Kapitel 2

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Ich wartete nach der Schule auf meinem Bruder. Immerhin fährt er uns jeden Morgen in die Schule, da wir sonst vierzig Minuten laufen müssten. Sein Auto stand noch immer im Parkplatz, während langsam alle Schüler wegfuhren. Ich nahm mein Handy heraus und versuchte ihn zu erreichen. Er ging nicht dran. Ich wartete eine Weile bis es mir langsam zu viel wurde. Vielleicht trainiert er in der Halle und hat mich vergessen? Ich machte mich auf dem Weg. In der Halle trainierten nicht nur die Basketballer sondern auch die Cheerleader. Ich stellte mich auf dem Podium und suchte mit den Augen nach meinem Bruder.

„Carona!", rief mich jemand. Ich schaute nach unten. Es war Finns Trainer. Ich eilte zu ihm runter. „Suchst du nach deinem Bruder?", lächelte er mich an. Coach Miller war ein sehr angenehmer Mann. Nicht nur wegen seinem Aussehen, welches mich an meinem Großvater erinnerte mit seinem grauen Schnurbart und seinem Glatzkopf. Er strahlte immer eine Art Wärme und Liebe aus, die man nicht ignorieren konnte. In seinen blauen Augen konnte man erkennen ob er jemand mochte oder nicht und ich gehört auf jeden Fall zu den Personen, die er mochte. Da Miller von mir eine Antwort erwartete nickte ich. „Der Junge trainiert für das Spiel am Wochenende.

„Wirklich? Er hätte was sagen können.", murmelte ich vor mich hin. Ich steckte nun hier in der Schule fest bis zum Abend. „Finn!", rief Miller. Ich entdeckte nun Finn, der genau aus der Umkleidekabine kam. „Deine Schwester!"

Finn verdrehte die Augen und rannte zu mir rüber. „Tut mir Leid Coach. Ich bin gleich wieder da.", entschuldigte er sich und zog mich aus der Halle heraus wo wir alleine draußen standen.

„Bis wann trainierst du?", wollte ich wissen.

Finn schleifte seine Arme und schaute mich herblassend an. Mein Lächeln verschwand. „Hör zu Vogelnest!"

Sahen meine Haare so schlimm aus? Ich weiß, dass sie ziemlich lockig waren, aber sie mit einem Vogelnest zu vergleichen war nicht gerade sehr nett. Vorallem da ich heute mir sehr viele Möge gegeben habe, um sie zu frisieren. „Ich habe keine Zeit dein Babysitter zu spielen. Ich habe auch einen Leben. Ok? Nach dem Training gehen meine Freunde und ich aus. Ich habe keine Zeit dich nach Hause zu fahren."

„Wie soll ich dann nach Hause kommen?", fragte ich verärgert.

Er zuckte mit den Schultern. „Nimm den Bus nach Hause. Du bist ein großes Mädchen."

Ich ballte meine Hände zur Faust. „Es gibt kein Bus. Der letzte ist vor einer Stunde gefahren. Hättest du mir bescheid gesagt, hätte ich ihn genommen."

„Komm klar.", sagte er und drehte sich bereits um.

„Dann gibt mir das Auto wenigstens. Du kannst mit deinen Freunden fahren.", schlug ich vor.

Finn drehte sich um. Ich ging einen Schritt zurück. Sein Blick machte mir Angst. Er war überfühlt mit Hass und Missachtung. „Ist gut. Ich komm schon klar.", sagte ich schnell und rannte davon. Ich verstand nicht weshalb er mich nicht leiden konnte. Ich mischte mich kaum in seinem Leben ein. Was rede ich da? Wir tauschten überhaupt kaum! Wörter miteinander aus. Heute war es das erste Mal, dass wir miteinander gesprochen haben. Ich wischte die Tränen weg und machte mich auf dem Weg nach Hause. Mom arbeitet um die Zeit. Bestimmt operierte sie jemanden gerade. Außerdem wollte ich Finn keine Probleme machen. Also ging ich wieder einmal zu Fuß. Es war nicht das erste Mal. Wenigstens heute habe ich ihn in der Turnhalle gefunden. Manchmal ist er einfach ohne mich gefahren. Das war richtig nett von ihm!

Ich lief durch die halbe Stadt, dann durch den Park, der mich gruselte. Es liefen hier immer komische Typen. Ich schüttelte den Kopf und beeilte mich. In einer Rekordzeit befand ich mich vor meiner Haustür. Als ich die Tür öffnete wurde ich von einer einsamen Stille begrüßt. Ich ging in die Küche, bereitete mir was Kleines zum Essen und nahm es mit hoch in mein Zimmer, wo ich schnell meine Hausaufgaben erledigte. Nach einer Weile wurde es langweilig. Mein Blick wanderte auf das Photo neben meinem Bett. Mein Vater und ich waren zu sehen. Wir standen lächelnd vor einem Kirschbaum. Das Photo wurde zwei Jahre vor seinem Tod genommen. Ich vermisste ihn. Ich vermisste unsere Gespräche, sein Lachen, seine dumme Scherze, seine Umarmungen, einfach alles. Ich stand langsam auf und begab mich zu seinem alten Büro, wo nun nur viele Kartons aufgestapelt waren. Seine Sachen lagen dort verpackt. Niemand außer mir stöbert durch die Kisten. Meine Mom betrat nie diesen Raum. Zum Putzen schickte sie entweder mich oder Finn. Finn dagegen blieb manchmal vor der Tür stehen, jedoch traute er sich nie den Raum zu betreten. Deswegen fiel auch das Putzen auf mich immer! Ich seufzte und betrat den Raum. Jedes mal wenn ich den Raum betrat öffnete ich eine andere Kiste. Heute hatte ich Lust, die ganz hintere Kiste in der linken Ecke zu öffnen. Sie zog mich irgendwie mehr an, als die anderen Kisten. Vielleicht lag es daran, dass sie ganz hinten in der Ecke lag oder vielleicht aber auch, dass nichts auf der Kiste stand. Ich öffnete die Kiste und fand zahlreiche Fotoalben von meinem Vater als er jung war. Er sah sehr glücklich aus. Auf vielen konnte man Opa sehen. Ich frage mich wie es dem alten Mann geht. Er wohnt alleine in Atlanta. Vielleicht soll ich ihn mal besuchen gehen! Ich schaute mir die anderen Alben. Ich sah bekannte und unbekannte Gesichter. Wie sehr wünschte ich mir, dass er mir mehr über seine Kindheit erzählte. Die Zeit, die wir miteinander verbracht haben schien zu kurz gewesen zu sein. So viel hat er mir erzählt, aber gleichzeitig zu wenig. Es gab so viel was er mir noch sagen und erklären könnte, müsste und sollte. Ich wischte die fallenden Tränen weg und war dabei die Alben zurück in die Kiste zu stellen, als ein kleiner Schlüssel auf dem Boden fiel. Woher kam er denn? Ich hob den Schlüssel auf und schaute ihn genauer an. Er war klein, fein und silbrig. Es erinnerte mich einem Tagebuchschlüssel. Aber im Karton gab es kein Tagebuch. Ich öffnete zügig alle andere Kisten und suchte nach einem passenden Buch mit einem Schloss. Ich fand jedoch nichts. Merkwürdig...dabei war ich mir sicher, dass wir alles damals eingepackt haben. Oder hat Mom es weggeworfen? Es wurde langsam dunkel. Mom müsste bald von der Arbeit zurückkommen. Im selben Moment als ich an ihr dachte, klingelte das Telefon. Ich lief aus dem Zimmer. Kurz bevor ich an der Tür stand, knirschte das Parket unter meinen Füßen. Ich blieb kurz stehen. Warum knirschte der Parket so laut? Das Telefon klingelte wieder. Ich seufzte und rannte schnell die Treppen runter. „Hallo?"

„Caro! Hier ist Mom!"

„Hey Mom! Was gibt's?"

„Es gab eine schlimme Gasexplosion nicht weit vom Einkaufzentrum. Ich muss hier bleiben und operieren. Ich weiß nicht wann ich zurück nach Hause kommen, also bereite dir und Finn Abendbrot vor."

Finn ist nicht da! Aber das werde ich ihr natürlich nicht sagen. „Ist gut! Mach dir keine Sorgen. Dann sage ich dir gute Nacht."

„Gute Nacht Liebling. Ich hab dich Lieb."

„Ich dich auch."

Super! Schon wieder muss ich alleine Essen! Ich ging zurück zum Raum und suchte das quietschende Parket. Sobald ich es gefunden habe, beäugte ich die Stelle. Das Holzstück sah anders aus. Als ob jemand ihn hinzugefügt hätte. Ich holte schnell einen Hammer mit einer Klaue. Mit der Klaue nahm ich die Nägel heraus. Vorsichtig legte ich dann das Rechteckige Holzstück beiseite. In dem kleinen Holraum voller Spinnweben lag etwas verpackt in Stoff. Ich holte es heraus und pustete den Staub weg. Ich öffnete vorsichtig die Verpackung und fand ein schwarzes Lederbuch mit einem kleinen silbrigen Schloss an der Seite. Das müsste das Tagebuch sein! Aber warum hat es Dad versteckt? Das Geräusch von lautem Lachen, zog mich aus meinen Gedanken heraus. Ich blickte aus dem Fenster und sah Finn mit seine Freunde draußen reden. Hastig schloss ich das Loch zu und versteckte den Hammer hinter einer der Kisten. Ich ging schnell in mein Zimmer und versteckte das Buch mit dem Schlüssel in meinem Kleiderschrank wo mein Mädchenkram lag.

„Carona!", hörte ihn von unten rufen. Ich ging die Treppen runter. „Du bist betrunken!", stellte ich fest, da seine Augen funkelten und seine Wangen leicht rot waren.

„Wirklich?", säuselte er und plumpste auf dem Sofa. „Bring mir etwas zum Essen."

Ich schloss meine Augen. Nicht schon wieder. Ein betrunkener Finn ist schlimmer als ein verpennter Finn. Ich nickte nur und verschwand in die Küche. Als ich zurück kam schlief er bereits auf dem Sofa. Ich schüttelte mein Kopf und deckte ihn zu. Plötzlich fiel mir auf, dass ich in etwas Schleimiges getreten bin. Ich schaute nach unten und verzog angeekelt mein Gesicht. Ich stand in seine Kotze!  

CaronaWhere stories live. Discover now