5. Unterrichtsgespräche

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×Toni×

Lynn hatte heute erst zur dritten Stunde, weshalb ich ohne sie gefahren bin. Schade, aber passiert halt. Ich mag es, Zeit mit ihr zu verbringen. Auch wenn wir uns nicht sonderlich lange kennen, sie hat so eine besondere Art.

Sie ist immer vollkommen ruhig und gelassen. Außerdem lässt sie sich kaum bis gar nicht provozieren, sondern ignoriert Kommentare oder nimmt sie einfach hin. Es ist mir unverständlich, wie sie das durchhält.

In der Pause sitze ich mal wieder an unserem Platz im Forum. Leo ist ebenfalls da, Maja und Lynn fehlen. Erstere, weil sie krank ist. Warum Lynn sich nicht zu uns setzt, weiß ich nicht.

»Vielleicht hat sie einfach was zu tun?«

Leos Stimme reißt mich aus meinen Gedanken. Ich zucke nur mit den Schultern. Kann gut sein. Aber ich habe sie heute noch gar nicht gesehen. Und das würde ich gern zumindest ein einziges Mal tun.

Ich werde von Leo an der Schulter angetippt. Sie zeigt auf eine Person auf der anderen Seite des Forums. Ohne Zweifel Lynn.
Sie ist einfach so hübsch. Ihre welligen braunen Haare hat sie zur Hälfte in einem ordentlichen Dutt zurückgebunden, die andere Hälfte hängt herunter. Der olivgrüne Pullover ist nur locker in ihre schwarze Jeans gesteckt und dazu trägt sie schlichte schwarze Stiefeletten.

»Wie kann man denn bitte jeden Tag so perfekt aussehen?«, sage ich leise, damit es nicht allzu viele Menschen hören. Leo grinst.
Allerdings ist Lynn nicht auf dem Weg zu uns, sondern zum Sekretariat, wie es scheint. Das jedenfalls schließe ich aus dem Zettel in Ihrer Hand.

»Frag sie doch.«

Ich drehe mich zu Leo um.

»Ganz sicher nicht.«

»Wieso nicht? Sie steht auf Mädchen und ist Single. Da kannst du es doch wenigstens mal probieren.«

»Ich weiß nicht recht«, seufze ich. »Sie wirkt irgendwie immer so distanziert wenn sie bei uns sitzt und ich hab irgendwie das Gefühl, dass mein Vorschlag vor ein paar Wochen doch nicht so gut war, wie ich dachte.«

»Also da hab ich anderes gehört.« Leo überschlägt ihre Beine. »Als du letztens krank warst, hab ich mich mit ihr unterhalten und sie meinte, dass sie noch bei dir bedanken müsste, weil du sie in diesen Freundeskreis geschleppt hast.«

Sie hat was? Also gefällt es ihr doch, bei uns zu sitzen. Zumindest schon mal etwas. Aus dem Augenwinkel erkenne ich Lynn wieder, sie geht an der anderen Seite wieder zurück. Ich bin etwas enttäuscht, dass sie sich nicht wieder zu mir, ich meine zu uns setzt. Aber es kann sie ja keiner dazu zwingen. Nach ein paar Metern, bleibt sie jedoch stehen, dreht um und läuft dann hinter den aufgestellten Stühlen zu unserer Seite. Als ich zu ihr schaue, schenkt sie mir ein Lächeln, dann lässt sie sich neben uns nieder.

»Morgen ihr beiden«, murmelt sie und hält sich die Hand vor den Mund, um ein Gähnen zu verbergen.

»Musste noch kurz was erledigen, deshalb bin ich nicht gleich zu euch gekommen.«

»Alles gut«, antwortet Leo. »Zwingt dich doch keiner.«

»Doch, ich.«

Ihre Antwort bringt mich zum Schmunzeln.

Die nächste Stunde habe ich zum Glück wieder mit ihr.
Und ihre Sitznachbarin ist ebenfalls nicht da, deshalb kann ich mich wieder zu ihr setzen. Wir sind in den letzten vier Wochen vor den Sommerferien und deshalb machen die Lehrer auch so gut wie nichts mehr. Unser Geographie-Lehrer hat zum Beispiel eben einen Film über den Beamer an der Decke gestartet. Deshalb rede ich leise mit Lynn. Hätte ich zwar auch so gemacht, aber egal.

»Alles okay?«, flüstere ich. »Du siehst irgendwie bedrückt aus.«

»Ja, passt schon. Hab grad ein bisschen viel um die Ohren, aber das legt sich schon wieder.«

»Aber sag Bescheid, wenn ich dir irgendwie helfen kann.«

»Mach ich, danke für das Angebot.«

»Wann kommst du eigentlich heute Nachmittag so rüber?«, frage ich sie. Mittwoch hatte sie zugesagt, das Wochenende bei mir zu verbringen und ich freue mich schon seitdem wie ein kleines Kind.

»So gegen fünf? Wenn das okay ist.«

»Klar, wieso nicht?«

Sie zuckt mit den Schultern.

»Keine Ahnung. War nur so eine Frage.«

Lynn nimmt sich ihr kleines Sketchbook und fängt an zu zeichnen.
Ich versuche zu sehen, was sie dort zeichnet.

Es ist eine Person, die sie in ihrem Comic-Stil darstellt. Irgendwie kommt sie mir bekannt vor, aber ich kann nicht wirklich sagen, woher.

»Wer ist das?«, frage ich sie.

Ein schüchternes Lächeln huscht über ihre Lippen.

»Du kennst sie. Mit Sicherheit.«

Dann wendet sie sich wieder dem Papier zu. Wen könnte sie meinen? Den Pullover der Person erkennt man jetzt ziemlich gut und plötzlich habe ich eine Idee. Sogar eine ziemlich wahrscheinliche.

»Zeichnest du mich?«

Ihre Wangen werden rot.

»Ja, ist das ein Problem?«

»Überhaupt nicht. Ich find's süß.«

Sie wird noch röter und dreht sich wieder zu ihrer Zeichnung. Anscheinend kann sie mit Komplimenten nicht so viel anfangen.

farbe im lebenWhere stories live. Discover now