Ein Samstag Abend im Januar (1)

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Mehr als einen besonderen Moment braucht es nicht, um dein Leben komplett zu verändern, das weiß ich jetzt. Eigentlich wusste ich ja schon immer, wie schnell es gehen kann, dass etwas zusammenfällt, von dem man gehofft hat, es würde einen immer halten. Das lehrt einen jeden das Leben irgendwann. Ich glaube nicht an die Glückspilze, bei denen immer alles nach Plan verläuft, das sind Illusionen. Jeder hat irgendwelche Probleme, schwierige Situationen und erlebt irgendwann eben solche besonderen Momente. Manchmal nehmen wir sie gar nicht bewusst wahr, andere reißen uns den Boden unter den Füßen weg. Besondere Momente können uns zu überglücklichen Menschen machen, und manche sind irgendwie ein bisschen von allem.

Mein besonderer Moment ist ein kalter Winterabend, so einer Anfang Januar, an dem es nachmittags schon dunkel wird. Ich hasse diese Tage. Ich hasse den Winter generell. Er ist kalt, grau und leer, besonders wenn Weihnachten vorbei ist und all die bunten Girlanden, die noch ein wenig Freundlichkeit in die Welt gebracht haben, bereits abgenommen wurden. Es gibt natürlich Dinge, die das Leben auch im Winter dennoch erträglich machen, der Tee am Morgen zum Beispiel oder Freunde selbstverständlich, aber im Allgemeinen ist Winter für mich eine traurige Jahreszeit. Oft fühlt man sich einsam, obwohl man es vielleicht gar nicht ist. Ich bin nicht einsam, das weiß ich eigentlich. Ich habe Freunde, die immer für mich da sind, vor allem habe ich einen wunderbare Freund. Trotzdem bin ich oft einsam in dieser Jahreszeit. Und das ist es was sie so traurig macht, das Gefühl allein zu sein, obwohl einen so viele Menschen umgeben.

Aber es gibt auch den Kontrast, die Stunden, in denen alles wunderschön zu sein scheint, wenn man die Zeit mit seinen Menschen einfach genießen kann. Heute ist so ein Abend. In diesen Zeiten liebe ich es vor dem Spiegel zu stehen, mich hübsch zu machen. Eigentlich habe ich nie genügend Zeit und Ausdauer für großartiges Makeup, das ist auch nicht mein Stil, ich bin mehr so der Pulli und Pferdeschwanz Typ. Nur an Manchen Tagen habe ich das Bedürfnis zu strahlen, klar stärkt das auch irgendwie das Selbstbewusstsein. Ab und zu brauche ich das.

Also stehe ich auch heute wieder in meinem Zimmer, im Haus meiner Eltern am Rand meiner Heimatstadt und freue mich wieder einen Abend von hier weg zu kommen. Erwachsenwerden ist immer schwierig und Kinder haben bestimmt auch, da gibt es genug Konfliktpotential in unserem Haushalt. Meine Eltern sagen selbst, dass ich wenn ich nächstes Jahr meinen Abschluss mache so bald wie möglich ausziehen sollte. Der Meinung bin ich übrigens auch. Es würde auf jeden Fall viele Auseinandersetzungen aufgrund unterschiedlicher Ordnungsauffassungen verhindern. Und ich glaube, es bedeutet Freiheit, nicht immer kontrolliert zu werden, für sich selbst Verantwortung zu übernehmen. Zumindest stelle ich es mir so vor.

Ein Blick auf die metallene Uhr an der weißen Zimmerwand reißt mich aus meinen Gedanken: schon 17:00! In der Minuten kommt die Bahn, die ich nehmen muss, um Pünktlich bei Markus zu sein. Wir wollen schon eher zu der Feier heute, um mit beim Aufbau zu helfen und ich will nicht zu spät kommen. Auf Markus konnte ich mich immer verlassen, seit wir vor eineinhalb Jahren zusammen gekommen sind. Wir kannten uns eigentlich kaum, hatten uns nur flüchtig auf einer Geburtstagsfeier kennen gelernt, ab und zu geschrieben und uns ein paar Mal getroffen. Und dann eines schönen Sommerabends ist es einfach passiert. Wir haben nicht viel darüber nachgedacht, sondern auf gut Glück entschieden, dass es besser wäre zusammen zu sein, wenn wir schon den ganzen Abend nicht aufhören konnten uns zu küssen. Das ist wohl eine ungewöhnliche Art seine Liebe zu finden, aber ich bin mir sicher, dass es absolut das richtige war.

Schnell sprinte ich die Treppe herunter, schnappe mir meine Jacke, stopfe meine Wasserflasche in den Rucksack, schlüpfe in die schwarzen Sneakers, die ich das ganze Jahr über trage und sprinte zur Bahn. Der kalte Wind, der mir entgegenweht lässt meine Augen tränen. Es ist Januar, aber es liegt kein Schnee, genau so ein trauriges Winterwetter, bei dem Menschen leicht in ihre Depressionen fallen. Zum Glück ist es schon dunkel, denn schwarz steht der Welt immer noch besser als grau. Außerdem kommen da die vielen bunten Lichter von Schaufenstern oder Ampeln viel besser zur Geltung. Ich fühle mich glücklich, als ich in die Bahn hechte. Die Haltestelle ist glücklicherweise nur etwa hundert Meter von unserem Haus entfernt.

„Hallo Johanna, grade so geschafft!", begrüßt mich unsere Nachbarin, die auch eben eingestiegen sein muss. Noch außer Atem von meinem kleinen Sprint lächle ich ihr zu. Ja, ich fühle mich glücklich, trotz Winter, Kälte und Dunkelheit. Schließlich ist Wochenende und Markus hat mich auf diese Geburtstagsfeier einiger seiner Mitschüler eingeladen. Der Glückliche macht dieses Jahr schon Abitur, während ich mich noch ein Jahr länger in der Schule herumquälen muss.

Ich setze mich ganz vorne in die Straßenbahn, auf den Platz hinter den Fahrer. Auf dem sitze ich immer wenn er frei ist, denn hier hat man seine Ruhe. Komischerweise möchte ich mich auf Bahnfahrten selten unterhalten, ich genieße es, nach draußen zu schauen, das Leben in der Stadt zu beobachten und dabei Musik zu hören. Es ist auch eine schöne Zeit, um nachzudenken. Generell bin ich ein Mensch, der dazu neigt sehr viel über alles nachzudenken. Das ist hilfreich dabei, Erfahrungen zu verarbeiten, kann aber auch eine Last sein, wenn es für bestimmte Probleme einfach keine Lösung gibt. Heute denke ich nicht über Probleme nach, dafür liebe ich solche Feiern zu sehr. Nicht unbedingt den Alkohol, den manchmal Einige in einer zu hohen Dosis genießen, sondern das Beisammen sein mit Menschen, die einem sympathisch sind, nichts leisten müssen, einfach mal abschalten. Ich trinke auch gern etwas zu solchen Anlässen, aber ich denke ich kenne meine Grenze. Die Erfahrungen mit übermäßigem Alkoholkonsum habe ich bereits vor zwei Jahren gemacht, als ich noch ein verzweifeltes Teenagermädchen war, das Liebe und Anerkennung suchte und dachte, es würde einsam und allein sterben. Auch jetzt noch brauche ich Liebe und Anerkennung, ich kann mir nicht vorstellen, dass es einen Menschen gibt, dem das egal ist, aber jetzt weiß ich dass ich für Anerkennung nicht jeden Blödsinn mitmachen muss. Und Liebe? Markus ist ein wunderbarer Freund, der mich oft auf den Boden zurück holt, wenn ich mich in meine emotionalen Phasen hereinsteigere.

Am Straßenbahnfenster fliegen die Lichter des beginnenden Nachtlebens vorbei. Mein Herz klopft aufgeregt, als ich nach einer dreiviertel Stunde Fahrt und zwei Mal umsteigen an der richtigen Haltestunde ankomme. Ich kenne einige von Markus Freunden ein Bisschen, von der ein oder anderen Feier. Seine besten Freunde Jonas und Louis fahren auch jeden Morgen mit ihm gemeinsam zur Schule, da habe ich sie auch schon öfter getroffen, allerdings bin ich mir nicht so sicher, was sie von mir halten. Unsicher blicke ich mich an der dunklen Haltestelle um. Hier soll also dieser Jugendclub sein? Es ist mittlerweile so kalt geworden, dass mein Atem in der Luft zu erkennen ist, auch meine Finger werden langsam eisig, als ich mein Handy aus dem Rucksack krame. Markus hat mir nicht mehr geschrieben, seit ich von zuhause los gegangen bin, aber wir hatten ausgemacht, dass ich gegen 18 Uhr am Jugendclub bin, während er vorher noch mit Jonas einkaufen geht. Google Maps sagt mir, ich muss nur 200m laufen. Wie sind Menschen zu einer Zeit aufgewachsen, in der es noch kein mobiles Internet gab, das einem bei allen logistischen Schwierigkeiten helfend zur Seite steht?

Der Jugendclub ist ein neu gebautes Haus inmitten eines Gewerbegebiets, eigentlich perfekt für Feiern, hier gibt es zumindest keine Nachbarn, die sich beschweren. Ich sehe die Lichter und ein Auto, aus dem Getränke ausgeladen werden. Soll ich da jetzt einfach so hingehen? Es fühlt sich nicht gut an zu diesen Menschen zu platzen, die schon seit Jahren befreundet sind. Ich gehöre da eigentlich nicht rein, das weiß ich. Kurzerhand ziehe ich mein Handy aus der Tasche meines Daunenanoraks und rufe Markus an.


Die Fehler in unseren HerzenOnde histórias criam vida. Descubra agora