Der 75. Tag

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Trotz unserer verlorenen Kompanen und dem anstrengenden Kampf, möchte der Prinz seine Rettung mit einem Ball feiern. Es kommt mir schmierig und ekelhaft vor vorzugeben, froh zu sein. Denn ich bin es einfach nicht. Dieser Soldat, der vom Baum gestürzt ist, als er von einem Pfeil getroffen wurde hat sich in meine Erinnerungen gebrannt und sucht mich Nacht für Nacht heim. Es ist nicht so, dass ich schreiend von meinen Albträumen aufwache, oder jedes mal schweißnass bin. Nein, es ist diese Angst, die sich plötzlich in mir breit macht. Diese Angst, dass ich die nächste sein könnte. Bei dem Gedanken wird mir ganz kalt und ich schlinge meine Arme um mich herum. 

"Du wirst einmal drüber hinweg kommen müssen", vernehme ich plötzlich Lucas Stimme neben mir und ich sehe zu ihr auf. Sie blickt auf den Ballsaal, der sich mit immer mehr Leuten füllt. Menschen und Wesen, die ich noch nie gesehen habe füllen die protzig geschmückten Räumlichkeiten. Es wird gelacht, getanzt und getrunken. Nur ich kann mich einfach nicht freuen. Ich antworte Luca seufzend: "Ja ich weiß." 

"Du kannst sie niemals alle beschützen", entgegnet sie ruhig und nimmt einen Schluck von ihrem Getränk.

"Ich kann es allerdings versuchen", meine ich.

"Und daran elendig scheitern und schließlich an deinem Gewissen zugrunde gehen. Hör zu Nika. Tot nützt du uns gar nichts. Und während das Leben deiner Kameraden wichtig ist, sollte dir dein eigenes Leben am wichtigsten sein. Du bist schwach, also übe mehr", sagt sie und bleibt dabei ganz kalt. 

"Das hört sich sehr selbstsüchtig an." 

"Das ist es auch", sagt sie, dreht sich zu mir um und nimmt mir plötzlich mein Getränk weg. "Also, kein Alkohol während du noch so ein Schwächling bist." Dann trinkt sie mein gesamtes Glas aus und ich boxe sie in die Schulter. 

"He das war meins!", rufe ich genervt und verdrehe die Augen. 

Da lacht Luca schelmisch auf und ruft plötzlich über meine Schulter hinweg: "He Zen! Sie hat ihre Augen verdreht. Die nächste Runde geht auf dich." Sofort fahre ich herum und sehe Zen hinter mir stehen, der sich genervt die Stirn reibt. 

"He wieso dürft ihr trinken und ich nicht? Nicht fair!", sage ich entrüstet, woraufhin mir Luca eine Hand auf den Kopf legt und mir meine Haare verwuschelt, als wäre ich noch ein kleines Kind. Ich versuche ihre Hand abzuschütteln, doch keine Chance.

"Weil du mehr trainieren musst als wir", meint sie, dreht sich dann um und geht zu einer Gruppe von seltsam aussehenden Menschen mit grünlicher Hautfarbe. Sehen irgendwie aus wie Aliens, denke ich mir insgeheim. 

"Wollen wir tanzen?", vernehme ich Zens Stimme. Dabei streckt er mir auffordernd seine Hand hin und fixiert mich mit seinen schwarzen Augen, die so unergründlich scheinen wie eh und je. Erst jetzt fällt mir auf, wie gut er heute aussieht. Seine Rüstung hat er gegen ein schwarzes, edel aussehendes Jackett getauscht, das seinem guten Körperbau schmeichelt. Seine Hosen sind schwarz und eng anliegend. Seine schwarzen Haare und seine gesamte Erscheinung lassen ihn tatsächlich gefährlich, unergründlich und einschüchternd wirken. 

Doch ich ergreife trotzdem seine Hand und lasse mich die goldenen Stufen hinab zur Tanzfläche geleiten, an der bereits rege getanzt wird. "Kennst du unsere Tänze hier?", fragt mich Zen, als wir uns zum Tanz bereit machen. Dabei stellen wir uns gegenüber hin, während er nicht ein mal meine Hand los lässt und mich mit seinem Blick fest fixiert hat. Er wirkt heute so anders, stelle ich fest. "Nein, doch das muss ich auch nicht", sage ich. "Ich werde so tanzen, wie ich es zu Hause gelernt habe." Als ich das sage, fährt mir kurz ein stechen durch mein Herz. Zu Hause. Ja, wo ist mein zu Hause überhaupt? Ich kann mich daran nicht einmal mehr erinnern. 

Doch als mich Zen zu sich zieht und wir uns im Takt des Walzers beginnen zu bewegen, vergesse ich meine Trüben Gedanken sehr schnell. Er hält mich so fest an sich gepresst, dass ich sogar seinen vertrauten Duft nach Tannennadeln und Wald riechen kann. Unwillkürlich wird mir ganz warm, als Zens Hand an meiner Hüfte immer weiter hinab rutscht.

Reminiscence - Meine ErinnerungenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt