Kapitel 1

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„Liam, kommst du jetzt?" Bradley stand ungeduldig in der Tür und wippte rastlos mit dem Fuß. Liam war gerade dabei noch den Rest in seine Tasche zu packen, den er für die Uni brauchte. „Brad, es wäre schön, wenn du mal das Wort Geduld nachschlagen könntest. Man findet das unter dem Buchstaben G. Ich glaube das könnte dein Leben verändern!" Doch alles was Brad darauf zu erwidern hatte, war eine hochgezogene Augenbraue und ein genuscheltes: „Sehr lustig!" „Keine Sorge, ich bin ja schon fertig. Wir können los." Ein „Das wurde aber auch Zeit!" war alles was Liam darauf zu hören bekam.

Eine halbe Stunde später stürmten die beiden durch die Universität von Detroit. Die Fahrt mit der U-Bahn war wie jedes Mal einfach überfüllt gewesen und die beiden hatten Schwierigkeiten gehabt gerade rechtzeitig aus der Menschenmasse hinauszukommen, um an der richtigen Haltestelle austeigen zu können. Doch trotz des Spurtes, den sie von dort bis zum Campus hatten zurücklegen müssen, hatte die Uhr ihrer Smartphones unbarmherziger Weise dennoch erschreckende 8:05 angezeigt. Fünf Minuten zu spät! Liam war bereits an der Tür zum Lesesaal angelangt, als Brad erst hechelnd um die Ecke kam: „Warum...musst du ... so verdammt ... schnell sein? Ich erinnere dich im Sommer nochmal daran!" „Untersteh dich Brad!" Und damit hatte er auch schon die Tür geöffnet.

Der Dozent Mr. Chester beachtete die beiden kaum, als sie sich noch ein paar freie Plätze suchten und diese schließlich neben ihren Freunden Paul und Rick fanden, nachdem diese fast durch den ganzen Saal geschrien hatten, dass bei ihnen noch Plätze frei seien. „Danke, aber schreit demnächst aber bitte etwas lauter, damit es auch noch das Weiße Haus mitbekommt!" Brad ließ sich leicht genervt neben Rick nieder und packte seinen Block aus. Liam ließ sich mit einem entspannten Seufzer neben ihm nieder und tat es ihm gleich. „Weißt du Brad, manchmal würde dir ein Lächeln gut stehen." Doch anscheinend hatte Brad heute Morgen nichts übrig für Liams tollen Tipps.

Liam schreckte plötzlich auf. Die Studenten standen bereits von ihren Plätzen auf und verließen den Saal. Jemand rüttelte fast schon panisch an seinem Arm. Es war Brad! Mist, war er tatsächlich während der Lesung eingeschlafen? „Das kommt davon, wenn man einen ungeduldigen Mitbewohner hat, der einen um zehn vor fünf aus dem Bett schmeißt!" dachte Liam genervt. Doch dann bemerkte er den besorgten Blick von Brad: „Liam geht es dir gut? Hörst du mich?" „Alles gut Brad! Ich bin eingeschlafen. Weißt du, so etwas gibt es tatsächlich! Menschen müssen nun einmal schlafen. Es muss ja schließlich nicht immer gleich etwas passiert sein!" Brad atmete hörbar erleichtert aus: „Gut, es wäre auch etwas seltsam. Ich meine es ist Dezember!" Liam stand langsam auf und sah Brad ehrlich an: „Es ist alles gut wirklich! Und wenn etwas wäre, dann hätte ich es dir selbstverständlich gesagt! Vertrau mir: Mir geht es gut. Ich bin nur müde. Das ist kein Grund sich Sorgen zu machen!" Brad sah Liam noch einmal fragend an, dann nickte er kaum merklich, um sich selbst zu bestätigen. Bradley war der wohl fürsorglichste Mensch, den Liam je getroffen hatte, doch selbst er konnte es schnell damit übertreiben. Ein Räuspern riss Liam aus seinen Gedanken. Paul sah ihn fragend an: „Ich habe keine Ahnung wovon ihr da redet, aber es wäre echt lieb wenn man uns aufklären könnte!" -er zeigte auf sich und Rick, wobei dieser noch leicht fragend in die Runde blickte- „Und ich würde das gerne bei etwas zu Essen klären, denn ich habe noch nichts gegessen!" Liam schlug seinem Freund herzlich auf den Rücken: „Alles gut, aber lass uns wirklich mal in die Mensa gehen, sonst verhungerst du uns noch und das wäre wirklich zu schade!"

~~Weit entfernt~~

Die Dunkelheit war allgegenwärtig in dem kleinen Raum. Die zwei Personen sahen sich nicht, doch sie konnten die Anwesenheit des Gegenübers spüren, die dunkle Aura, die sie umgab. Der kleinere der beiden Personen begann zu sprechen. Seine Stimme zitterte, was davon zeugte, dass er dem Anderen gegenüber großen Respekt, wenn nicht sogar Angst verspürte: „Meister, ich...ich habe ihn gefunden! Den, den sie suchen. Aber er ist schon alt. Ich bezweifle, dass er es schaffen wird. Er hat zu lange gewartet. Es hat bereits angefangen." Der „Meister", wie der untersetzte Mann ihn nannte, ging in die Mitte des Raumes. Seine Stimme war voll und dunkel, als er sprach: „Sucht ihn! Wenn wir ihn nicht bald finden, wird das sein Ende sein. Beeilt euch, oder ich werde diese Angelegenheit selbst in die Hand nehmen. Also enttäuscht mich nicht! Habt ihr mich verstanden?" Als er die letzten Worte sprach, hatte seine Stimme eine Nachdrücklichkeit, die nicht erlaubte, unter seinen Augen zu versagen. Anscheinend hatte auch sein Diener dies verstanden, als er eilig nickend und wimmernd den dunklen Raum verließ.

Der kleine Mann hetzte panisch durch die dunkle Nacht. Über ihm hatte das Sternenzelt seine wachsamen Augen auf ihn gerichtet um jeden seiner Schritte zu beobachten. Der Schrei einer Eule zerriss die Nacht und ließ den Mann zusammenfahren. Vor sich sah er bereits die Lichter der Stadt. Sein schwarzer Umhang ließ ihn in der Dunkelheit verschwinden und nur sein keuchender Atem verriet ihn. Angsterfüllt griff er in die Innentasche seiner Jacke. Als seine dünnen ausgemergelten Finger das kalte Metall des Revolvers berührten, durchströmte ihn ein Gefühl der Sicherheit. Doch plötzlich stürzte er über eine Baumwurzel, die in der Nacht verborgen war. Als er auf dem Boden aufschlug spürte er, dass vor ihm etwas, nein jemand war. Er spürte die Anwesenheit des Feindes vor sich. Er traute sich nicht aufzuschauen, aus Angst, von dem grellen Licht vor sich geblendet zu werden. Er begann zu zittern, als die Gestalt vor sich ihn am Kragen packte und hochzog. Er wollte schreien, sich wehren, aber seine Kehle war trocken und sein Körper zu schwach. Die Gestalt ließ ihn los, sodass seine Füße wieder Halt auf dem harten Boden fanden, doch als er den Lauf der Pistole, die auf seine Brust gerichtet war, sah, wusste er, er hatte versagt! Nicht nur sein Leben würde jederzeit enden, sondern auch das des Jungen! Er hatte versagt! Dann hörte er den Knall und spürte, wie das Geschoss in sein Herz einschlug und das Blut aus seiner Brust quoll. Den Aufprall auf dem Boden spürte er bereits nicht mehr. Der Kampf zwischen Licht und Schatten hatte ein weiteres Opfer gefordert. Ein weiteres Gewicht auf der Waage der Welt.

The Lord of the NightWo Geschichten leben. Entdecke jetzt