Drei

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Mein Blick flitzt hektisch durch das Zimmer. Links von mir, vielleicht vier oder fünf Meter entfernt befindet sich die Tür. Als ich sehe, dass die Klinke herab gedrückt wird, habe ich das Gefühl, mich jeden Moment übergeben zu müssen. Kopflos rutsche ich an den Rand der Matratze, falle fast vom Bett, kann mich aber noch halten und stelle mich dahinter, als könnte es mich beschützen. Kurz überlege ich sogar, mich hinzukauern, aber sie würden mich finden, weil das ein verdammt lächerliches Versteck wäre.

Die Tür geht auf, mein Herz macht einen Satz und dann bin ich nicht mehr allein in diesem auf einmal viel kleiner wirkenden Zimmer.

Es ist der ältere der beiden, Kai, glaube ich. Mit aller Ruhe schließt er die Tür hinter sich, dann dreht er sich zu mir und lehnt sich mit dem Rücken gelassen an sie. Dass er so entspannt ist, während ich fast zusammenbreche, macht mir Angst. Es macht mir eine verdammte scheiß Angst, dass er da steht, nur ein paar hundert Zentimeter von mir entfernt mit diesem verfickten Lächeln auf den Lippen, das er mir schon geschenkt hat, als ich im Kinderhaus die Treppe runter gelaufen bin.

Zeig ihm deine Angst nicht. Wer Angst hat, hat verloren. Du bist kein Kind mehr, mit dem er Mitleid haben wird, wenn du in Tränen ausbrichst. Vielleicht will er sogar genau das.

„Guten Morgen, Sonnenschein", zerschneiden seine Worte die geladene Luft. Seine Stimme ist genau so weich und freundlich wie ich sie in Erinnerung habe. Sie erinnert mich an eine Mausefalle. „Was macht dein Kopf?"

Ich presse die Lippen aufeinander. Seltsamerweise mischt sich nun ein anderes Gefühl zu meiner Furcht – Zorn. Wie kann er mich so unfassbar dreist fragen, was mein Kopf macht, als hätte ich ihn mir durch Tollpatschigkeit irgendwo gestoßen?

„Sprichst du nicht mit mir?", hakt er nach, als ich ihn nur mit einem festen, hoffentlich wütenden Blick anschweige. Irgendwie gelingt es mir, seinen Augen nicht auszuweichen, was mich all meine Willenskraft kostet. Für ihn scheint es wieder ein Spiel zu sein. Er wirkt so, als hätte er Spaß daran, mich anzusehen und er ist auch derjenige, der zuerst den Blick abwendet, um ihn an mir herabgleiten zu lassen. Um ein Zittern zu unterdrücken, will ich erst meine Arme um den Oberkörper schlingen, entscheide mich aber intuitiv dagegen. Er soll meine Schwäche nicht sehen.

Am liebsten würde ich kein einziges Wort mit ihm sprechen und ihm stattdessen ins Gesicht spucken, doch als sich plötzlich von der Tür abdrückt und einen kleinen Schritt auf mich zugeht, ist es vorbei mit meiner Coolness, falls die je vorhanden war.

„Nicht!", rutscht es mir raus. Überraschenderweise bleibt er sofort stehen und hebt beschwichtigend die Hände.

„Schon gut", sagt er, kann sich sein blödes Grinsen aber nicht verkneifen. „Dein hübscher Mund hat also doch nicht vergessen, wie man spricht."

Ein Schauer überkommt mich. Die Art wie er redet, mit dieser honigsamtenen Stimme, die Worte, die er sagt – das alles fühlt sich so an, als würde er sich gleich auf mich stürzen und mir die Kleider vom Leib reißen.

„Ich wollte dich eigentlich mal hier raus lassen, damit du ins Bad kannst. Und wenn du willst, zeige ich dir das Haus."

Ein kopfschüttelndes Schnauben kann ich mir nicht verkneifen, woher auch immer ich plötzlich meinen Mut her nehme. „Wenn ich will? Es interessiert dich tatsächlich, was ich möchte?"

Er zieht überrascht die Augenbrauen hoch, presst die Lippen kurz aufeinander und lächelt dann wieder. Es nervt mich jetzt schon, dass er das die ganze Zeit tut. Als wäre das alles hier furchtbar lustig, aber das ist es nicht. Zumindest nicht für mich.

„Interessant, wie viel wütender du plötzlich bist, als du Angst hast. Ist nicht gesund, sag ich dir." Ich beiße mir auf die Zunge, um nicht auf diese Provokation anzuspringen. „Willst du nun mitkommen?"

MammaWhere stories live. Discover now