Blut

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Kapitel 7

Violets Puls raste und ihr Herz klopfte wild, als der Geruch von alten Büchern und Pergament ihr entgegenschlug und sie in eine Zeit zurückversetzte, in der sie Glücklich gewesen war. Ihr Vater war ein einfacher Bauarbeiter gewesen, aber ihre Mutter hatte großen Wert auf Bildung und Geschichte gelegt. Als Violet klein war hatte sie immer geglaubt, ihre Mutter sei die klügste Frau auf diesen Planeten und hatte immer versucht ebenfalls viel zu lernen und zu verstehen. Leider musste Violet bereits in der Mittelschule feststellen, dass ihr lernen nicht wirklich leicht fiel und in der Oberstufe hatte sie sich wegen ihren eher mittelmäßigen Leistungen geschämt.
Die Enttäuschung ihrer Mutter war immer zu spüren gewesen, auch wenn sie sich wirklich bemüht hatte, es sich nicht anmerken zu lassen. Was eigentlich alles nur noch schlimmer gemacht hatte. Vielleicht hätte Violet jetzt die Chance etwas zu lernen, wo sie doch alle Zeit der Welt zu haben schien und das hier war der perfekte Ort dafür.
Nicolas Wohnung war eigentlich nichts weiter als ein ausgebauter Keller. Als Violet vor wenigen Minuten die zwanzig Stufen von einer schmalen Seitengasse zu dieser Metalltür machte und sich darüber klar wurde, dass dies ein fensterloses Verlies sein würde, war sie enttäuscht gewesen. Aber jetzt, wo das schwere Metall hinter ihr ins Schloss zurück fiel und sie drinnen stand, schien es himmlisch. Sie liebte es sofort.
Egal wie heruntergekommen die Gegend war, wie verrostet die Tür und wie erneuerungsbedürftig die Treppe hier herunter gewesen war. Hier drinnen war nichts heruntergekommen. Vollgestopft und unordentlich, ja. Aber nicht heruntergekommen. Die Alten Bücherregale, die den schmalen Gang vom Boden bis zur Decke säumten, waren alt und ließen gerade genug Platz um durch sie hindurchlaufen zu können. Die Bücher waren nicht geordnet. Manchmal wiesen die Regale Lücken auf und ein Stapel lag mitten auf dem Boden, als warteten die Bücher darauf wieder eingereiht zu werden.
An der Decke hingen flache Lampen, die ein warmes Licht herab warfen und als sich Violet mit einem Lächeln durch den Gang geschlängelt hatte, sah sie den Rest der Wohnung. Der Flur endete in einem offenen Raum, in dem sich wieder Bücherregal an Regal drängte, aber auch eine kleine Sitzecke vor einem erloschenen Kamin und ein alter, rustikaler Tisch um den vier alte Polsterstühle standen. Während sich der Tisch unter Papieren, offenen Büchern und anderen Dokumenten bog und keinen Platz zu lassen schien, um daran tatsächlich etwas zu arbeiten, war die Sitzecke penibel aufgeräumt.
Als sie einen Schritt weiter in den Raum wagte, fielen ihr einige Schränke auf, die so etwas wie eine Küche darstellen konnten. Das dunkle Holz passte hervorragend in die Optik des restlichen Raumes. Sie waren ebenfalls alt, mit metallenen Scharnieren und Messinggriffen. Nur der WLAN Router und der Laptop zerbrachen den Eindruck sich in einer bewohnten Bibliothek zu befinden.
„Du hast einen Computer", stellte Violet überrascht fest. Nicolas hob eine Augenbraue und war gerade dabei sein Jackett auszuziehen und fein säuberlich über einen der Stühle zu hängen.
„Die linke Tür führt in dein Zimmer", sagte er ohne auf ihre Frage einzugehen. Violet drehte sich einmal um ihre eigene Achse und bemerkte jetzt erst zwei kleine Türen mitten in einer der Regalwände. Sie waren leicht zu übersehen.
„An dem Bad bist du bereits vorbeigelaufen", sagte er und Violet warf einen Blick zurück in den Flur. Jetzt wo sie darauf achtete, sah sie wieder eine kleine Tür mitten in dem Büchermeer. Es war erstaunlich wie gut sie verborgen blieben, obwohl man es nicht wirklich darauf anlegte sie zu verstecken.
„Danke", entfuhr es Violet und damit meinte sie nicht nur das Zimmer oder diesen Moment. Sie meinte alles. Das Geld, das Blut, all die Monate, in denen sie ohne ihn niemals zurechtgekommen wäre. Sie erinnerte sich nicht daran ihm jemals gedankt zu haben und als sie wieder den Mund öffnete, um etwas zu sagen, erhob Nicolas die Hand um sie zu unterbrechen.
„Nein, Violet."
„Das ist nicht nötig", beschied er fast schon streng. Gerade wollte sie ihm widersprechen doch er schüttelte den Kopf und sie schwieg. Für eine gefühlte Ewigkeit sahen sie sich einfach nur an. Seine dunklen Augen ließen kein Gefühl erkennen und Violet presste eine Hand auf ihren Magen, als dieser knurrte.
„Im Schrank sind einige Sachen für dich, die passen würden, wenn du noch was aus deiner alten Wohnung brauchst, solltest du es sagen. Ansonsten wäre es besser alles einfach dort zu lassen. Dein Arbeitgeber wird dich spätestens in zwei Tagen als vermisst melden und dann ist es gut, wenn es so aussieht als wärst du einfach eines Abends nicht nach Hause gekommen. So schließen die Behörden es am schnellsten ab."
Das dürfte einfacher sein, als er sich das vorstellt. Da sie seit Jahren keinen gültigen Personalausweis mehr hatte, hatte sie Zweifel daran, dass überhaupt Ermittlungen stattfinden würde.
„Ich brauche nichts. Ich hätte nur gerne etwas zu essen." Sie meinte damit nicht wirklich feste Nahrung, aber sie musste Nicolas auch nicht erklären was genau sie meinte.
„In deinem Zimmer steht ein kleiner Kühlschrank." Violet nickte nur stumm und wagte es nun endlich dieses Zimmer zu betreten von dem er die ganze Zeit sprach. Es war ein einzelner kleiner Raum, in dem neben einem schmalen Bett und dem versprochenen kleinen Kühlschrank auch ein Kleiderschrank stand, der bis obenhin mit Hosen, Kleidern, Oberteilen und Unterwäsche gefüllt war. Als sie die Stoffe einiger Teile berührte, hätte sie fast geseufzt. Noch nie hatte sie so kostbare Stoffe besessen und obwohl die Kleidung in eher dunklen Tönen gehalten war, freute sie sich darauf sie zu tragen. Bei der Inspektion der Unterwäsche aber wurde ihr flau im Magen.
Nicolas hatte diese Kleidung ausgesucht, das stand außer Frage. Und bei dem Gedanken, dass er die feinen Spitzenhöschen und seidigen BH's für sie ausgesucht hatte, wurde das Knurren in ihrem Magen von einem Kribbeln abgelöst.
Schnell ging Violet zum Kühlschrank und zog eine der Flaschen hervor in denen eine kristallrote Flüssigkeit schwamm. Die trank sie in fast einem Zug leer, doch anstatt der erhofften Erleichterung begann ihr Magen nach einigen Sekunden zu rebellieren und das flaue Gefühl wurde zum Brechreiz.
Violet war schneller als normale Menschen und als sie aus ihrem Raum in den Flur stürzte, sah sie Nicolas nur schemenhaft neben sich. Sie rannte ins Bad und beugte sich über das Waschbecken. Blut sammelte sich in der Halbrundung des edlen Porzellans und verdreckte die Messingteile der Garnituren.
„Violet?", fragte Nicolas auf der Schwelle zum Bad, in dem sie sich gerade übergeben hatte. Ihr Temperament ging mit ihr durch.
„Was zum Teufel war das?", blaffte sie ihn an und strich sich die Haare aus dem Gesicht um ihn wütend anzublicken. Nicolas runzelte die Stirn und kam in das Bad hinein um ihr mit den Haaren zu helfen. Als seine Finger durch ihre dunklen Haare glitten und ihr nahezu zärtlich dabei halfen sie ihr aus dem Gesicht zu streichen, wurde ihr Gesichtsausdruck wieder weich.
Er berührte ihr Kinn und wischte etwas von dem Blut weg, das ihr Magen nicht hatte bei sich behalten wollen. Violet spürte wie ihr Herz begann zu rasen und sie sich für einen kurzen Moment in seine Arme schmiegen wollte. Hier im hellen Licht der Spiegelbeleuchtung sah sie zum ersten Mal, dass seine Haare ein dunkles Blond waren und die vielen Narben auf seinem schönen Gesicht wohl nicht von Unfällen stammten. Jemand hatte sie ihm zugefügt.
„Ich gebe dir etwas anderes zu trinken", meinte er und ließ dann auch von ihr ab. Violets Herz beruhigte sich wieder und sie drehte mit heißem Gesicht den Wasserhahn auf und wartete bis auch noch das letzte Rot im Abfluss verschwunden war.
„Hier", sagte Nicolas und reichte ihr ein Glas mit frischen roten Blut darin. Keine Flasche, sondern ein Glas, ganz so als hätte er es eben erst frisch irgendwo abgezapft. Doch wirklich misstrauisch wurde sie erst als sie einen kleinen Blutfleck an dem Ärmel seines Hemdes bemerkte.
Sie nahm es entgegen und trank einen Schluck. Vollmundig, erdig und so voller Kraft, dass sie sofort das Gefühl hatte beschwipst zu sein. Es schmeckte wie immer, wenn sie Blut getrunken hatte. Das Blut, welches er ihr über diese Monate hinweg mitgebracht hatte.
„Was war das in der Flasche?", wiederholte sie ihre Frage nun wesentlich ruhiger. Nicolas schwieg. Anstatt sie anzulügen, beschloss dann aber doch ihr zumindest eine ausweichen Antwort zu geben.
„Anderes Blut."

Beta: Geany Abc

Violet (Bd 1)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt