele Eltern, die Kinder haben.'

Melissa: 'Ja schon, aber er tut mir trotzdem leid.'

Ronja: 'Mir auch.'

Ich: 'Alles klar. Was hat er sonst noch so erzählt?'

Tara: 'Seid wann interessierst du dich für One Direction?'

Ich: 'Sitzen gerade im Auto und mir ist langweilig. HAHAHA.'

Ronja: 'Eigentlich nur Sachen, die wir sowieso schon wissen. Er hat noch eine große Schwester, lebt bei seiner Mutter. Ist mit dieser nach der Trennung umgezogen. Mehr hat er auch nicht erzählt.'

Tara: 'Er meinte auch noch, dass seine Kindheit relativ schön war, nur das ihm sein Vater gefehlt hat.'

Ich: 'Also war es dieses Mal anscheinend nicht so spannend sein Interview anzusehen?!'

Melissa: 'DOCH! Es ist immer spannend ein Video von One Direction anzuschauen.'

Ich: 'Ok.'

Tara: 'Ich stimme Melissa zu.'

Melissa: 'Ja.'

Ich: 'Also gut Mädels, wir sind jetzt da. Wir können gerne später weiter schreiben, aber ich bin jetzt für die nächsten Stunden nicht erreichbar. Ich hoffe ich habe dann nicht wieder über hundert Nachrichten.'

Ronja: 'Das meinst du jetzt aber nicht negativ?'

Ich: 'Nein, natürlich war das Spaß. HAHA.'

Tara: 'Viel Spaß bei der Hochzeit.'

Melissa: 'Viel Spaß und bis später.'

Ich schalte mein Handy aus und lege es zurück in meine kleine Tasche. Mein Bruder hat anscheinend noch überhaupt nicht gemerkt, dass unser Auto stehen geblieben ist, also stoße ich ihm einmal kräftig meinen Ellenbogen in die Rippen.

"Was sollte das denn?", meckert er mich an.

"Wir sind da du Hohlkopf."

"Aber deswegen brauchst du mich doch nicht stoßen."

"Damian und Philine, jetzt ist Schluss. Es soll ein schöner Tag für eure Cousine werden und keiner möchte euer Gestreite hören, haben wir uns verstanden?!", unsere Mutter dreht sich zu uns um und schaut jedem einmal böse in die Augen.

Wir nicken und sofort fängt sie an zu lachen und wir steigen aus dem Auto aus. Alle haben wunderschöne Kleider und Anzüge an. Es ist wirklich eine Traumhochzeit, alleine schon von der Kulisse. Unsere Eltern werden auch gleich von unserer Tante abgefangen und zu den Stühlen begleitet. Ich folge ihnen, damit ich mich auch auf meinen Platz setzen kann.

"Habt ihr es Philine schon gesagt?", erkundigt sie sich bei meinen Eltern.

"Nein, noch nicht. Es war noch nicht der richtige Zeitpunkt.", erwidert mein Vater.

"Sie wird doch bald achtzehn. Ihr solltet es ihr davor noch sagen."

Anscheinend fällt ihnen nicht auf, dass ich fast hinter ihnen gehe. Zwischen uns laufen noch weitere Gäste, aber ich kann jedes einzelne Wort verstehen. Was sollen sie mir sagen? Und warum ist es so schwer mir das zu sagen? Wieso muss erst der richtige Zeitpunkt kommen? Am liebsten würde ich hin gehen und nachfragen, aber das traue ich mich nicht, denn sie wollen es mir anscheinend noch nicht sagen.

"Glaub mir, es ist schwer die richtigen Worte zu finden.", meint meine Mutter nun zu dem ganzen.

"Einfach an einen Tisch setzen und es ihr sagen. Sie hat die Wahrheit verdient. Wenn sie es selbst herausfindet, dann wird sie es euch noch mehr verübeln, dass ihr ihr es nicht gesagt habt."

"Glenda, man kann seiner Tochter nicht einfach sagen, dass man sie achtzehn Jahre lang angelogen hat. Wir lieben sie wie unsere eigene Tochter. Wir machen keinen Unterschied zwischen ihr und Damian, auch wenn wir Philine adoptiert haben."

Forgotten SisterWhere stories live. Discover now