Erzähl mir vom Glück

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Der Abend hatte sich bereits über die Innenstadt gesenkt. Die alten Fachwerkhäuser am Stadtplatz leuchteten orange im Licht der untergehenden Sonne.
Eine Frau saß an einem der runden Tische, die vor einem der vielen Cafés aufgestellt worden waren und blickte gedankenverloren in die Ferne, ein Glas Wein in der Hand.

Sie beobachtete ein junges Pärchen, das gerade offensichtlich eine Meinungsverschiedenheit austrug. Wenige Momente später lagen sie sich aber bereits in den Armen und murmelten unzählige Entschuldigen.

"Das Leben schreibt doch die besten Geschichten", meinte ein Mann, der, ebenfalls ein Glas Rotwein in der Hand, in diesem Moment neben sie getreten und ihrem Blick gefolgt war.

Sie blickte kurz auf, wandte sich darauf aber sofort wieder ab.
"Ja", antwortete sie nur schlicht.
"Ich kenne aber eine, die viel besser ist", sie nickte in Richtung des Paares, das noch immer eng umschlungen dastand, "als diese."

Er löste seinen Blick von ihren Körpern und blickte sie an.

"Was ist das für eine Geschichte?", erkundigte er sich.

"Eine Liebesgeschichte" Sie lächelte versonnen.
"Sie beginnt vor über zehn Jahren. Eine junge Frau und ein junger Mann, kamen eines Tages ins Gespräch, als sie sich zufällig auf der Straße begegneten. Anlass war ein Buch, das die Frau gelesen hatte, bevor er sie angesprochen hatte. Sie liefen einfach nebeneinander durch die gesamte Stadt und diskutierten miteinander. Irgendwann fing es an zu regnen. Aber das merkten sie gar nicht.

"Aber das ist doch gar nicht das Thema!", widersprach die junge Frau heftig und strich sich das nasse Haar aus dem Gesicht, das in dunklen Strähnen daran klebte.

"Ach nein? Was ist es dann, deiner Meinung nach?" Provokant blickte der junge Mann an ihrer Seite auf sie herab, das schwarze Haar genauso nass wie ihres.

"Es geht doch alleine um die Tatsache, das sie sich dazu entscheidet, ihn zu lieben. Nichts von wegen was ist Liebe oder kann man etwas dagegen tun. Da steht doch eindeutig, das Liebe eine Entscheidung ist!"

"Liebe eine Entscheidung?", ungläubig blickte er sie an.

"Ja, eine Entscheidung!" Sie war mit verschränkten Armen direkt vor ihm stehengeblieben.

"Gut", schnappte er. "Dann kannst du dich doch sicher dazu entscheiden, mich zu lieben"

Schlagartig war es still, ihr Schweigen wurde nur vom Prasseln des Regens unterbrochen.

"Okay", erwiderte sie schnippisch. Dann beugte sie sich ohne weitere Worte vor und küsste ihn.

"So klischeehaft es auch klingen mag, aber seit diesem Tag waren sie zusammen, obwohl sie sich kaum kannten. Und sie waren glücklich."

"Madame?", er hatte eine Hand ausgestreckt und bot ihr Unterstützung, während sie aus dem Auto kletterte.

"Oh, ich danke ihnen, Monsieur. Wie überaus freundlich!" Sie hakte sich bei ihm unter und gemeinsam gingen sie weiter.

"Die Tage waren angefüllt von kleinen Ritualen und Insidern, die nur sie teilten. Irgendwann machte er ihr einen Antrag. Das war der schönste Tag in ihrem Leben."

Verträumt blickte sie zum Himmel, der mitterweile in warmen Farben erstrahlte.
Die Sonne war vollständig hinter den Häusern der Stadt verschwunden. Eine Mitarbeiterin hatte vor einigen Minuten begonnen, die Stühle auf die Tische zu stellen. Sein abwesender Blick streifte haltlos über ihre in die Luft gereckten Beine.

"Was für einen schönen Geschichte", meinte er mit rauer Stimme. "Hat sie ein Happy End?"

Einen Träne löste sich aus ihrem Augenwinkel und fiel in ihren Wein.

"Ich weiß es nicht", flüsterte sie und suchte Halt an dem dünnen Stiel des Glases.
"Das Leben ist dazwischengekommen. Und so haben sie beschlossen, eine Auszeit zu nehmen, um sich über ihre Gefühle klar zu werden. Sie haben allen Kontakt abgebrochen, die Nummern gewechselt und sind umgezogen"

"Und das ist das Ende?", fragte er.

Sie zuckte nur die Schultern, hob das Glas an die Lippen und trank den letzten Schluck ihres Weins. Dann kramte sie in ihrer Tasche, wurde aber mitten in ihrer Bewegung von ihm unterbrochen.

"Lass nur. Ich mache das schon"

Sie blickte auf, in seine warmen, braunen Augen. Ein zaghaftes Lächeln umspielte ihr schmalen Lippen.
Sie stützte sich an der Kante des Tisches ab, als sie aufstand.

Er erhob sich ebenfalls und deutete eine knappe Verbeugung an.
"Madame?"

Tränen schossen ihr in die Augen, während sie seinen Gruß erwiderte.
"Monsieur?"

Dann drehte sie sich um und ging mit festen Schritten, ohne noch einmal zurückzublicken. Die Hände hatte sie dabei um den schmalen Riemen ihrer Tasche gekrallt.

Sobald sie verschwunden war, leerte er sein Glas im Stehen und griff nach seinem Portemonnaie. Als er einen Geldschein auf dem Tisch platzierte, fiel ihm plötzlich ein Zettel auf, der unter dem Fuß ihres Weinglases klemmte. Gewissenhaft schob er das Papierstück in das Fach seines Geldbeutels, in dem auch ihr Foto steckte. Er musste es nicht ansehen um zu wissen, was darauf stand.

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