Sechs

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„Du kannst dich entscheiden. Der Keller oder mein Zimmer."

Verbissen weiche ich seinem Blick aus, starre stur an ihm vorbei die Wand an.

„Wenn du nichts sagst, entscheide ich für dich." Als er Anstalten macht, auf mich zuzulaufen, weiche ich ihm synchron aus, sodass der Tisch zwischen uns liegt.

„Du hast dich am Fuß verletzt", stellt er überrascht fest. Er ist so anders als sein Bruder, so viel ruhiger. Und dennoch macht er mir eine Scheißangst. Was meint er damit, dass ich mich entscheiden muss? Was würde es bedeuten, den Keller zu wählen? Wofür sein Zimmer steht, kann ich mir alleine zusammenreimen. Bei dem Gedanken daran, dreht sich mein Magen um.

Vielleicht meint er es aber auch ganz anders. Vorhin hat er mich vor Levi beschützt. Dass sie beide vollkommen irre sind, steht außer Frage, aber vielleicht ist er derjenige, der noch einen Funken Gewissen hat.

Jaaah, oder er hat dich nur vor ihm gerettet, damit er dich für sich alleine haben kann.

„Wenn du mit in mein Zimmer kommst, kann ich mir das ansehen. Ich versprech dir, dass ich dir nicht weh tun werde", sagt er sanft.

Ich schnaube. „Du wirst mich nicht anfassen."

Er seufzt leise und reibt sich die Stirn, als wäre er derjenige, der einen harten Tag gehabt hätte. „Ich will dir helfen. Wir können reden und ich erkläre dir alles."

Als würde ich es nicht bemerken, macht er einen Schritt um den Tisch herum, aber ich beobachte jede noch so kleine Bewegung seinerseits und weiche synchron in die andere Richtung aus.

„Dein Bruder hat mir auch schon alles erklärt und dann hat er mich beinahe auf dem Küchentisch gefickt." Das letzte Wort habe ich seit Jahren nicht mehr in den Mund genommen. Mindestens so lange, wie ich schon im Heim arbeite. Kinder saugen alles in sich auf wie Küchenpapier ohne es zu filtern und oft ohne groß darüber nachzudenken. Aber diesmal ist mir kein anderes Wort eingefallen, das auch nur annähernd das beschrieben hätte, was Levi mir fast angetan hätte.

„Und das war nicht richtig. Du konntest nicht wissen, was unsere Stiefmutter getan hat." Kai gibt sich Mühe. Er tut wirklich alles dafür, dass ich ihn nicht hasse. Denn er beschimpft mich nicht oder schlägt mich, wie Levi es ohne mit der Wimper zu zucken getan hat, nein. Er tut so, als würde er mich verstehen. Als könnte er nachempfinden, wie ich mich fühle. „Ich verspreche dir, dass ich dir alles erklären werde, was du wissen musst und dass ich dir Zeit geben werde, deine Rolle zu verstehen. Das verspreche ich dir, Emma."

Ich vertraue ihm nicht. Oder besser gesagt – doch, ich glaube ihm, dass er aufrichtig ist, aber alles, was er sagt, ist dermaßen schwammig formuliert, dass es vollkommen nichtssagend ist. Wie viel Zeit wird er mir geben und was bitteschön soll meine Rolle sein? Dass ich für Levi die Hausmutter mimen soll, habe ich bereits verstanden, aber welche kranken Fantasien in Kais Kopf herumgeistern, weiß ich nicht.

Und ehrlich gesagt, will ich auch gar nicht wissen, was er mir zu sagen hat.

„Was tust du, wenn ich dir gar nicht zuhören will? Wenn ich gar nicht wissen will, was ihr mit mir vorhabt, weil ihr nicht einfach über mich bestimmen könnt, als hätte ich gar keine Rechte."

Er runzelt die Stirn. „Du hast schon Rechte, so ist es nicht. Und wie Levi dir sicherlich erklärt hat, hast du auch nichts zu befürchten, wenn du tust, was wir sagen."

„Das sind ja tolle Rechte", fauche ich. „Ich habe also ein Recht auf Unversehrtheit, wenn ich mich versklaven lasse."

Kai lacht, doch plötzlich hat er ganz ähnlich wie Levi diesen dunklen, erwartungsvollen Ausdruck in den Augen. „Du bist nicht unsere Sklavin. Du wirst zu Mamma und allem, was sie einerseits für Levi und andererseits für mich dargestellt hat."

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