Zwei

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Ich werde erst am nächsten Morgen von Calla abgelöst. Sie hat Frühschicht und ist pünktlich um fünf da. Nach der Dienstübergabe habe ich Feierabend, ziehe mir meinen Mantel an, greife nach meiner Handtasche und verabschiede mich von meinen Kolleginnen und den ersten Kindern, die bereits auf den Beinen sind. Der kleine Matti schlingt seine Arme um meinen Bauch und drückt seinen Kopf an mich.

„Wann kommst du wieder, Emma?", fragt er. Matti ist schon eine Weile bei uns. Seine Eltern sind bei einem Autounfall ums Leben gekommen. Auf einen Schlag war er Vollwaise und seine näheren Verwandten wollten oder konnten ihn nicht aufnehmen. Er ist ein sensibler Junge und recht stark auf mich fixiert.

„Nach dem Wochenende, du musst also nur noch zwei Mal schlafen", sage ich lächelnd und streiche ihm durchs Haar, wie ich es bei fast allen Kindern hier tue. Es beruhigt sie. Die meisten sehnen sich nach Nähe. Nur wenige möchten lieber in Ruhe gelassen werden und das sind meistens die älteren.

Matti hebt das Gesicht und sieht mich traurig an. „Wieso kommst du nicht morgen schon?"

„Weil Emma auch nicht immer arbeiten kann", mischt Calla sich recht schroff ein. Sie ist am längsten hier, hat mich damals eingearbeitet und mir schnell die Aufgaben übertragen, die ihr keinen Spaß machen, was hauptsächlich die Arbeit mit den Kindern direkt betrifft. Ihnen etwas vorlesen, Hausaufgaben machen, etwas mit ihnen spielen, spazieren gehen – solche Dinge eben. Darin ist sie nicht besonders gut. Manchmal habe ich das Gefühl, dass sie gar kein richtiges Empathievermögen hat und Kinder sowieso nicht leiden kann. Umso widersprüchlicher, dass sie in einem Kinderhaus arbeitet. Marie und ich vermuten, dass sie nur hier arbeitet, weil sie in der gleichen Straße wohnt und das am bequemsten für sie ist. Und allzu schlecht verdienen wir auch nicht.

„Nun komm, Matti. Du kannst mir beim Frühstück machen helfen", schafft sie es, etwas sanfter vorzuschlagen und löst die Hände des Jungen von mir.

„Schönen Feierabend, Emma", verabschiedet sie sich und schenkt mir sogar ein kleines Lächeln, was quasi die Sensation überhaupt ist. Vielleicht, weil Weihnachten so kurz vor der Tür steht. Da reißt sie sich immer ein wenig zusammen. Wenn es nach mir ginge, könnte sie zu uns, ihren Kolleginnen ruhig die größte Hexe überhaupt sein, wenn das bedeuten würde, dass sie dann all ihre positiven Gefühle den Kindern widmet.

„Dir auch", entgegne ich dennoch, gähne herzhaft und verlasse das Haus. Draußen ist es noch dunkel, die Laternen sind an und mein Atem bildet kleine, weiße Wölkchen. Fröstelnd ziehe ich meinen Mantel etwas fester um mich und marschiere einen Schritt schneller auf meinen Wagen zu. Die kleine Klapperkiste ist natürlich vollkommen vereist. Stöhnend fische ich meinen Autoschlüssel aus der Tasche und lasse ihn klicken, woraufhin die Scheinwerfer nur ein schwaches, bestätigendes Blinken unter der Eisschicht von sich geben. Ich muss ein paar Mal an der Tür rütteln, bis ich sie endlich mit einem Ruck aufgezogen bekomme. Dabei rutsche ich beinahe auf dem glatten Boden aus, kann mich aber gerade noch halten.

Nein, nicht ich kann mich halten sondern jemand, der plötzlich hinter mir steht.

„Hoppla, das war knapp", bemerkt eine Stimme, die mir bekannt vorkommt. Überrascht fahre ich herum.

Es ist einer der beiden Typen, die gestern Abend bei uns im Haus waren und mich ausgefragt haben. Der ältere mit dem dunkleren Haar und dem auffälligen Lächeln.

„Danke", murmele ich. Was zur Hölle will der um diese Uhrzeit hier?

„Feierabend?", fragt er.

Ich nicke. Mir ist nicht wohl bei dem Gedanken, mich noch länger mit ihm unterhalten zu müssen. Zumal ich sowieso nicht verstehe, was er ausgerechnet jetzt von mir will.

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