Kapitel 4: Ein böser Traum

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Das Knirschen der Kieselsteine unter den Schritten der Fremden wurde unerträglich laut in meinen Ohren. Immer mehr Schritte erklangen aus allen Richtungen und schienen sich zu vermehren wie kreisende Wellen im Fluss bei Regen.

„Ich frage noch ein einziges Mal. Was wollt Ihr?"

Ein dunkles, kehliges Lachen ertönte und dann hörte es sich an, als würde derjenige auf den Boden spucken. Ein Chor aus bösartigen Lachern ertönte. Man konnte kaum ausmachen, wie viele Menschen dort draußen standen.

Das Geräusch von zischendem Metall durchschnitt die Luft und die Lacher ebbten ab. Die Fremden waren bewaffnet. Ich kannte das Geräusch von Schwertern. Auf den Märkten wurden Waffen geschmiedet und verkauft und auf Dorffesten gab es Turniere. Henry nahm hin und wieder mal an einem teil. Ich hasste Waffen und Gewalt, selbst wenn es zur Unterhaltung diente. In diesem Moment verhießen die Waffen definitiv nichts Gutes. Es war ein Hinterhalt. Ohne Zweifel. Entweder durch einen anderen Lord, der uns loswerden wollte oder gewöhnliche Räuber, die sich den Krieg und Flüchtige zu Nutze machten, um an Geld und Beute zu kommen. Und um ihre rohe Gewalt anzuwenden, einfach so zum Spaß. Ich schaute wieder zu Faye und dann zu Henry. In diesem Moment war uns klar, dass es kein Entkommen gab. Die Endlichkeit unserer Leben wurde uns schlagartig bewusst. Faye schluchzte unkontrolliert und hielt sich selbst den Mund zu, um keinen Laut von sich zu geben. Henry hatte sie losgelassen und zog mich stattdessen immer näher an sich und spielte geistesabwesend mit einer meiner roten Haarsträhnen, wie er es oft und gerne tat, als würde er die letzten Momente nutzen, um diese kleinen Dinge noch einmal tun zu können. So sicher ich mich die letzten Jahre bei ihm gefühlt hatte, keine Sicherheit war mehr gewährt. Für keinen von uns.

Wir hatten bereits in den Dörfern und auf Gesellschaften von solchen Hinterhalten und Überfällen auf Flüchtige gehört, jedoch als Schauermärchen abgetan, um das Volk und vor allem die Lords von der Flucht nach Mari abzuhalten und die Gutsherren gegeneinander aufzuhetzen. Ganze Familien wurden angeblich bei diesen Überfällen getötet. Lord Braxton hatte die Gefahren nur halbwegs ernst genommen. Ein paar unserer Leute trugen Waffen mit sich, doch war das genug? Warum sollten wir sicher sein?

Die nächsten Momente schienen wie in Zeitlupe zu vergehen. Quälend langsam in Erwartung, was als nächstes passieren würde. Erneut zischte Metall. Das Geräusch war scharf und brutal. Es traf auf etwas Dumpfes und schmerzerfülltes Stöhnen erklang. Eine Frau schrie und ich hätte schwören können, dass es Lady Eugenia war, doch ich hatte sie bisher nie schreien gehört, nicht einmal weinen. Das machte die Situation nur noch schlimmer. Die Türen der anderen Kutschen wurden knarzend geöffnet, mal vorsichtig, mal gewaltsam. Wir hörten ein Gemisch aus Klirren, Lachen und entsetzten Lauten. Immer mehr Schreie und dumpfes Aufprallen von Körpern auf dem kalten Kiesweg. Henry hatte die Tür zu unserer Kutsche, die zum Weg zeigte, mit einem Holzbalken blockiert. Faye hielt sich die Ohren zu und ich hielt mir meinen Magen. Ich wollte gar nicht daran denken, was draußen vor sich ging. Henry war der einzige, der einen kühlen Kopf zu bewahren schien. Er hatte bereits seinen Dolch hervorgeholt und hörte aufmerksam zu, was passierte. Ich wollte mich an ihn schmiegen, doch er hielt mich mit seinen Armen auf Distanz. Jemand fing an, an unserer Tür zu rütteln.

„Faye! Avery! Los, raus mit euch."

Er öffnete die andere Seite der Kutsche, von der es nur einen kurzen Weg zum Wald gab und die sicher zu sein schien. Faye kletterte benommen hinaus, ohne zurückzublicken. Ich fühlte, was sie durchmachte. Und es tat mir weh. Denn das wünschte ich mir für niemanden.

„Nein. Ich gehe nicht ohne dich", flüsterte ich ihm zu. In seinem Blick lag große Sehnsucht und bevor ich sehen konnte, ob er Tränen in den Augen hatte, trafen seine Lippen schnell und leidenschaftlich auf meine. Sie waren warm, feucht und süß. Dieses Mal erwiderte ich den Kuss sofort und spürte seine Tränen an meiner Haut. Ich wartete darauf, dass sich das schwere Gefühl in meinem Magen löste und ich etwas anderes, etwas Positives spürte.

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⏰ Last updated: Aug 01, 2018 ⏰

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