#14.5

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Es war Dales Art gleich zur Sache zu kommen, wenn etwas Wichtiges anstand, wie zum Beispiel, wenn er Kade um dessen Standpunkt im Wettkampf informierte. Auch jetzt reagierte er schnell, weshalb er sofort nachdem Kade die Tür zum Trainingsraum schloss zu dem Schrank eilte, in dem er die Aufzeichnungen zu all seinen Schülern aufbewahrte. „Steig schon mal runter", verlangte Dale ohne Begrüßung und ohne aufzusehen. Kade schaute ihm unauffällig zu wie er in dem Schrank herumkramte während er sich auf die Arena zubewegte und schließlich hinabstieg.
Wenige Augenblicke später kam Dale ebenfalls zu ihm nach unten gestiegen. Er trug eine lange Sportjacke, was ungewöhnliche Kleidung fürs Kämpfen war, doch als er eine Hand aus der Tasche zog, verstand Kade.
Während der Trainer die eine hob, schob die andere Hand seinen Schüler näher zu sich, sodass gerade noch genügend Platz zwischen ihnen für eine kleine orange Dose war. Kade musterte sie und sah, dass sie halb voll mit kleinen Pillen gefüllt war.
„Ich mache dir jetzt ein Angebot, Kade. Nicht mehr und nicht weniger. Denn das da...", Dale schüttelte die Dose einmal leicht, „ist dein Geheimnis zum Sieg."
Kade musste sich zwar sowieso konzentrieren, da Dale leise sprach, doch er konnte sich nicht erinnern jemandem schon jemals so aufmerksam zugehört zu haben.
„Du willst gegen Hunter ankommen, ihn in der zweiten Meisterschaft besiegen, das ist dein Ziel", erklärte Dale und Kade nickte. „Wenn er aber mit seinem unautorisiertem Training so weitermacht, stehen deine Chancen ziemlich niedrig den Vorsprung wieder aufzuholen." Kade machte Anstalten nach dem Döschen greifen zu wollen und Dale gab es ihm.
„Also, entweder wir machen 100 Stunden mehr Training in der Woche", fuhr er fort und zeigte auf den Behälter, „oder wir lassen dich von dem hier – zumindest für kurze Zeit – auf sein Level katapultieren. Wenn nicht sogar darüber"
Kade betrachtete die Tabletten genauer. Sie waren klein, rund und sahen wie jedes andere Medikament, das man in einem gewöhnlichen Arzneischrank finden konnte, aus. Er bezweifelte jedoch, dass Dale sie oben in einer regulären Apotheke gekauft hatte.
„Aber das wäre Betrug...?", meinte Kade und schüttelte dabei leicht den Kopf, was Unmut signalisieren sollte, nicht Ablehnung.
„Ich wusste, dass du das sagen würdest", seufzte Dale. „Ich weiß das, Kade, aber ich will dir nur helfen. Und ich kann dir versichern, dass du nicht der Erste wärst, der ein bisschen nachhilft, und bestimmt auch nicht der Letzte."

Der 16-jährige war zwiegespalten, da er abwägen musste wie viel ihm Ruhm und Ehre tatsächlich wert waren. Jahrelang arbeitete er nun schon auf das Ziel hin einer der wenigen zu sein, die zum finalen Wettstreit um die Herrscherposition antreten durften.
Inspiriert dazu hatte ihn die Geschichte seiner Familie, die sich Generation um Generation immer weiter nach oben kämpfte. So kamen sie an ihren jetzigen guten Stand, doch in die Regierung hatten sie es bisher nicht geschafft.
Rivalität, Verrat und illiberale Denkweisen ließen bei den Vorbereitungen zum letzten Regierungswechsel ihren ersten Versuch an den finalen Kämpfen teilzunehmen, scheitern, doch Kade schwor die Geschichte sich nicht wiederholen zu lassen.
Andererseits wusste er jedoch gut genug über ihre Gesetze Bescheid, um die Folgen eines Regelverstoßes einschätzen zu können. Ebenso sagte ihm seine moralische Einstellung, dass Manipulation seiner selbst und Betrug gleichgestellt werden konnten mit der unehrlichen und makaberen Art, mit der die erste Chance zum Sieg vernichtet wurde, was ihn nicht besser machen würde als den Feind, auch wenn dieser mit seinen eigenen Waffen geschlagen würde.
Es war schwer für Kade zu entscheiden, ob die Risiken es wert waren, denn alles was er schließlich wollte war der Rivalität zwischen ihm und Hunter ein Ende zu setzen. Nur waren sie beide unfassbar stur und wussten, dass der jeweils andere nicht aufgeben würde, ehe er nicht erreicht hatte was er wollte.
Was Kade und Hunter unterschied waren der Einfluss, den sie erhielten, und ihre Einstellung. Beide standen unter immensem Druck und hatten Erwartungen zu erfüllen, sowohl für sich selbst als auch für andere. Doch Kade startete von Null, er musste sich alles selbst erkämpfen und wusste außerdem was es hieß zu verlieren. Hunter muss seinen Ruhm und Erfolg lediglich verteidigen, doch er hatte dabei solche Angst zu scheitern, dass er dies mit allem in seiner Macht stehende tat.
Kade glaubte zum Großteil über Hunters Motivation und Ansichten Bescheid zu wissen und sähe eigentlich keinen Grund ihm im Weg zu stehen und sein Leben noch weiter zu erschweren. Da Hunter allerdings nicht so über Kade zu denken schien und er ebenfalls das Erbe seiner Familie trug, konnte er sich nicht so leicht geschlagen geben.
Es musste einen Sieger geben.

„Lass dir ruhig Zeit", meinte Dale, da Kade eine Weile still geblieben war.
Doch sogleich er dies erwähnte begann Kade erst langsam und dann stärker zu nicken und schloss dabei die Hand enger um die Dose. Er sprach es nicht aus, sondern fragte den Trainer nur mit einem Blick ob es die richtige Entscheidung gewesen war.
„Die Sache bleibt unter uns. Nicht einmal dein Vater muss davon erfahren", meinte er aufbauend und machte die Andeutung eines Lächelns.

Kade wusste, dass Dale halten würde was er versprach, als er meinte niemand würde es je erfahren. Inzwischen war er für ihn mehr als nur sein Trainer und auch wenn er anfangs eben nur das für ihn war, hatte er Kade schon immer verteidigt. Bis heute ist dem Jungen nicht klar warum, doch er hatte auch nie danach gefragt.
Dale riet ihm außerdem den Behälter möglichst unauffällig zu transportieren, beim Verlassen des Trainingsraumes sollte er besonders Acht geben, da wegen der Akten Überwachungskameras installiert wurden, die die Schränke und den einzigen Ausgang im Bild hatten.
Nun bemühte sich Kade sein T-Shirt möglichst weit nach unten zu ziehen um die zylindrische Delle in seiner Hosentasche zu verbergen. Und auch, wenn ihm auf dem Weg nur eine einzige Person begegnete, war dies durchaus notwendig.
Denn sowohl Kade als auch Hunter waren überrascht den jeweils anderen anzutreffen. Sie sprachen kein Wort miteinander, tauschten nur kurze, misstrauische Blicke aus und gingen weiter ihrer Wege. Kades Verhalten, abends von einer Trainingsstunde zurückzukehren, galt in seinen Augen nicht als Verbrechen, doch Argwohn lag wohl in Hunters Natur.
Dessen Vorhaben, die Anlagen betreten zu wollen während sie geschlossen waren, schien für Kade aber durchaus verdächtig. Er entschied sich wegen den Pillen, die er bei sich trug, ihm nicht zu folgen, doch vergessen würde den kurzen Moment nicht.

an unalike romeo and juliet storyWhere stories live. Discover now