Kapitel 2: Tiefe Dankbarkeit

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Das Musikzimmer lag im Erdgeschoss neben dem Salon und wurde früher für kleinere Feste und Freizeitbeschäftigungen genutzt. Doch die gemütliche, heimische Atmosphäre war verblasst. Der weiße Flügel stand noch immer im mit Holz verkleideten Raum, doch die zahlreichen Gemälde, die Pflanzen und auch die Teppiche und Vorhänge fehlten. Alle Farben und Gerüche waren verschwunden, als hätte man sie in einen Käfig gesperrt und den Schlüssel in den alten Tarmington See geworfen. Die Möbel, die wir aus Platzgründen nicht mitnehmen konnten, waren mit weißen Laken bedeckt. Es hatte eine Spur von Hoffnung, dass wir eines Tages hierher zurückkehren würden. Doch ich kannte auch das Gefühl der Endlichkeit, welches ein Abschied mit sich brachte. Egal, ob er wochenlang geplant oder ganz plötzlich war.

Lady Eugenia stand mit verschränkten Armen am Fenster und blickte hinaus, als könnte sie den Anblick dieser Leere und Tristheit ebenfalls nicht ertragen.

„I-ihr wolltet mich sprechen, Mylady?"

Als sie sich umdrehte, lächelte sie mich zufrieden an.

„Ja, Avery. Setz dich."

Sie deutete auf eins der Sofas und setzte sich anschließend auf das weiße Laken. Ich tat es ihr gleich und legte nervös meine Hände, die sich heiß und kalt gleichzeitig anfühlten, in den Schoß.

„Ich möchte mit dir über deine Zukunft sprechen, Liebes."

Sie wird mich zurücklassen. Der Gedanke tanzte wild in meinem Kopf umher und Angst breitete sich in mir aus. Ich versuchte mir nichts anmerken zu lassen und räusperte mich leise.

„Meine Zukunft?"

„Ja. Wir hätten schon längst darüber reden sollen, doch die ganze Situation mit dem Bürgerkrieg und unserer Flucht hat mir einiges abverlangt, wie du dir vorstellen kannst. Doch wir sollten diese Angelegenheit vor unserer Abreise klären."

„Worum genau geht es?"

Ich konnte es nicht abwarten und wollte endlich wissen, was los war. Hatte ich meine Tasche umsonst gepackt?

„Ich habe es dir nie gesagt, aber ich habe mich damals sehr gefreut, dass du zu uns kamst. Das klingt wahrscheinlich komisch für dich, weil die Umstände alles andere als fröhlich waren. Doch die letzten zehn Jahre warst du eine wahre Bereicherung für unsere Familie. Deswegen möchte ich dir etwas mit auf den Weg geben."

Erneut schluckte ich und versuchte, die Tränen zurückzudrängen, die bereit waren, sich aus meinen Augen zu kämpfen. Ich würde ihr so gerne so vieles sagen und hoffte, dass die Gelegenheit sich an diesem Tag bieten würde. Oder wenn wir sicher in Mari angekommen waren.

„Wo siehst du dich in der Zukunft, Avery?"

Die Frage zog mir urplötzlich den Boden unter den Füßen weg. Ich lebte in der Gegenwart und trauerte Tag für Tag der Vergangenheit und der Zeit nach, die nie wieder zu mir zurückkehren würde. Doch die Zukunft machte mir einfach große Angst, so wie viele andere Dinge. Sie war ein großes, schwarzes Nichts. Wie ein Tunnel, den ich an jenem schicksalshaften Tag betreten hatte. Nur ein schwaches Licht bewegte sich um meine Füße. Ich sah kaum den nächsten Schritt, den ich ging. Wie sollte ich den weiteren Weg sehen?

„I-ich. Ich glaube, ich denke. Ich..."

Lady Eugenia lächelte mich wissend an.

„Ich sage dir, wo ich dich sehe, Avery. Du wirst einmal eine Anführerin sein."

Beinahe verschluckte ich mich. Hatte sie das ernst gemeint?

„Mylady, ich fürchte, ich bin nicht dazu bestimmt..."

Lumen Lunae - Ein Tropfen Mondlicht [Leseprobe]Opowieści tętniące życiem. Odkryj je teraz