Familientreffen

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Kapitel 28
Sie tat, was Nicolas ihr gesagt hatte. Duschte, zog sich die Sachen an die er für sie bereitgelegt hatte und trank das Glas Blut aus, welches er ihr gab. Sein Blut und sie nahm sich vor nicht wieder direkt von ihm zu trinken. Die Einblicke in seinen Kopf zeigten einen Mann, den sie nicht sehen wollte. Sie wollte nicht glauben, dass da mehr war in ihm als nur Kälte. Und sie würde ihn auch nie wieder reißen. Er hatte recht: Sie war dumm etwas für ihn zu empfinden und mit sexuellen Spannungen zu spielen, die sie nicht weiter brachte. Die wahrscheinlich nicht mal echt waren.
Ihre Provokation war ein Fehler gewesen. Jetzt, wo sie darüber nachdachte, war ihr das klar. Sie wusste, wie Liebe sich anfühlte und er würde ihr das nicht geben. Nicht weil sie kaputt war, sondern weil er kaputt war. Sie war okay, normal und sie würde alles tun, um sich das zu erhalten. Um sich selbst zu erhalten. Nicolas vertraute nicht, er schien nicht dazu in der Lage und der Tag an dem sie ihm vertraute, sich ihm anvertraute, war der Tag, an dem sie sterben würde.
Als sie fertig war, war die Leiche im Hauptraum des Apartments verschwunden und Nicolas war gerade dabei sich die enge Weste über das perfekt sitzende Hemd zu ziehen.
„Ich bin fertig", sagte sie unnötigerweise, der er war bereits dabei sie zu mustern.
„Gut", sagte er vollkommen desinteressiert und ging dann an ihr vorbei und hielt ihr die Tür auf bis sie hindurchging. Er ging direkt hinter ihr und Violet hatte den gesamten Weg bis zum Fahrstuhl das Gefühl seinen Blick in ihrem Nacken zu spüren. Für einen Moment zuckte es ihr in den Fingern den hohen Pferdeschwanz zu lösen, den sie sich nach dem Föhnen ihrer Haare gebunden hatte. Sie hatte einmal mehr nicht gewusst was sie mit den langen, glatten Haare hätte anfangen sollen, außer sich den geraden Pony glatt zustreichen.
Sie fühlte sich verletzlich, wenn er ihr so in den Nacken starrte und das gefiel ihr ganz und gar nicht. Doch als die Türen des Fahrstuhles sich schlossen fühlte es sich noch unangenehmer an und sie wollte gerade nach dem Haargummi greifen, als der Fahrstuhl hielt und sich eine kichernde Sofia mit ihrem Ehemann zu ihnen gesellte.
„Na? Alles klar? Wie hast du die neuen Informationen verdaut?", fragte Sofia, die anders als Violet, einfach immer gut aussah. Sie trug wieder einen mädchenhaften Rock und eine Bluse mit Blumen Muster. Ihre kurzen Haare hatte sie zu zwei kleinen Zöpfen zusammengefasst, die sie herrlich unschuldig aussehen ließen. Wenn sie sich in dem Outfit an ihren immer streng dreinblickenden Mann drückte, wirkten sie noch mehr wie ein völlig ungleiches Paar. Aber zumindest waren sie eines und taten nicht nur so, wie Violet und Nicolas.
„Welche Information?", fragte Violet und rückte etwas näher an Nicolas heran als Björn sich mit seiner massigen Gestalt zu seiner Frau gesellte. Dieser Mann sah wirklich aus wie ein Berg, gerade in so einem kleinen Raum. Er legte eine seiner riesigen Pranken auf die Hüfte seiner Frau und Violet konnte den Blick davon nicht losreißen, er könnte sie einfach durchbrechen.
„Es gibt ein Familientreffen. Nicolas, du musst Violet vor Naklar warnen, du weißt doch wie er ist!", schimpfte Sophia, wartete aber nicht darauf bis ihr Bruder, das nachholte oder Violet Fragen stellen konnte.
„Er ist einer der ersten Zöglinge, die Re je hatte. Uralt und das charmanteste Schwein, dass du je kennenlernen wirst." Wow, das war aber auch mal eine Beschreibung.
„Und was soll das bedeuten?", fragte sie und sah dabei auch zu Nicolas, aber es war Björn, der antwortete.
„Er wird sich einen Spaß daraus machen dich zu verführen. Vergebene Frauen üben auf diesen Mistkerl einen ganz besonderen Reiz aus", knurrte dieser und Violet musste sich an diese tiefe Stimme immer wieder aus neue gewöhnen. Björn sprach wirklich nie besonders viel und wenn nur mit seiner Frau.
Sophie machte einen Schritt auf Violet zu und griff nach ihrer Hand.
„Er ist äußerst charmant und weiß genau was er sagen muss, damit die Leute ihm verfallen. Nicht nur die Frauen, auch Männer. Lass dich nicht von ihm einwickeln, Vio." Oh. Da bestand wirklich keine Gefahr. Mit Schleimbolzen kannte sich Violet bestens aus. Sie wusste sehr wohl, dass sie nicht unbedingt hässlich war und hatte dank ihrer Arbeit in einer Bar genug dumme Anmachsprüche gehört.
„Keine Angst, ich stehe nicht besonders auf den poetischen Typ der Arien auf meine Schönheit hält", versicherte Violet und lächelte Sophie zu. Diese warf einen Blick auf ihren Bruder. „Oh ja, ich weiß. Aber Naklar kann sich sehr gut anpassen, glaub mir."
Violet nickte nur und ließ es darauf beruhen. Nicolas, Re und auch Björn waren nicht besonders unansehnlich. Wie groß war also die Chance, dass auch dieser Naklar gut aussah: ziemlich hoch und somit würde es nichts Besonderes an ihm geben. Perfektionismus war nichts womit Violet etwas anfangen konnte. Wahrscheinlich waren es gerade Nicolas Fehler, seine äußeren und inneren Makel, die ihn erst so attraktiv für ihn machten.
Charme und ein sexy Lächeln war nichts was sie reizte. Auch Sophia war eher im kasachischen Sinne schön und wenn Violet zu sich selbst einmal ehrlich war, sah sie im Spiegel genau diese selbe langeweile Schönheit. Schmollmund, große Augen, schlank mit üppigen Kurven – vielleicht für diese Zeit etwas zu üppig. Sie hatte absolut nichts Besonderes an sich, selbst der Kontrast ihrer grauen Augen und das schwarze Haar war eher von einer langweiligen Eleganz. Sie hörte andauernd wie hübsch sie war, fand sich selber aber alles andere als anziehend.
In ihrer Jugend waren die Männer an ihr vorbeigegangen. Sie war in der Masse der hübschen Mädchen untergegangen, wie auch die unansehnlichen es waren. Hübsch, sicherlich. Aber nichts Besonderes, weder im Aussehen, noch im Charakter. Die Jungs hatten geflirtet, auch mal versucht ihr nahezukommen aber mehr war da nicht. Verliebt hatten sie sich in außergewöhnliche Frauen. Frauen, die einen sympathischen Makel aufwiesen, liebenswürdige Fehler – die sie nicht hatte. Sie hatte sich immer gewünscht es wäre anders, etwas Besonderes zu sein, nun wünschte sie sich in die graue Masse zurück. Ungesehen, unerkannt.
Sie kamen in einer der unteren Etagen an. Eine Ansammlung von Sitzungsräumen und Konferenzzentren die wohl niemand mehr benutzte. In einen von ihnen fanden sie Re auf einer Couch umgeben von zwei Frauen in Hausmädchenuniform, ihm gegenüber ein Mann mit einer kaffeefarbenen Haut, groben Gesichtszügen und dunklen, fast schwarzen Augen. Sein Kopf war kahl geschoren und als er sie sah, lächelte er süffisant.
Naja, charmant war dieses Lächeln nur auf den ersten Blick. Er betrachtete erst Sofia, dann Violet und sah für einen kurzen Moment Hingabe, erstaunen und ehrliches Interesse – bevor es leise und unbemerkt in Verachtung umschlug. Dieser Mann war mehr Schwein als Charmeur.

Beta: MsGeany

Violet (Bd 1)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt