Kapitel 3 (3)

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David wechselt das Gesprächsthema auf die kommenden Sportevents und ich konzentriere mich wieder auf meinen Burger. Hin und wieder spähe ich unauffällig zu Lyel hinüber, der ausdruckslos auf seinen Teller starrt. Ich betrachte ihn bei dieser Gelegenheit etwas genauer. Seine langen Wimpern werfen Schatten auf seine Wangen und wenn er blinzelt, streichen sie sie. Ob sie so weich sind wie sie aussehen?

Moms Fuß trifft meinen und ich schrecke auf. Wie peinlich. „Ich bin echt müde", sage ich, „ich gehe ins Bett."

Lyel sieht abrupt auf.

„Gute Nacht." Ich gehe, ohne mich noch einmal umzusehen und schließe erleichtert meine Zimmertür hinter mir. Ich kann mein Herz aufgeregt schlagen spüren. Lyels Augen gehen mir nicht aus dem Kopf. Während ich dusche, meine Haare föhne und in mein Bett schlüpfe, sehe ich sie vor mir, blau und klar wie der Ozean.

Ich tauche in sie hinein und schwimme tiefer und tiefer, aber der hell leuchtende Grund kommt einfach nicht näher. Irgendwann lasse ich mich einfach in ihnen treiben. Ich schwebe, schwerelos. Kein Luftbläschen durchbricht die Klarheit des Wassers um mich herum. Plötzlich bemerke ich, dass ich mich nicht mehr bewegen kann. Meine Glieder sind schwer und gefühllos, ich erreiche sie nicht mehr. Und ich sinke, erst langsam, dann immer schneller. So sehr ich auch versuche zu schwimmen, mein Körper gehorcht mir nicht. Ich bin wie gelähmt.

Dann reißt mich mein Wecker aus meinem Traum. Ich setze mich auf, unheimlich erleichtert, meine Arme und Beine spüren zu können. Ich bewege meine Zehen und lasse mich in mein Kissen plumpsen. Albträume und Schlafstörungen sind ebenfalls Nachwirkungen, mit denen ich klarkommen muss.

Draußen höre ich Lyel an seinem Auto werkeln. Ich frage mich, wann Mr. Stiller herüberkommen und schimpfen wird. Ich greife nach meinem Smartphone und stelle fest, dass es völlig entladen ist, also schäle ich mich aus meiner Decke und stecke es an die Steckdose. Meine Haare sind eine einzige Unordnung und meine Augen sind gerötet. In der Schublade meines Schminktisches finde ich lauter abgelaufene Tuben und Cremes, also sammle ich alles, was noch irgendwie brauchbar ist und bearbeite mein Gesicht damit. Das Endergebnis ist tatsächlich ganz zufriedenstellend. Ein bisschen Rouge bewirkt Wunder.

Ich wähle einen meiner wenigen Röcke und kaschiere meine weißen Beine mit einer hautfarbenen Feinstrumpfhose. Ich sehe fast so aus wie früher.

In der Küche schlinge ich mein Spezialmüsli herunter und beobachte Lyel durch das Fenster. Er kniet neben seinem Auto und schweißt irgendetwas. Er sieht so konzentriert und zugleich so entspannt aus.

Plötzlich legt er das Schweißgerät ab und dreht sich um, bevor ich mich verstecken kann. Unsere Blicke treffen sich und mir wird heiß und kalt zugleich.

Bitte komm nicht rein, bete ich und vermeide das Fenster. Als ich schließlich die Tür höre, beginnt mein Herz wieder zu rasen.

Lyel kommt herein, er ist barfuß wie beim letzten Mal und sein Handtuch liegt über seiner rechten Schulter. „Morgen", sagt er und lächelt.

„Morgen."

Er betrachtet mich etwas zu lange, bevor er zur Spüle geht und sich ein Glas mit Wasser füllt. Ich halte mich an der Theke fest. Auf keinen Fall will ich noch einmal hinfallen.

„Habe ich dich geweckt?", fragt er und trinkt einen Schluck.

Ich schüttle den Kopf.

„Nach dem Vorfall in der Garage hat mein Dad mir verboten, es in der Werkstatt zu reparieren."

Mir fällt auf, dass seine Ohren hin und wieder zucken, wenn er spricht. „Aber du konntest doch nichts dafür."

„Das sieht er anders. Ich bin deinem Bruder echt was schuldig. Ich weiß nicht was ich machen würde, wenn ich den Ford nicht fertigstellen könnte."

Ich kann nicht anders, als in seine Augen zu schauen. „Das ist bestimmt viel Arbeit."

„Ich liebe es", sagt er und lächelt. Seine Ohren lächeln mit, was irgendwie total niedlich ist. Ich muss ebenfalls lächeln und stelle fest, dass meine Lachmuskeln ziemlich eingerostet sind.

„Ihr habt es sehr schön hier", sagt er.

Ich lasse meinen Blick durch die Küche wandern und sehe sie zum ersten Mal mit den Augen eines Fremden. „Meine Mom gibt sich Mühe. Wenn sie etwas macht, dann macht sie es perfekt." Sogar der Obstkorb sieht aus wie ein Stillleben.   

EYES OPEN - Die Farben der GerechtigkeitWhere stories live. Discover now