Der 120. Tag

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Viele Wochen sind seit diesem peinlichen Tag vergangen, als Luca mich und Zen erwischt hatte. Nach diesem Zwischenfall musste ich mir eine gefühlte Ewigkeit lang die schlechtesten Witze von Luca und sogar dem Prinzen anhören, die ich jemals gehört hatte. Und nicht nur das, sogar einige Bedienstete zwinkerten uns zu oder strahlten uns an, als wir an ihnen vorbei gingen. Jedes mal wollte ich im Boden versinken, wohingegen Zen die Aufmerksamkeit scheinbar zu genießen schien. Doch nun, nach sechs Wochen sind auch diese Witze endlich abgeflacht und die Leute haben sich damit abgefunden, dass Zen und ich nun eine Romanze pflegen. Ist es eine Beziehung? Keine Ahnung. Ist es Liebe? Kann schon sein. Ich habe mir darüber noch keine Gedanken gemacht und einfach unsere gemeinsame Zeit genossen.

Auch das Training mit Luca ist in dieser Zeit viel intensiver geworden und es haben sich deutliche Erfolge bei mir abgezeichnet. So starke Erfolge sogar, dass ich heute mit dem größten Belohnt werde, was ein Schattenjäger jemals bekommen könnte - einen Dritka. Es ist nicht so, dass man sich einen Dritka in einem Geschäft oder bei einem Händler kaufen kann oder dass man sich einen aussuchen kann, der einem gefällt. Nein, um einen Dritka zu besitzen muss man dort hin gehen, wo sie sich auch aufhalten. Zu einem Ort, der viel zu weit entfernt ist um ihn an einem Tag zu erreichen. Man muss eines Dritkas würdig sein und auf dem Weg zu ihnen haben bereits viele angehende Schattenjäger ihr Leben lassen müssen.

"Denkst du wirklich, dass ich bereit bin?", frage ich Luca, als ich mir ein Schwert aussuche. 

"Körperlich bist du agil genug und Wissen hast du auch schon gesammelt. Es wird sich herausstellen, ob du auch wirklich würdig bist", meint sie mit versteinerter Miene. 

Ich nicke und hole Blacky, mein gesatteltes Pferd, aus den Stallungen. Vor den Stufen des Palastes stehen der Prinz, Zen und die Leibgarde des Prinzen. Sie nicken uns zu. Dort wo die Dritkas sind, dürfen nur Schattenjäger und ihre Lehrlinge hin und leider ist Zen kein Schattenjäger. Ich blicke ihn etwas traurig an und er erwidert meinen Blick. In seinen Augen scheint ein klein wenig Stolz auf. 

"Komm bloß wieder zurück", meint er und sieht mich liebevoll an. 

"Meine Güte jetzt verabschiedet euch richtig", meint der Prinz mit verschränkten Armen während er die Augen verdreht. Sein Verhalten entlockt mir ein leises Lächeln. Schon seltsam. Noch vor einigen Wochen hätte ich niemals wegen einer Bemerkung des Prinzen gelächelt. 

Ich werde in den Arm genommen und warme Lippen treffen auf meine, als Zen mir einen Abschiedskuss gibt. Es könnte der letzte Kuss sein, den er von mir bekommt. "Bitte komm zu mir zurück", meint er flüsternd.

"Natürlich. Du kennst mich doch, ich schaffe alles", erwidere ich genauso leise. "Und du halt die Stellung hier." 

"Es wird schon nichts passieren. Es ist ruhig geworden", meint er, mich fest umarmend. 

"Man weiß ja nie, vielleicht ist dies nur die Ruhe vor dem Sturm. Das Nachbarkönigreich scheint nicht freundlich zu sein." 

"Wir werden sehen", antwortet Zen und lässt mich los. Er blickt mir noch ein letztes mal tief in die Augen. Ohne Worte gibt er mir zu verstehen, was er fühlt, denkt und will. Ich lächle ihm noch einmal aufmunternd zu, ehe ich mich umdrehe und auf mein Pferd steige.

Ich blicke noch einmal zum Palast zurück und den großen, weißen Stufen entlang bishin zu den mächtigen Mauern, die Jahrhunderte schon überdauert haben. Die Morgensonne wärmt mir den Rücken und die Drachenartigen Vögel kreisen über dem Palastgarten. Der Prinz nickt mir nochmals zu, was ich erwidere, ehe ich mich umdrehe und mich meinen Wegbegleitern anschließe. 

Wir sind zu fünft. Davon ist ein weiterer Lehrling, ein Schattenjäger, Luca und eine Bedienstete dabei. Den Weg werden wir nicht immer mit den Pferden zurücklegen können. Die Bedienstete wird dann die Pferde zurück führen. 

Reminiscence - Meine ErinnerungenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt