4. Ringaloo Ya Merry-O

31 3 0
                                    

„So, erzähl, was hast du gesehen", forderte Nornea Löschi auf. Dieser zuckte mit den Schultern. „Geister", begann er, „Dort. Auf diesem Friedhof. Sie wandelten dort umher wie ruhelose Seelen. Sie waren blau, nicht weiß, wie man sie sich vorstellt. Außerdem waren sie formlos. Wie Nebelschwaden zogen sie über den Friedhof und als sie mich erblickten hielten sie in ihren Bewegungen inne, sahen mich an. Und dann jagten sie mich. Sie jagten mich bis zu diesem Ort", murmelte er. Es schien ihn sichtlich zu gruseln. „Jetzt bist du ja wieder bei uns in Sicherheit", versuchte Nornea ihn zu beruhigen. Dabei war sie sich selbst nicht so sicher, was sie als nächstes noch erwartete. Zu allen mystischen Erscheinungen die sie bis jetzt gesehen hatten, sollten sich nun also auch Geister gesellen? Das wurde ja immer absurder!

Der Nebel wurde dichter und so nahmen sie sich wieder an die Hände, um sich nicht zu verlieren. Sie mussten Löschi vertrauen, denn er lief zielstrebig durch den Nebel, als kannte er den Weg im Schlaf.

Er lichtete sich erst wieder, als sie auf eine weitläufige Wiese kamen. Und dieser Ort war nicht minder schön als die Orte, die sie bisher gesehen hatten. Das Gras, welches ihnen fast bis zur Hüfte ging, wiegte sich in einer leichten Brise, die es zu einem grünen Meer verwandelte. Dieses erschien fast endlos, erst weit in der Ferne erkannte man wieder Wald. Sonst nichts. Es war, als gäbe es außer ihnen keine Menschen. Mittig vor ihnen senkte sich das Gelände etwas ab und wurde von einem Bach durchzogen, welcher nur sehr langsam vor sich hin plätscherte. Genau in der Mitte war der Bach verbreitert und ergab so einen dunklen, grünlich schimmernden Teich. Die Sonne, die inzwischen hoch am Himmel stand, brach sich in dem Wasser und ließ es glitzern.

„Das müsst ihr euch ansehen", sagte Löschi und ging in Richtung des Teiches. Die Anderen folgten ihm.

Noch während er darauf zulief sang er eine nur zu bekannte Passage aus ihren Liedern:

Ich rufe dich
Ein silbern Licht
Die Stille bricht
Den Spiegel nicht

Und er sang es immer und immer wieder, bis aus der Melodie ein monotoner Singsang wurde. Er kniete sich vor den Teich und tauchte eine Hand hinein und die Wellen, die von seiner Hand ausgingen glätteten das Wasser auf eine merkwürdige Art und Weise bis es wie zu einem Spiegel wurde.

Die Band versammelte sich um den so entstandenen Spiegel und blickte hinein. Und was folgte, konnte keiner so recht glauben.

Dort waren Bilder zu sehen, Buchstaben, Farben, alles flog wild durcheinander.

Du flüsterst mir
Den wilden Vers
Vom Wassergrab
Und Nebelgeist
Mit warmen Wort
Dein Klang in mir
Ich folge dir
So Tief dein Hort
Die Hände nass
Das Herz mir kalt

Löschi führte seinen monotonen Singsang fort und tauchte erneut seine Hand in das Wasser.

Nun schienen sich die Farben, Bilder und Buchstaben zu sortieren und ergaben ein Bild von der Band auf der Bühne.

Sie tanzten ausgelassen und fast schon selbstvergessen vor sich hin. In wilder Ekstase sprangen sie umher, hatten aber keine Instrumente mehr um. Diese lagen um sie verstreut. Doch es flogen auch Buchstaben durch das Bild: „TanzgeistTanzgeistTanzgeistTanzgeist" immer wieder in Dauerschleife. Obwohl der Anblick absolut bizarr war, so konnte sich keiner von dem Spiegel lösen.

Die Perspektive wechselte und zeigte das Publikum, welches nicht minder ausgelassen tanzte. Doch das war nicht das Publikum, dass sie gewohnt waren. Es waren Menschen in Anzügen gekleidet und mit Tiermasken auf.

„LassDichFührenLassDichFührenLassDichFühren", flog durch das Bild.

Nun wechselte die Szene und zeigte die Band zusammen mit anderen Bands aus ihrem Genre in einem Aufzug gedrängelt. Obwohl es auch so schon eng war, packten sie alle ihre Instrumente aus und begannen vollkommen wild zu spielen. Man konnte die schiefen Töne schon fast hören, so sehr war diese Kakophonie sichtbar.

„HeidenHeidenHeidenPaganPaganPaganHeidenHeidenHeiden"

Die Buchstaben verschwammen wieder zu einem.

Und umso länger sie in diesen Spiegel starrten, umso verrückter wurden die Szenen, umso absurder die Texte, die allesamt irgendwie aus ihren Songs zusammengebastelt waren. Und umso weniger konnten sie ihren Blick von dem Wasser lösen.

Bis das Bild unterbrochen wurde von einem geflügelten Wesen, welches aus dem Teich empor sprang. Und nicht nur eine, plötzlich waren sie umringt von kleinen geflügelten Dingern, die aussahen wie Menschen. Waren das Feen? Doch sie schienen nicht fröhlich gesinnt.

Sie lachten und entblößten dabei ihre spitzen Zähne, im Sturzflug peilten sie die Menschen an, bohrten ihre kleinen Zähnchen in dessen Haut, oder spielten mit den Haaren. Nagten an den Dreadlocks oder an der Kleidung. Wie kleine Heuschrecken machten sie sich über die Band her.

„Es ist das Verrückte, was die Menschen anzieht! Ihr ewiger Drang, etwas zu sehen, was nicht normal ist! Der Wunsch sich eine Erklärung dafür auszudenken, anstatt es einfach hinzunehmen! Schaulustigkeit! Neugier!", schrien die Feen im Chor und lachten hysterisch.

Calia schlug wild um sich, weinte verzweifelte Tränen und spürte nur noch die stechenden Schmerzen, die die Feen verursachten.

„Cernunnos! Hilf uns!", rief sie, doch glaubte kaum, dass er es hören würde.

Unter den wachsenden Schikanen der Feen ging sie zu Boden, kniete sich nieder und legte schützend die Hände über den Kopf. Dabei war sie mit dem Gesicht direkt zur Erde. Und wieder probierte sie es. „Cernunnos. Cernunnos", brachte sie mit tränenerstickter Stimme hervor.

Das wilde Kampfgetümmel um sie herum wurde lauter und immer lauter, bis es in ihren Ohren zu einem schrecklichen Piepen kam. Die schrillen Stimmen der Feen ließen nun auch gefühlt ihre Ohren bluten. Verzweifelt presste sie die Hände darauf, doch es half nichts. Der Schrei drang durch Mark und Bein.

Doch in einem letzten verzweifelten Kraftakt versuchte sie eine Verbindung zur Erde aufzubauen. „Cernunnos. Bitte... Cernunnos", brachte sie hervor und versuchte das nicht nur zu sagen, sondern mit ihrem ganzen Wesen zu fühlen und zu leben. Es zu übertragen in die blauen Energieströme, wie Fred es genannt hatte.

Und wie durch ein Wunder spürte sie plötzlich, wie die Erde erbebte. Wie die schrillen Schreie der Feen sich von ihr abwandten und sie ein gleichmäßiges Trommeln von vierbeinigen Tieren hören konnte. Erleichterung durchströmte sie, als die Feen von ihr abließen und vertrieben wurden. Als sie kurz wagte, aus ihrer Schutzposition hervor zu sehen, konnte sie um sich herum nur Hirsche sehen. Nicht nur in der Größe wie Cernunnos, sondern hauptsächlich normale Hirsche. Cernunnos selber kämpfte inmitten der Hirsche, schlug um sich und befreite die Menschen von den Biestern.

Gemeinsam kesselten die Tiere die Feen ein und trieben sie zurück in den Teich.

Als keine der Feen mehr zu sehen war, atmete Calia erleichtert aus und ließ sich auf den Rücken sinken. Sie war erschöpft und fühlte sich völlig zerschunden. Vielleicht war sie das auch, sie wagte nicht, sich anzusehen.

Ein großer Hirschkopf schob sich in ihr Sichtfeld. Mit der Schnauze berührte er ihre Stirn und sofort fühlte sie, wie die Energie in ihren Körper zurückkehrte. „Danke", sagte sie und lächelte den Hirsch an. Dieser wandte sich jedoch bereits wieder ab, um wohl zu einem der Anderen zu gehen.

Die Anderen.

Sofort war Calia auf den Beinen und sah sich um. Den Anderen ging es wohl genauso wie ihr, Cernunnos drehte gerade seine Runde und schenkte ihnen allen ein bisschen Energie zurück. Dennoch waren sie verwirrt und sahen sich ratlos an.

Doch sie zählte nur drei. Wo war Löschi jetzt schon wieder?

WaldgeisterWo Geschichten leben. Entdecke jetzt