2| Elody

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"Ihr habt alle etwas zu verlieren.
Spielt mit oder ihr werdet es bereuen."
Fassungslos starre ich auf das Display meines Computers. Ich kann den Absender der Mail einfach nicht herausfinden. Ob das nur ein dummer Zufall ist?
Aber was soll das heißen, ihr habt alle etwas zu verlieren? Das soll ja wohl ein schlechter Scherz sein.
Oder?

Meine Finger lassen von dem Bleistift ab, krallen sich in den Stoff meiner Jeans. Alles ist still, bis auf das leise Summen des Monitors.

Ich wüsste nur eine einzige Sache, mit der man mir etwas anhaben könnte.

Plötzlich beherrscht ein furchtbarer Gedanke meinen Kopf.
Was ist, wenn wirklich jemand davon weiß?
Nervös streiche ich mir eine dunkle Locke hinters Ohr und tippe unruhig mit den Fingern auf dem Schreibtisch herum.

Nein, das ist Blödsinn.
Niemand hat auch nur die leiseste Ahnung.

Seufzend lehne ich mich zurück und spiele an meinem schlichten Silberarmband herum, dass mir zur Konfirmation geschenkt wurde. Während meine Finger den vertrauten sternförmigen Anhänger ertasten, ordnen sich meine Gedanken langsam wieder und vor meinem inneren Auge formt sich ein klares Bild: Rötliche Haare, hübsche sturmgraue Augen und ein freches Grinsen.
"Jason du Idiot", zische ich wütend und erinnere mich daran, dass der Junge mich erst gestern nach meiner neuen Nummer gefragt hat und mir, als ich diese nicht herausrücken wollte, seine eigene aufgedrängt hat.
Kurz nachdem er sich über meine Vorliebe für Horrorfilme lustig machte.
So wie ich ihn kenne, würde es wirklich äußerst gut zu ihm passen, sich basierend darauf einen dummen Scherz auszudenken...

"Nur weil ich dir meine Nummer nicht gegeben habe, nervst du mich per E-Mail? Wie armselig", murmele ich, während ich grimmig mein Sweatshirt schnappe und die Taschen durchwühle. Triumphierend ziehe ich ein mehrfach gefaltetes Stück Papier heraus. Mit vor Wut zitternden Fingern öffne ich es, versuche die Gedanken, die ich all die Monate mühsam verdrängt hatte, zurückzuhalten.

Hätte Jason diese Mail geschickt, wenn er gewusst hätte, was sie in mir auslöst?

Missmutig greife ich nach meinem Handy und tippe die Nummer, die mit krakeliger Schrift auf den kleinen Zettel gekritzelt wurde, ab.

"Sehr lustig, habe selten so gelacht.
Wie lange hast du bitteschön
gebraucht, die Adresse auf der
Kursliste rauszusuchen?
Wie erbärmlich kann man
eigentlich sein? Also ehrlich,
ich hätte mehr erwartet. "
23:25 Uhr

Grimmig tippe ich auf "Senden", lege das Gerät mit dem Display nach oben auf meinen Schreibtisch und betrachte die kleine Anzeige
"Zuletzt online um 19:56 Uhr".
Ich weiß, dass ich überreagiert habe; zumindest aus seiner Sicht, aber es könnte mir nicht gleichgültiger sein. Er hat Erinnerungen in mir geweckt, auf die ich gerade einfach keine Lust habe. Der Tag war so schon anstrengend genug.

Meine Hände sind zu Fäusten geballt, während ich darauf warte, dass sich die Uhrzeit in ein "online" verwandelt. Nach kurzer Zeit schmerzen meine Finger und meine Knöchel treten weiß hervor, doch ich bewege mich nicht, kann nicht anders als zu warten. Ich muss einfach seine Erklärung hören. Ich brauche einfach nur die Gewissheit, dass diese Mail auf seinem Mist gewachsen ist.

Was für ein blöder Abend.

Ungeduldig schnappe ich mein Handy und tippe darauf herum. "Möchtest du jetzt endlich mal antworten?", fahre ich mein blasses Gesicht, das sich leicht im Display spiegelt, an. Kurz darauf lege ich das Handy wieder weg, nur um abermals nach dem Sternenanhänger an meinem Handgelenk zu tasten.
Was, wenn es nicht Jason war?
Dieser Gedanke macht mir mehr Angst als alles andere. Einen einfachen Scherz von einen gutmütigen aber überaus nervigen Jungen könnte ich vertragen, doch was wäre, wenn jemand Bescheid wüsste? Über...einfach alles?

Spiel oder StirbWhere stories live. Discover now