Schon seit einer halben Stunde sind sie unterwegs. Mit Kopfhörern in den Ohren schaut sie einfach nach draußen und trommelt den Takt zur Musik mit. Sie will so wenig Zeit mit Sasha verbringen wie nur möglich. Nach dem Abend wird alles wieder seinen gewohnten Gang gehen. Sie kann sich auf die Schule konzentrieren, lernen, in der Suppenküche helfen und im Burgerladen arbeiten. Alles wie immer.
Vorsichtig quetschen wir uns mit unseren Getränken zu unseren Plätzen. Quinn versucht, mit ihren hohen Schuhen und dem viel zu engen Kleid die Stufen hinunterzugehen. Warum sie sich so zu einem Footballspiel anzieht, versteht sie nicht, hinterfragt es aber auch nicht. So wichtig ist es ihr nicht, um sich damit zu beschäftigen. Wahrscheinlich will Quinn einfach nur Sasha beeindrucken. Nachdem sie die Plätze gefunden haben, setzen sie sich hin und schauen auf das Spielfeld. Lia war schon lange bei keinem Spiel mehr und ist sichtlich erfreut, hier zu sein – vor allem, da sie so weit vorne sitzt, dass sie die Spieler fast berühren kann. Jetzt betreten die Spieler das Feld, schütteln den Gegnern die Hand und begeben sich auf ihre Positionen.
„Lauf, lauf, lauf, lauf...!“ Aufgeregt steht sie auf und verfolgt mit den Augen Kyle Wilson, einen der Spieler, der gerade dabei ist, einen Touchdown zu erzielen. „JAAA!“ Freudig springt sie auf und ab. Ihr Blick geht zu Quinn, die gelangweilt auf ihr Handy schaut und sich fragt, warum man nur so auf Football abfahren kann. Nachdem sich die Menge wieder beruhigt hat, setzt sich Lia zurück auf ihren Platz. „Gott sei Dank sind wir gleich noch backstage...“ murmelt Quinn vor sich hin und freut sich schon auf den Alkohol.
Das war mal wieder ein tolles Spiel. Und dann kam auch noch der entscheidende Touchdown von Kyle Wilson, dem süßesten Spieler im Team – zumindest findet Aurelia das. Aber auch Quinn findet ihn ziemlich süß und hat sich vorgenommen, ihn heute Abend anzusprechen. Nicht umsonst hat sie sich extra Karten mit Backstage-Tickets von ihrem Vater besorgen lassen. Sasha ist zwar heiß und super im Bett, aber er wird es nie weiterbringen als auf dem Bau zu arbeiten, und mit so einem Mann will Quinn sich nicht abgeben, wenn sie ganz oben auf der Promileiter stehen will. Es sieht doch viel besser aus, wenn sie die Frau eines der reichsten und heißesten Junggesellen wäre. Während des gesamten Spiels hat sie sich schon ausgemalt, wie sie wohnen würden, wie ihre Kinder aussehen könnten, aber am wichtigsten, wie ihr Konto und der Name darauf aussehen würde. Quinn Wilson. Ehefrau von Kyle Wilson. Mutter von Chayenne und Charles Wilson. Das klingt für sie wie Musik in den Ohren. Dank Lia, die ihr ein bisschen was über die Spielregeln und Football erzählen kann, wird das ein Kinderspiel.
„So, Leute. Jetzt gibt es Alkohol und Gespräche mit heißen, durchtrainierten Footballspielern,“ sagt Quinn, den letzten Satz eher an Aurelia gerichtet, denn Sasha würde sie für diese Worte umbringen. Lia schaut einfach nur auf ihr Backstage-Ticket. Sie könnte jetzt mit dem Zug nach Hause fahren und müsste nicht länger unter Menschen sein, aber sie will unbedingt einen von den Steelers aus nächster Nähe sehen. Sie würde weder nach einem Autogramm noch nach einem Foto fragen – sie möchte sie einfach nur einmal aus der Nähe betrachten. Jetzt ist deren Zeit zum Feiern. Immerhin sind sie durch diesen Sieg dem Super Bowl einen Schritt näher gekommen. Aurelia ist fest davon überzeugt, dass sie diesen auch gewinnen werden. Noch drei weitere Siege, und sie sind dabei. Dann heißt es Konzentration und gewinnen.
An einer großen Tür zeigen die drei ihre Karten den zwei Türstehern, die furchtbar bedrohlich aussehen. Mit denen sollte man sich lieber nicht anlegen. Drinnen angekommen, schauen sich alle drei erst einmal um, bis Quinn die Bar entdeckt und Sasha auffordert, etwas zu trinken zu bestellen. Auf die Frage, ob Lia auch einen Sekt haben möchte, lehnt sie dankend ab. Sie hat noch nie viel Alkohol getrunken und wird auch jetzt nicht damit anfangen. Einmal hatte sie Vodka probiert. Danach musste sie fast kotzen. Dieses Gefühl kommt immer wieder hoch, wenn sie harten Alkohol riecht. Dann gibt es da noch Menschen wie Quinn, die ein ganzes Fass Tequila trinken könnten, ohne betrunken zu werden. Aurelia sieht sich im Raum um. Alle tragen schicke Kleider, nur sie steht hier in einer Jeans und einem zwei Nummern zu großen Steelers-T-Shirt mit der Nummer 22 und dem Namen Kyle Wilson drauf – das war das einzige, was es noch gab. Zufrieden war sie mit dem Kauf an dem Tag nicht, aber jetzt liebt sie dieses Shirt. Und da Kyle Wilson mittlerweile der beste Spieler des Teams ist, kann sie es tragen, ohne ausgelacht zu werden. Früher, zu Beginn seiner Karriere, war das anders, aber er hat sich sehr ins Zeug gelegt und ist mit 24 Jahren einer der erfolgreichsten und bestverdienenden Männer Amerikas. Gut aussehen tut er auch noch. Unbeschreiblich gut.
Und da betreten sie den Raum. Jeder beginnt zu klatschen. Nur Aurelia steht einfach nur da und betrachtet jeden einzelnen Spieler genau. Da ist er. Kyle Wilson. Seine Präsenz reicht bis zu ihr, obwohl sie mindestens 20 Meter von ihm entfernt steht. Sein Selbstbewusstsein und ein Hauch von Dominanz schüchtern sie ein. Die Art, wie er sich bewegt, den Leuten die Hand schüttelt, sein Lächeln, das klare Blau seiner Augen, die breiten Schultern und sein muskulöser Körper – das alles verleiht ihm Respekt. Doch die kleinen Grübchen, die sich beim Lächeln bilden, und das Funkeln seiner Augen haben einen gewissen Charme, sodass man sich gern in seiner Nähe aufhält. Und die raue Stimme, als wäre er gerade aufgewacht, verpasst jedem eine Gänsehaut. Erst jetzt wird Aurelia bewusst, dass er nur noch fünf Meter von ihr entfernt steht, damit ihr all das überhaupt auffallen konnte. Er kommt auf die drei zu, schüttelt Sasha und Quinn die Hand. Dann ist Aurelia an der Reihe. Er sieht auf sie hinunter und beginnt zu lächeln, als er das Shirt sieht. „Schönes T-Shirt,“ ertönt seine raue Stimme und bringt Lia ebenfalls zum Lächeln. „Danke,“ antwortet sie leise. Er lässt ihre Hand los und geht weiter, um die nächsten Leute zu begrüßen.
Nach und nach werden die drei auch von den anderen Spielern begrüßt, bis sie sich an einen der Tische setzen. Quinn hat schon ihr fünftes oder sechstes Glas Sekt intus, was man deutlich merkt – sie lockert sich und wird lauter, wie immer, wenn der Alkohol seine Wirkung zeigt. Aurelia fühlt sich jetzt ein wenig underdressed. Klar, Kyle Wilson hat gesagt, dass sie ein schönes Shirt anhat, aber das war bestimmt nur aus Höflichkeit, oder einfach, weil sein Name darauf stand. Innerlich ärgert sie sich ein wenig darüber, dass sie sich gegen ein Kleid und für das Shirt und eine Hose entschieden hat. Ändern lässt sich das jetzt aber nicht. Während Sasha nicht da ist, nutzt Quinn die Gelegenheit, um sich ein paar Football-Infos von Aurelia abzuholen, damit sie sich an Kyle heranmachen kann. Erzählen tut sie davon niemandem. Wenn es nicht klappt, wäre es ziemlich peinlich, und sie will sich keine Sprüche anhören müssen.
Nachdem Quinn alles erfahren hat, was sie ihrer Meinung nach gebrauchen könnte, steht sie ohne ein weiteres Wort auf und geht zu Kyle. Verwirrt schaut Aurelia ihr hinterher, zieht ihr Buch aus dem Rucksack und beginnt zu lesen. Sie hat jetzt alle gesehen, fast jedem die Hand geschüttelt, und für eine Sekunde kam ihr der Gedanke, dass sie diese Hand nie wieder waschen wird – den sie dann aber schnell wieder aus ihrem Kopf verbannt hat. Ihre Aufgabe für den Tag ist erledigt, und sie muss jetzt nur noch warten, bis Sasha und Quinn genug haben. Zwischendurch schaut Lia zu Quinn, die gerade mit Kyle spricht, dabei lachend seine Hand berührt und geschickt ihre Haare zurückwirft. Mit diesen Tricks wickelt sie jeden Kerl um den Finger, selbst die, die unnahbar wirken. Kyle ist das beste Beispiel dafür. Sie gibt ihr noch fünf Minuten, und er wird ihr aus der Hand fressen. Kopfschüttelnd widmet Lia ihre Aufmerksamkeit wieder ihrem Buch und hofft, dass das bald ein Ende hat.

YOU ARE READING
Touchdown in the heart
Teen Fiction■Überarbeitung am 11.11.24 beendet■ „Du hast mich belogen, Kyle", sagt sie leise. Er nickt. „Ja, habe ich." „Du hast mich benutzt, mich hintergangen und mich vor allen zum Narren gemacht", sagt sie mit zitternder Stimme. Er nickt erneut. Lia merkt d...