32« Tears

3.4K 166 3
                                    


Als wir noch jünger waren, waren Jane und ich oft in der Nacht aus dem Haus gegangen und durch verlassene Gassen von San Francisco gelaufen, bis die Sonne irgendwann wieder durch die Baumwipfel geleuchtet hatte und wir uns auf den Rückweg machen mussten, bevor Dad aufwachte und unsere Abwesenheit erfasste.

In klaren Nächten waren wir Stunden draußen. Manchmal hatten wir uns auf verlassene Straßen gelegt und uns vom Himmel erzählt.

Ich hatte die Sekunden mit Jane, als junges Mädchen, wie einen Schwamm in mich aufgesogen und in meinem Herzen gespeichert, um sie und alles von ihr niemals zu vergessen. Ich würde und könnte sie nie vergessen und gerade das ließ mich in dieser blassen Nacht lächeln.
Ich liebe dich, Jane.

Der Fluss Avon glitzerte vom Licht des fallenden Mondes und ich hörte sanftes Wasser plätschern, als ich näher trat und Daniel entdeckte.
Er hatte sich mit dem Brief auf die Mauer vor der Tiefe gesetzt und ließ seine Beine über dem Vorsprung des Flusses baumeln.

Ich beobachtete ihn eine Weile.
Seine Schultern zuckten und ich konnte ihn leise schluchzen hören.
Er weinte und ich wusste, warum er weinte. Ich hatte geahnt, das er es tun würde und es tat mir furchtbar leid ihn vor wenigen Stunden so plötzlich damit konfrontiert zu haben.

Ich wusste nicht, wie schlimm dieser Tod für ihn war, aber im ganz Allgemeinen riss der Tod einer Person immer eine Wunde auf und egal wie groß sie auch war, jeder trauerte für sich selbst.
Ich hatte Daniel die letzten drei Stunden für sich gegeben. Er hatte mit dem Brief das Haus verlassen und ich war in eine andere Richtung abgehauen.
Uns war niemand gefolgt und ich war dankbar dafür, denn ich wollte alleine mit Daniel sprechen.
Er sollte alle Antworten bekommen, die Jane ihm in ihrem Brief nicht schon gegeben hatte und wenn er keine Frage hatte, dann würde ich einfach nur neben ihm sitzen und ihn mit seiner Trauer nicht alleine lassen.

Ich fühlte mich verpflichtet für Daniel da zu sein, weil sie es auch wäre, wenn sie könnte. Jane wäre auch hier, würde ihn beobachten und sich schließlich neben ihn setzen.
In manchen Punkten waren wir uns als Schwestern dann doch ähnlicher, als wir immer gedacht hatten.

Ich löste meine Starre und lief langsam auf Daniel zu. Sein Körper bebte leise und ich sah ihn in aller Dunkelheit den Brief umklammern und in den Himmel schauen.
Seine Wangen waren Tränenüberströmt, aber er lächelte.
Er lächelte, wie er noch nie gelächelt hatte.

Ich lächelte ebenfalls und als er mich neben sich bemerkte lächelten wir beide.
Ich zögerte, aber hob mich schließlich doch auf die gewölbte Mauer und ließ meine Beine über der drohenden Tiefe hinab in den Fluss baumeln.

Kühler Wind wehte mir durch die Haare und der Mond schien so hell, dass ich alle Schattierungen meiner Umgebung genau erkennen konnte.
Ich spürte Daniel neben mir.
Unsere Arme berührten sich, unsere Tränen flossen gleich schnell und unsere Füße baumelten im selben Takt.

Ich fühlte mich mit ihm in der Situation vereint und das verband uns für diese Zeit und zuletzt für immer.
Wir waren beide traurig.
Wir waren beide glücklich.
Wir weinten beide für ein und dieselbe Person.

»Ich bin nicht sauer, weil ihr mir die Krankheit verschwiegen habt. Ich hätte dasselbe getan.
Ich hätte auch lieber einen Freund gehabt, der mich mag, weil ich ich bin und nicht, weil ich krank bin.«

»Du bist ihr ein perfekter echter Freund gewesen, das wirst du immer sein.«
Da war ich mir mehr als sicher.
»Und sie war eine perfekte echte Freundin.«
Da war er sich mehr als sicher.

***

»Wann ist sie gegangen?«
Daniels Stimme war nur ein leises Flüstern und auch ich konnte nicht lauter sprechen. Unsere Lippen bebten beide, wenn wir begannen über sie zu reden. Vielleicht war das ein Zeichen für Kraft.
»Vor einer Woche«, gestand ich und sah auf das Wasser unter mir.

TEARSحيث تعيش القصص. اكتشف الآن