35~ kleines Geheimnis

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Kyle steht vor Sinners Haustür und überlegt, ob er wirklich klingeln soll. Schon seit fünf Minuten hadert er mit sich, während sein Freund John geduldig an seiner Seite steht und ihn beobachtet. John weiß genau, warum Kyle zögert. Wenn er jetzt einfach umdreht, das Auto vergisst und geht, könnte er die Sache vielleicht noch retten. Doch dann drückt Kyle doch auf die Klingel, und ein mulmiges Gefühl legt sich über ihn.

„Oh Mann…“ murmelt John und schüttelt leicht den Kopf. Er kennt Kyle gut genug, um zu wissen, dass er seinen Plan entschlossen durchziehen will – koste es, was es wolle. „Lia muss nichts davon erfahren,“ sagt Kyle leise und mehr zu sich selbst als zu John. „Dann ist alles in Ordnung. Sie ist glücklich, ich bin glücklich, und die Welt bleibt perfekt.“ Was er dabei nicht ahnt: Sinner hat selbst einen Plan, und der ist alles andere als freundlich. Der Gedanke, Kyle einfach so gewinnen zu lassen, ihn mit dem Auto, der Wette und auch noch dem Mädchen davonkommen zu lassen, ist für ihn unerträglich.

Die Haustür öffnet sich und Sinner tritt ihnen mit einem überraschend freundlichen Lächeln entgegen. „Kyle, John, gut, dass ihr da seid. Kommt, ich bringe euch in die Garage.“ Die beiden werfen sich einen skeptischen Blick zu. „Gut, dass ihr da seid?“ Was soll das denn bedeuten?

Sie folgen ihm über den knirschenden Kiesweg, und ein seltsamer, beißender Geruch steigt ihnen in die Nase. Es riecht verbrannt, fast so, als hätte jemand Plastik geschmolzen. Der Gestank scheint aus Sinners Haus zu kommen, doch sie wollen sich lieber nicht in seine Angelegenheiten einmischen.

Mit einem Knarren hebt sich das alte Garagentor, und eine dichte Staubwolke wirbelt im Licht der Nachmittagssonne auf. Der Raum ist vollgestellt, alte Kartons und Gerümpel stapeln sich an den Wänden, und der muffige Geruch alter Zeiten liegt in der Luft. In der Mitte steht ein mit einer abgenutzten Plane bedecktes Fahrzeug. Sinner greift nach der Plane und zieht sie mit einem Ruck herunter. Darunter kommt ein alter Porsche zum Vorschein, klassisch und kraftvoll.

Kyle und John sind sprachlos, als sie das Auto sehen. Kyle kann es kaum fassen, dass er wirklich gewonnen haben soll. Vorsichtig geht er um den Wagen herum, streicht ehrfürchtig über die Karosserie. „Den willst du mir einfach so abgeben?“ fragt er ungläubig. „Den hättest du locker für zweihundert Riesen verkaufen können…“

Ein mulmiges Gefühl beschleicht Kyle. An seiner Stelle hätte er das Auto niemals in einer Wette riskiert, vor allem, wenn die Gewinnchancen so niedrig standen. Doch Sinner winkt ab. „Der steht bei mir sowieso nur rum, und den Aufwand, ihn zu verkaufen, tue ich mir nicht an,“ erklärt er gleichgültig. „Hier sind die Papiere, der Schlüssel – viel Spaß damit.“ Er wirft die Unterlagen auf den Beifahrersitz und verschwindet zurück ins Haus, ohne die beiden eines weiteren Blickes zu würdigen.

Kyle und John schauen sich noch immer sprachlos an, bevor sie schließlich einsteigen. Kyle dreht den Schlüssel, und der Motor brüllt auf, die Vibration durchdringt den Boden und versetzt die beiden in Staunen. „Krass…“ entfährt es John, während ein Lächeln auf sein Gesicht schleicht.

Für einen Moment denkt Kyle darüber nach, wie gut die Wette mit Lia doch gewesen ist, doch kaum hat er diesen Gedanken, verwirft er ihn auch schon wieder. „Verdammt…“ murmelt er leise, doch John hört es nicht. Er legt den ersten Gang ein und fährt los, die weite Straße vor sich und die Sorgen im Rückspiegel. Sie fahren über den Highway, das Radio aufgedreht, während der Sommerwind durch das offene Verdeck weht und die Sonne langsam am Horizont versinkt.

Später am Abend halten sie auf einem Aussichtspunkt über der Stadt an, die Lichter unter ihnen glitzern wie Sterne. Sie haben den ganzen Tag damit verbracht, das Auto zu testen, herumzufahren und die Freiheit zu genießen. Doch irgendwann bricht die Stille, und John stellt die Frage, die ihm schon die ganze Zeit auf der Zunge liegt. „Und? Wie willst du das jetzt eigentlich Lia erklären?“

Kyle sieht zu seinem Freund herüber und spürt die Ehrlichkeit in Johns Blick. „Ich werde es ihr nicht sagen,“ sagt er schließlich. „Solange keiner was sagt, bleibt alles in bester Ordnung.“

John schüttelt den Kopf und sieht enttäuscht aus. „Das hat sie nicht verdient, Kyle, und das weißt du auch.“ Ein Moment des Schweigens folgt, und Kyle starrt gedankenverloren in die Dunkelheit. „Du spielst mit ihr,“ fährt John schließlich fort. „Du verarschst sie, belügst sie – nichts daran ist echt.“

„Am Anfang war es das vielleicht nicht… aber jetzt schon,“ gibt Kyle leise zu und fühlt das Gewicht seiner eigenen Worte. „Ich liebe sie, John.“ Er kann es selbst kaum fassen, dass er das gesagt hat. Noch nie hatte er das zu einem Mädchen gesagt, geschweige denn so empfunden.

John starrt ihn überrascht an. „Du… tust was?“

„Ich liebe sie,“ wiederholt Kyle, ein leises Lächeln auf den Lippen. Der Gedanke an Lia füllt jede seiner freien Minuten. Er vermisst sie, sehnt sich nach ihr, und die Vorstellung, sie zu verlieren, zerreißt ihn innerlich. „Ich will das nicht verbocken und sie verlieren. Aber wenn ich ihr die Wahrheit sage… sie wird mich hassen.“

John sieht die Besorgnis in Kyles Gesicht und versteht, dass seine Gefühle für Lia echt sind. Doch weiterhin zu lügen, das weiß auch John, wird nichts lösen. „Komm, wir fahren zurück. Morgen haben wir Training.“ Kyle nickt und startet den Motor. Er hatte gehofft, John hätte vielleicht eine Lösung für ihn, doch auch er scheint ratlos.

Auf dem Rückweg vibriert plötzlich Kyles Handy. Auf dem Display sieht er den Namen seines Vaters. Er seufzt und nimmt das Gespräch an. „Hallo, Dad.“

„Hallo, mein Sohn. Ich hoffe, du kommst am Freitag zu unserer Feier.“

„Ja, ich komme,“ antwortet Kyle und zögert kurz, bevor er hinzufügt: „Ich bringe übrigens jemanden mit.“

„Deine Freundin?“ fragt sein Vater, und ein Schmunzeln klingt durch die Leitung.

„Ja, meine Freundin,“ antwortet Kyle, leicht genervt. Für einen Moment herrscht Stille am anderen Ende, dann ruft sein Vater erfreut: „Liebling, Kyle bringt seine Freundin mit!“ Kyles Augen rollen, als er sein Handy vom Ohr weghält, um das Gejubel seiner Eltern nicht zu laut zu hören.

Doch dann hört er seinen Vater mit einer gewissen Zurückhaltung sagen: „Kim ist übrigens auch eingeladen, das kann ich jetzt schlecht rückgängig machen.“

Kyle seufzt tief und reibt sich die Stirn. „Dad, wie oft soll ich euch noch sagen, dass das mit Kim endgültig vorbei ist? Und wie soll sich Lia dabei fühlen? Wie soll ich ihr das erklären?" John zieht interessiert eine Augenbraue hoch.

„Nun, Kyle,“ antwortet sein Vater trocken, „vielleicht versuchst du es mal mit der Wahrheit. Die währt schließlich am längsten. Und du hättest uns auch eher sagen können, dass du eine Freundin hast. Dann hätten wir Kim nicht eingeladen. Wir sehen uns am Freitag.“ Ehe Kyle antworten kann, hat sein Vater aufgelegt.

Er legt das Handy auf den Beifahrersitz und seufzt schwer. Typisch sein Vater – immer direkt und kompromisslos. Nun gut, dann muss er Lia morgen wohl doch noch sein kleines Geheimnis beichten. Ein Knoten bildet sich in seiner Brust, und er fragt sich, wie sie darauf reagieren wird.

,,Also in deiner Haut würde ich momentan wirklich nicht gerne stecken." sagt John amüsiert und lacht leicht bei Kyles genervtem Gesichtsausdruck.

Touchdown in the heartWhere stories live. Discover now