Dima [2]

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Ein mieses Gefühl

»Stell dir vor,« sagte ich und klemmte mein Handy zwischen Schulter und Ohr, »du könntest einen Abend lang gute Musik hören und dabei noch mit einem guten Freund abhängen, der seit Wochen nicht mit dir interagiert hat. Wäre das nicht eine unglaubliche Vorstellung?«

»Kommt drauf an. Wie definierst du gute Musik?« fragte meine Gesprächspartnerin am anderen Ende der Leitung, wobei das Misstrauen in ihrer Stimme beinahe greifbar war. Ich grinste und tippte weiterhin auf der Tastatur meines Laptops rum. Schon wieder war viel zu tun auf der Arbeit, aber mein Spaß sollte natürlich nicht zu kurz kommen. Deswegen versuchte ich Cardi davon zu überzeugen mit mir auf das Eminem Konzert zu gehen. Ich erklärte ihr:
»Gute Musik ist zum Beispiel Rap. Guter Rap.«
Sie seufzte.
»Ich weiß, was du vorhast. Aber ich habe eine Nachtschicht und kann schlecht meine Energie für eine Show aufbrauchen. Verstehst du das?«

Natürlich verstand ich das nicht. Ich verdiente so viel Geld im Monat, dass ich mich auch sicherlich nie wieder körperlich oder mental anstrengen müsste. Sich aus Frust in die Arbeit zu stürzen und sich selbständig zu machen war also keine schlechte Idee meinerseits gewesen, auch wenn die Gründe dafür ziemlich traurig waren. Ich dachte nicht gerne daran.
»Wir haben schon so lange nichts mehr zusammen gemacht, Rebekah ist im Urlaub und Felix möchte auch nicht mit. Bisher konnte ich nur Alim überzeugen.« gestand ich wage. Belcalis Begeisterung hielt sich in Grenzen. Sie fragte gelangweilt:
»Und wie viel soll das Kosten?«
»Für dich garnichts. AEC ist eine Sponsorenfirma, deswegen habe ich Karten kostenlos gekriegt. Als Chef hat man schon einige Vorteile.« meinte ich und griff mit der linken Hand in die Chipstüte, welche neben mir auf dem Schreibtisch lag. Jeder Mitarbeiter, der einfach an der Glastür meines Büros vorbei lief, konnte sehen wie ich außerhalb der Pausenzeit aß, den ganzen Tisch mit Krümeln bedeckte und es mich einen Scheißdreck interessierte, denn ich war der Boss hier. Rein theoretisch könnte ich meine Angestellten mit den Krümeln sogar abwerfen, wenn mir der Sinn danach stünde. Das Szenario reizte mich, ich hatte den Drang durch die Büros zu laufen und mit Chipskrümeln auf Arbeitnehmer zu feuern.

»Du hast dich verändert. Schon wieder.« brummte Belcalis, während ich nur grinsend über den Schreibtisch strich. Irgendwie widerten mich die kleinen Krümel an. Ich wollte sie loswerden.
»Cardi, Weiterentwicklung ist das selbe wie Veränderung. Jeder verändert sich.« gestand ich wage, um zu verschleiern, dass mein Privatleben gerade nichtmal halb so gut lief wie mein Business. Eigentlich verbrachte ich, wenn mein Freund nicht da war, die Abende allein auf der Couch und dröhnte mich mit dem mittlerweile legalen Cannabinoiden zu, in sämtlichen Konsumformen.
Cardi seufzte. Sie schien ziemlich erschöpft. Ihr nächstes Argument gegen den Besuch des Konzertes war:
»Aber ich hab ein Mieses Gefühl bei der Sache. Lass uns am Wochenende lieber zum Endspiel gehen. Du bist doch Chiefs Fan! Das kommt mir ungefährlicher vor.«
»So ein Schwachsinn. Was soll denn bitte passieren? Der Weltuntergang?«
Manchmal bereute ich meine Naivität im Nachhinein. Dennoch konnte ich Belcalis überzeugen, sie gab sich nach einer erfolglosen Diskussion geschlagen. Spätestens als ich ihr versprach, wir würden vorher nach McDonald's fahren, konnte sie nichtmal mehr nein sagen.
Ein paar Stunden im Büro vergingen, ich erledigte im Chips-Rausch die Arbeit der nächsten Woche und genoss die Ruhe, denn niemand wagte es mich heute zu stören. Wirklich keiner, bis auf Felix.

Mein Freund öffnete vorsichtig die gläserne Tür und beobachtete lächelnd, wie meine Finger über die Tastatur glitten. Nach dem vollenden des einen Satzes hob ich meinen Kopf und sah ihn fragend an. Er schloss die Tür hinter sich, setzte sich mir gegenüber und fragte:
»Was machst du gerade?«
»Arbeiten. Und du?« antwortete ich schmunzelnd. Gespielt ernst lehnte er sich in den Sessel vor mir zurück
»Ich will verhandeln. Sie sind doch heute Abend sicherlich nicht beschäftigt, oder Mr Chpakov?«
»Was macht Sie da so sicher?« raunte ich leise.
»Ich biete Ihnen ein Abendessen an. Mit Vorspeise. Und natürlich Dessert.«
Ich unterdrückte ein Grinsen. Er war schon immer gut darin mich zu lachen zu bringen, und noch besser darin mich in sein Bett zu kriegen.
»Ich wurde noch nie so offensiv nach Sex gefragt, Felix. Sie sind ein sehr ehrgeiziger Mensch. Aber ich weiß nicht, ob ich dieser Bitte nachkommen sollte.« erklärte ich gespielt ernst und verschränkte meine Arme. Felix lächelte schräg und antwortete:
»War das ein Ja? Um sieben bei mir?«
»Kochst du dann wirklich oder fickst du mich nur?« fragte ich misstrauisch.
»Wenn überhaupt schlafe ich mit dir, aber zusätzlich werde ich was kochen. Mit Happy End. Ein schönes, romantisches Date.«
Ich ließ dieses Wort in meinen Gedanken hin und her springen. Wir waren noch nicht lange zusammen, aber immerhin schon länger befreundet. Deswegen klangen Dates immer so fremd in meinen Ohren. Ein bisschen verwundert fragte ich:
»Warum kommst du nicht mit auf das Konzert und wir verschieben das Date?«
»Ich kann nicht, Baby. Außerdem wollte ich dir heute einfach etwas Gutes tun. Wo ist das Problem?«
Ich glaubte ihm nicht wirklich. Sein zuckersüßes Lächeln brachte mich jedoch dazu nichts zu hinterfragen, sondern einfach alles hinzunehmen, so wie er es wollte. Ein bisschen Manipulativ war er schon. Letztendlich schaffte er es mich wieder Mal ins Bett zu kriegen.

Mein Leben war solide bis gut. Es fühlte sich seit langem wieder Mal surreal perfekt an, sodass ich inständig nur auf einen leichten Schicksalsschlag hoffen konnte, der mich auf den Boden zurück riss. Oft warfen meine Freunde mir einst vor, ich sollte doch gefälligst wieder einen "anständigen Film fahren", so wie es Rebekah sagte, denn ich sei kaum noch auszuhalten, ständig am kiffen und nur darauf aus alles Gute in meinem Leben zu feiern, damit das Schlechte nicht ans dämmernde Tageslicht drang. Seitdem sprach ich nicht mehr oft mit meinen Freunden, kümmerte mich nur um meine Beziehung und Mika, die wie ein Geist ab und an in meiner Sommerresidenz auftauchte. Eigentlich passte Cardi immer auf sie auf, doch sie büchste oft auf und fand immer wieder zurück zu meiner alten Wohnung, die nicht weit von meinem Haus entfernt war. Nur selten war ich da, wenn ich Mal zwei Wochen Urlaub hatte oder mir nichts besseres einfiel, als mich von der Außenwelt abzuschotten. Wenn ich dann die Schneeweiße Hündin retten konnte und durch ihr weiches Fell strich, dachte ich über ihn nach. Er, der plötzlich so aus meinem Leben verschwand, als gäbe es ihn garnicht. Rebekah hatte mich im Streit Mal gefragt, was aus dem "vernünftigen" und "süßen" Dima geworden ist. Ich schätze Julien hat ihn umgebracht.

Es ist ein eigenartiges Gefühl, wenn ich an ihn dachte. Keine Trauer oder Schmerz, schon garnicht Liebe, aber immernoch irgendein Funke. Anfangs hatte ich mich oft gefragt wo er war und wie es ihm gerade ging, doch mit der Zeit verblasste die Erinnerung an unsere Beziehung. Julien als besten Freund könnte ich niemals vergessen, dafür kannten wir uns viel zu lang. Ich verstand aber mit der Zeit, das Erinnerungen nicht immer schmerzhaft sein mussten und ich mich garnicht quälen brauchte, da wir uns wahrscheinlich sowieso niemals wieder sehen würden. Die "Trennung", oder was auch immer das war, schien für mich zwar wie die Hölle, aber ohne sie wäre ich niemals mit Felix zusammen gekommen. Am Anfang unserer Beziehung hatte ich übermenschliche Vertrauensprobleme und immer Angst, dass auch er mich verlassen würde, aber das würde er niemals tun, was ich ihm mittlerweile auch glaubte. Auch am nächsten Morgen wurde mir bewusst, wie viel Glück ich eigentlich hatte. Dafür, dass ich in der letzten Zeit ein riesen Arschloch war, blieb er bei mir. Einfach so. Zugegebenermaßen wäre ich an seiner Stelle schon drei Mal weg gewesen.

Sanft drückte ich dem noch schlafenden Felix einen Kuss auf die Wange, biss wegen bestimmten Schmerzen kurz die Zähne zusammen und freute mich von da an den ganzen Tag auf das Konzert, was mein Leben wieder auf den Kopf stellen sollte.

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Wer von euch hat die Reunion von Sunny und Kollegah mitbekommen? Ich war shook af. Irgendwie kommt das einem so unreal vor...

Trouble | [Escape 2] SunDiegoXJuliensblogWo Geschichten leben. Entdecke jetzt