hilfsbereit und freundlich

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Das Lagerhaus hatte sich in einem der Teile Londons befunden, die um diese Tageszeit dunkel und verlassen waren. Ein Industriegebiet, in dem auf Grund der angespannten Wirtschaftslage etliche Gebäude leer standen. Gregory hatte sich auf einen langen Fußmarsch durch die ungemütliche Dunkelheit eingestellt. Doch Mr. Holmes hatte den Anstand besessen, schon nach wenigen Schritten mit dem schwarzen Auto neben ihm anzuhalten und ihm die Heimfahrt anzubieten.
Zuerst war Gregory stur weitergegangen, doch die Aussicht, nach dem anstrengenden langen Arbeitstag noch Kilometer weit durch die Nacht zu laufen, hatte ihn schließlich davon abgebracht und so war er eingestiegen.
Im Fahrzeug selber hatten sie beide geschwiegen. Er hatte angestrengt aus dem Fenster in die nächtliche und doch so lebendige Stadt geschaut.
Schließlich hatte Holmes ihn vor seiner Wohnung, oder besser Bruchbude, abgesetzt und sich erstaunlich freundlich verabschiedet.
Der Mann hatte einfach etwas an sich, was Gregory aufbrachte ... und ihm doch gleichzeitig gefiel.
Das verwirrte ihn, aber es war auch angenehm.
Nun, egal, er, Gregory, hatte jedenfalls deutlich klar gemacht, dass er so nicht mit sich umgehen ließ.
Nun war der Ball in Mycrofts Hälfte des Spielfeldes.

Das war gestern Abend gewesen und nun saß Gregory in seinem Büro bei New Scotland Yard über seinen Schreibtisch gebeugt, vor sich einen großen Stapel mit Papierkram, der seine Aufmerksamkeit erforderte.
Er bemühte sich redlich, aber dennoch wollte es ihm nicht gelingen, sich zu konzentrieren. Immer schweiften seine Gedanken ab zu den Ereignissen des gestrigen Abends. Immer wieder sah er Mycroft Holmes vor sich, die hohe schlanke Gestalt, die blitzblauen Augen.
Ja, auch wenn er immer noch wütend über die „Entführung" war, der Mann gefiel ihm. Das konnte er nicht abstreiten. Und ja, er würde es wirklich mögen, wenn der sich dazu durchringen könnte, mit ihm auszugehen ... aber die Chancen standen sicher gegen Null.

Er hatte sich nämlich inzwischen ein wenig über Holmes' Familie erkundigt, wozu war man schließlich ein Cop. Und, nun ja, es handelte sich um eine alte wohlangesehene Familie. Sie waren das, was man ohne verlegen zu werden als „stinkreich" bezeichnen konnte, besaßen Geld, Ländereien, Firmenanteile etc.
Und sie waren versnobt bis zum Geht-Nicht-Mehr. Sherlock schien da eine Ausnahme zu sein, wenngleich auch eine etwas eigenartige.
Zuerst hatte Greg sich gewundert, dass sie Sherlock offenbar finanziell an der kurzen Leine hielten, immerhin suchte er einen Mitbewohner, um seine Wohnung bezahlen zu können ...
Dann jedoch war ihm aufgegangen, dass das sicher mit Sherlocks Drogenkonsum zu tun hatte.
Nun, wie auch immer. Ein Mann wie Mycroft Holmes würde jedenfalls keinerlei Interesse an einem angegrauten Cop wie ihm haben. Eher würde er ihn wieder entführen lassen und ihm vielleicht mit deutlich mehr Nachdruck seinen Willen aufzuzwingen versuchen.
Greg seufzte und machte sich wieder an den lästigen Schreibkram.

Es klopfte an die Tür seines Büros. Herrgott, nicht mal den Papierkram konnte man in Ruhe erledigen. Wenn das jetzt nicht mindestens ein Mordfall der Kategorie Acht war ... er musste grinsen. Himmel, er hörte sich ja schon an wie Sherlock.
„Herein!", rief er und blickte auf.
Sally Donovan betrat den Raum.
„Morgen Greg", sagte sie und schaute etwas unsicher hinter sich.
„Sally. Was kann ich für dich tun?"
„Nun, Greg ... du hast Besuch."
Greg wartete. „Herr Gott Sally, nun lass dir doch nicht alles aus der Nase ziehen!"
„Nun, da ist ein Mr. Holmes. Nicht der Freak, der neuerdings an unseren Tatorten Unruhe stiftet. Eher so ein ... feiner Pinkel."
„Sally, jetzt befleißige dich mal einer besseren Sprache ja? Und dann bitte ihn herein."
Sally grummelte, sagte dann aber „Okay, Boss!", was ihn zum Schmunzeln brachte, denn Boss nannte sie ihn nur, wenn er sie verärgert hatte.
Kurz drauf trat Mycroft Holmes durch die Tür.

Er sah genau so aus dem Ei gepellt aus, wie gestern Abend. Kein einziges Knitterfältchen in seinem Anzug. Kein einziges Bartstoppelchen.
Greg, der heute Morgen einfach noch zu verschlafen gewesen war, um sich vernünftig zu rasieren, fuhr sich mit der Hand verlegen über das Kinn. Das war eher eher eine schlechte Entschuldigung gewesen als eine richtige Rasur ... und sein Haar, das schon komplett grau war, und noch dazu immer aussah wie ein ungemachtes Bett, egal was er auch versuchte, damit anzustellen, trug sicher auch seinen Teil zu seiner eher derangierten Erscheinung bei.

Greg seufzte erneut und sagte freundlich:
„Guten Morgen, Mr. Holmes. Was kann ich für Sie tun?"
„Guten Morgen, Detektiv Inspector Lestrade. Ich stelle fest, die Frage, was Sie für jemanden tun können, scheint eine bei Ihnen häufig gebrauchte Wendung zu sein. Aber das passt zu Ihnen. Sie sind hilfsbereit und freundlich."
Greg spürte zu seiner großen Verärgerung, dass er rot wurde.
„Mag sein ...", murmelt er. „Nun ..."
„Ich möchte mich gern mit Ihnen über Sherlock unterhalten. Ich hatte gehofft, dass Sie mir doch noch einen Einblick in den aktuellen Stand der Dinge geben könnten." Holmes sah ihn auffordernd an.

Gregs Stirn verfinsterte sich.
„Und warum sind Sie dann hier? Haben alle leeren Lagerhäuser geschlossen?"
Ein amüsierte Schmunzeln war die Antwort.
„Oh nein, Detektiv Inspector. Es ist viel mehr so, dass ich mir Ihre Worte zu Herzen genommen habe. Sie haben mir gestern Abend ganz schön den Kopf gewaschen und ich sehe ein, das Sie recht haben. Daher habe ich beschlossen ..."
Er zögerte einen Augenblick.
„ ... nein, besser: daher möchte ich Sie bitten, heute Abend mit mir auszugehen. Zum Essen. Wenn ... wenn Sie Zeit haben."

War da etwa Verlegenheit in der Stimme des anderen? Gregs braune Augen ruhten neugierig auf dem Gesicht das Mannes vor ihm.
„Nun", sagte er, „wenn nicht heute noch ein Fall reinkommt, der meine Aufmerksamkeit erfordert, dann ... würde ich gerne mit Ihnen ausgehen. Ja."
Sein Herz klopfte etwas schneller, als er ein zufriedenes Lächeln auf Holmes' Gesichtszügen sah.
„Wunderbar, Det ..."
„Nennen Sie mich Gregory! Ich finde, wenn Sie mit mir ausgehen, sollten Sie mich nicht nur mit meinem Rang bezeichnen!"
Mr. Holmes' Lächeln wurde noch eine Spur wärmer.
„Gern. Und Sie nennen mich dann bitte Mycroft. Ich hole Sie gegen sieben Uhr bei Ihrer Wohnung ab, einverstanden?"

Als Holmes ... Mycroft das Büro verließ, hing ihm Gregorys Blick noch lange nach.
Er fühlte sich seltsam, wie ...
Nun, egal, er wollte jetzt nicht darüber nachdenken. Er freute sich einfach nur auf den Abend.

Was kann ich für Sie tun?Where stories live. Discover now