Kapitel 7 (2)

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Ich mache eine Pause. „Was?"

Er legt die Dokumente nieder. Sein Blick erinnert mich an den meines Vaters, als ich ihm sagte, dass ich nicht auf die Schule gehen werde, in der er Lehrer ist.

„Dr. Pep hat deine Werte geschickt."

„Und?"

„Sie haben sich verschlechtert."

Ich setze mich. „Das kann nicht sein. Ich fühle mich gut."

Er geht vor mir in die Hocke und begutachtet mein Gesicht. „Manchmal können unsere Gefühle den Schein eine Weile bewahren. Du musst besser auf deinen Körper hören, Carla."

„Das tue ich! Ich sage doch, es geht mir gut! Wann hören endlich alle mal auf so zu übertreiben?"

Er legt seine Hand auf meinen Arm. „Du musst nicht glauben, Lyel mehr geben zu müssen als du im Moment in der Lage bist."

„Weil es nicht gut für mich ist oder weil es dich stört?"

Er zieht langsam seine Hand zurück, den Blick auf den Boden gerichtet. Es tut mir leid. Das war gemein. Er steht auf und geht stumm zu seinem Schreibtisch. Sein Gesicht verrät nichts, aber er greift den Stuhl ein bisschen zu fest.

„Ich meine das nicht so", sage ich und stehe auf.

„Du hast recht. Ich sollte dich nicht weiter behandeln."

„Nein! Das habe ich nicht gesagt!"

Er schlägt ein bisschen zu fest auf den Tacker. „Julia wird mit dir weiterarbeiten. Sie ist sehr erfahren. Sie ist schon lange hier."

Ich kenne Julia. Sie ist alt und sehr streng, was die Übungen angehen. In ihrem Büro riecht es immer nach saurem Parfüm und man kann ihren BH durch ihre weiße Bluse sehen. „Ich will nicht zu Julia."

Er seufzt, hält einen Moment inne und rollt dann ein Stückchen zurück. „Aber es stimmt. Ich bin nicht befugt, mich so in dein Leben einzumischen, auch wenn ich mich gerne einmischen würde. Ich fürchte, ich habe meine Gefühle dir gegenüber nicht im Griff. Deshalb ist es besser, wenn du ab jetzt zu Julia gehst."

Ich weiß nicht was ich sagen soll, jetzt, da er wirklich gesagt hat, was ich schon vermutet hatte. Ich kann ihn nur anstarren, was die Situation nicht gerade auflockert.

„Ich nehme meine Patienten ernst, Carla. Es ist unprofessionell von mir, so zu fühlen. Also beende ich unsere Zusammenarbeit an dieser Stelle. Bitte melde dich draußen bei Julia an."

Seine Stimme ist so sachlich, dass ich sie ihm nicht abkaufe. Ich kann wohl sehen, dass er vermeidet mich anzusehen. Stattdessen starrt er auf seinen Computer-Screen.

Ich hebe langsam meine Tasche vom Boden auf, in der Hoffnung, dass er es sich noch anders überlegt. Aber er bleibt stumm.

Vor der Tür bleibe ich noch einmal stehen. „Tschüss."

Er atmet tief ein, den Blick gesenkt. „Tschüss. Viel Glück auf deinem Weg."

Ich verlasse sein Zimmer, gehe den Flur entlang und bleibe am Empfang stehen. Der Mann hinter dem Tresen lächelt mich erwartungsvoll an. Ich gehe zu ihm und starre auf die Pfefferminz-Bonbon-Schale auf dem Tresen. Dann überlege ich es mir anders und gehe weiter. Ich werde nicht zu Julia gehen. Niemand versteht mich so gut wie Daniel mich verstanden hat. Wenn er mir nicht helfen kann, dann will ich keine Hilfe. Ich drücke die Eingangstür auf und taumle ins helle Mittagslicht. Die Sonne hört nie auf zu scheinen. Ich löse Daniels blöde Kette von meinem Hals und lasse sie zu Boden fallen. 

EYES OPEN - Die Farben der GerechtigkeitWo Geschichten leben. Entdecke jetzt