Der 50. Tag

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"Wo gehen wir hin?", frage ich Luca und Zen, als ich ihnen mit schweren Beinen hinterherlaufe. Wir sind seit gefühlten Stunden unterwegs und folgen einem Weg, den nur die Beiden sehen. Je weiter wir kommen, desto steiniger und steiler wird der Weg. Der Wald wird immer spärlicher und ich bekomme ein leichtes Unwohlsein in meiner Magengrube. Was haben sie nur vor?

"Als Schattenjäger ist man niemals allein. Man hat einen treuen Begleiter. Wenn du so weit bist, wirst du ebenfalls einen Begleiter wählen", erklärt Luca. 

"Und was soll das sein?", frage ich.

"Das wirst du dann schon merken."

Als der Weg einer steinigen Felswand gewichen ist, habe ich das Gefühl, dass meine Lungen platzen würden. Ich kratze mir meine Hände an den spitzen Steinen auf und ständig habe ich diese Angst herunter zu fallen. Glauben die wirklich, dass ich es schaffe zu klettern? Es ist kein hoher Fels, aber trotzdem. Ich habe verdammte Höhenangst. Doch ich zeige sie nicht. Zumindest versuche ich es, obwohl ich am ganzen Leib zittere und an meine Muskeln nicht glaube. 

"Ist es noch weit?", frage ich erschöpft. Der Tag neigt sich langsam dem Ende zu und wir sind noch immer auf den Beinen. Ich kann nicht mehr. 

"Ja, nimm meine Hand", ruft Zen plötzlich und ich rümpfe die Stirn. Wie kann er nur so schnell klettern?

Ich ergreife seine starke Hand und lasse mich von ihm hoch ziehen. Erschöpft bleibe ich wie so ein Frosch auf dem Bauch liegen und versuche meine Atmung unter Kontrolle zu bekommen. 

"Ihr Spinnt ja. Komplett. Ich kann nicht mehr ich..." 

"Halt die Klappe und steh auf", schneidet mir Luca das Wort ab. Ich rolle mit den Augen, folge allerdings ihrer Bitte und als ich die Kulisse sehe, die sich vor mir ausbreitet, verschlucke ich mich an meiner eigenen Spucke und muss stark husten. 

Zen klopft mir auf den Rücken und fragt besorgt: "Ist alles in Ordnung mit dir?"

Ich hebe die Hand, so als Zeichen dass alles in Ordnung ist, während ich einen Lungenkollaps bekomme. Zen klopft mir auf den Rücken und ein Speichelfaden rinnt langsam aus meinem Mund, während wir alle drei beobachten, wie er langsam auf den Boden fällt. 

Dann herrscht Stille. Luca räuspert sich. "Schön nicht?", fragt sie. 

"Ähm... ja", antworte ich. Und das ist es wirklich. Ich meine ich habe mich sogar an meiner eigenen Spucke verschluckt. Vor uns erstreckt sich eine riesengroße Weidenlandschaft voller Tierwesen, die ich in meinem Leben noch nie gesehen habe. In der Ferne kann ich einen, in der Sonne schimmernden, See sehen um den sich einen Haufen Tiere versammelt haben. Ich erkenne die Wölfe dieser Welt und Dracen. Doch die anderen Tiere sind mir unbekannt. Manche haben ganz lange Hälse und im vergleich dazu einen unpassend kleinen Körper. Andere haben Körper aus Stacheln und wiederum andere sehen aus wie Rehe, haben allerdings ganz bunte Flecken. Werde ich mich wohl jemals an diese Welt gewöhnen können?

"Was tun wir hier?", frage ich.

"Tiere beobachten und schwimmen gehen", antwortet Luca ganz locker. 

"Schwimmen gehen? In diesem Loch? Voll mit den ganzen Tieren? Ist das denn sicher?", frage ich.

"Solange wir beweisen, dass wir die stärksten hier sind schon."

"Aha. Toll.."

"Lern die Tiere dieser Welt kennen. Beobachte sie, Studiere sie und merke dir ihre Namen. Erkennst du einige von diesen wieder? Gibt es die dort wo du her kommst auch?", fragt Luca, sieht mich dabei allerdings nicht an.

Ich schüttle den Kopf. Und denke unweigerlich an zu Hause. Ein stechender Schmerz breitet sich in meiner Brust aus, als mich Erinnerungen durchfluten. Ich kann nicht antworten. Meine Zunge fühlt sich so taub an. Ich starre einfach nur mit weit geöffneten Augen nach vorne. Es tut mir so leid, schießt es mir durch den Kopf. Es tut mir leid, dass ich angefangen habe zu vergessen. Ich habe sie alle vergessen. Meinen Vater, meine Mutter. Meine Freunde. Als ich krampfhaft versuche ein Bild von ihnen herauf zu beschwören, funktioniert es nicht. Es scheint alles so verschwommen, gesichtslos. Wieso kann ich mich nicht erinnern? Wieso vergesse ich? Bin ich etwa wirklich gestorben? 

Reminiscence - Meine ErinnerungenOpowieści tętniące życiem. Odkryj je teraz