Kapitel 14

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Es ist still und ich nehme meinen Becher wieder in die Hände. Die leicht grünliche Flüssigkeit schwappt sanft hin und her und ich nehme einen Schluck. Dann setze ich den Becher ab und fange an zu lächeln. "Aber jetzt ist die Zeit gekommen, die Einstellung über Bord zu schmeißen." sage ich leise und überrascht sieht er mich an. "Alleine für meinen Bruder muss ich mich ändern. Zwar werde ich nie alles los, aber ich kann es probieren!" Kurz fixieren mich seine Augen, bevor er den Kopf schüttelt. Seine grünlichen Haare fliegen ein wenig herum und er sieht mich dann ernst an. "Mach das nicht."

Verwirrt runzle ich die Stirn. "Wie meinst du das?" frage ich und bin wirklich etwas... irritiert! Genji schließt kurz seine Augen, bevor er sie wieder öffnet und dann in seinen Becher hinein sieht. "Deine Einstellung zu ändern ist in ordnung. Wenn nicht sogar erstrebenswert!" Er seufzt und sieht mich an. "Aber du selbst solltest dich für niemanden ändern. Nur für dich. Und in deiner Situation würde ich erst recht dabei bleiben, ich selbst zu sein!" Ich höre ihm zu. "Ich weiß, wie du dich im moment fühlst. Und glaub mir wenn ich sage, dass du unbedingt du selbst bleiben MUSST! Ich habe das auch durchgemacht. Und ich habe einige Fehler begangen, die ich im nachhinein gerne ausbügeln würde. Unter anderem das ändern meines kompletten Wesens!"

Ich fühle, dass es ihm schwer fällt, über das Thema zu reden. Deswegen bin ich einfach still und lasse ihn seinen eigenen Weg machen. Sein eigenes Tempo. "Als mein Bruder mich töten wollte und ich wieder allen erwartungen überlebt habe, hatte ich nur ein Gefühl. Es war reiner Hass auf ihn! Ich habe es nicht verstanden! Konnte es nicht verstehen! Wollte es einfach nicht! Ich war so voller Hass und als ich meinen neuen Körper bekam, war ich nur von Rache erfüllt!" Sein Gesicht verzieht sich zu einer wütenden Maske. Als würde er alles nocheinmal durchleben und sich gerade mittendrinn befinden. Seine Augen verlieren sich in weiter ferne, obwohl er auf den Boden starrt.

Ich stehe auf und setze mich neben ihn. Lege ihm einfach nur eine Hand auf die Schulter um zu signalisieren, dass ich da bin. Er zuckt kurz zusammen und sieht mich dann an. Seine Augen bekommen langsam wieder einen Fokus und er seufzt. "Tut mir leid... Es ist nicht leicht, darüber zu reden." meint er leise und ich lächle ihn aufmunternd an. "Dann rede nicht darüber, bis du dir sicher bist. Zwing dich zu nichts... das bringt nichts!" Er schließt die Augen und ist still. Ich bin ein bischen müde und lehne mich an ihn. So weit vertraue ich ihm, dass ich weiß, dass er mich nicht gleich tötet. "Weißt du..." fange ich an und sehe nach vorne, ohne irgendwas wirklich anzusehen.

"Als ich bemerkt habe, dass Jesse abgehauen ist, hatte ich keinen Hass." fahre ich fort und spüre, wie er seinen Kopf zu mir dreht. "Aber du hast doch gesagt, dass du ihn abgrundtief gehasst hast!" meint Genji und ich lächle, ohne ihn anzusehen. "Am anfang nicht. Am anfang hatte ich nur Angst. Ich konnte mich nicht verteidigen und wir lebten in einer Zwielichtigen Gegend. Bei jedem Geräusch habe ich panisch zusammengezuckt und wollte einfach nur aus dem Albtraum aufwachen. Aber es ging nicht... Es war die Realität. Daher habe ich auf meine erste Narbe." sage ich und krempele den Ärmel meines linken Armes hoch. Dort kommen einige Narben zum Vorschein. Aber keine ist so auffällig wie die, die direkt an meinem Handgelenk ist.

Genji nimmt vorsichtig meinen Arm und streicht sanft darüber. "Du hast versucht dich umzubringen?" Ich schnaube und nicke lächelnd. "Am anfang dachte ich, dass ich mir schmerzen zufügen müsste, um aus dem Albtraum aufzuwachen und alles ist wieder normal. Mum und Dad sind da und Jesse kann mir wieder auf die Nerven gehen!" Mein Gesicht wird traurig. "Aber es war nie so. Jedesmal schnitt ich tiefer. Sah dem Blut weinend dabei zu, wie es auf den staubigen Boden tropfte und es in diesem versickerte. Und irgendwann konnte ich nicht mehr. Ich schnitt so tief es ging und sah zu, wie mein Blut floss. Ich wurde ohnmächtig und lag geschlagene drei Tage einfach nur im alten Elternzimmer unseres kleinen Zimmers. Da habe ich mich immer am sichersten Gefühlt."

Zwar überkommt mich der Drang auch, wieder in die Geschichte einzutauchen, aber ich wehre mich dagegen. Denn ich weiß, dass ich danach heulend auf dem Boden liegen würde. Zitternd. Nervlich am ende. Genji gibt nun auch mir die Zeit die ich brauche. Hört sich alles still an und hat meine Hand zwischen seine gelegt. "Als ich wieder aufwachte, habe ich meine Meinung geändert und fand den Tod scheiße. Und ich fand es beschissen, wozu Jesse mich am ende getrieben hat. Ich schwor mir, dass ich mich ändern musste. Und das habe ich auch getan. Ich ging von daheim weg und nahm nur das mit, was mich an alle meine Familienmitglieder erinnern würde. Den Mantel von Dad, ein Medaillion von Mum und eine von Jesse's Gürtelschnallen. Und erst ab da entwickelte sich der Hass auf meinen Bruder."

Genji hat sich während der Geschichte immer wieder verkrampft und entspannt. Hat sich wohl alles bildlich vorgestellt. Seufzend stehe ich auf und nehme vorsichtig meine Hand zwischen seinen hervor. "Naja... wie auch immer!" Mein Gesichtsausdruck wird wieder fröhlich und ich streiche mir durch dir Haare. "Danke für den Tee, die Dusche und die Kleidung! Ich werde mal nachsehen, ob die beiden fertig sind, mir dann mein Zeug schnappen und dann irgendwo pennen. Ist es in ordnung, wenn ich den Kimono behalte, bis ich neue Kleidung habe?" frage ich und etwas überrumpelt nickt der grünhaarige. Er scheint nicht damit gerechnet zu haben, dass ich jetzt gehe und bekommt nicht mehr als das hin. "Und du solltest übrigens mehr lächeln Genji!" sage ich und er runzelt die Stirn. "Das ist ein lächeln, wofür viele töten würden, um es zu erhalten." das letzte flüstere ich, bevor ich mich zur Tür drehe, diese aufmache und aus dem Zimmer gehe.

Der kleine TodesengelWo Geschichten leben. Entdecke jetzt