Prolog

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„Ruhe!", die autoritäre Stimme des Schutzpatrons hallte durch den großen Saal.

Augenblicklich wurde es still. Nicht dass es vonnöten gewesen wäre, denn selbst vor der ausgesprochenen Aufforderung war es bereits still gewesen.

Keiner der vielen Anwesenden im Saal hatte es gewagt, auch nur einen Mucks von sich zu geben. Selbst eine zu Boden fallende Stecknadel hätte ausgereicht, um alle Anwesenden erschrocken zusammenzucken zu lassen.

Jeder einzelne von ihnen hatte seinen Blick auf die Mitte des Raumes gerichtet, wo auf einem kleinen Podest ein Mann kniete.

Seine Kleidung bestand zum größten Teil aus alten Lumpen und sein ungepflegter, viel zu langer Bart sowie der unangenehme Geruch, der von ihm auszugehen schien, ließen darauf schließen, dass er nicht die Mittel hatte, sonderlich auf seine Körperhygiene zu achten.

Der Ausdruck seines Gesichtes ließ keine Schlüsse über seinen Gemütszustand zu. Eine perfekte, undurchdringliche Maske völliger Desinteresse war darauf zu erkennen, etwas, das selbst die Kleinsten unter uns schon früh zu lernen hatten: Zeige niemals deine Angst!

Allein das unruhige Beben seinen Körpers zeigte, wie groß seine Angst sein musste.

Viele der anwesenden Männer und Frauen verzogen bei seinem Anblick angewidert ihre Gesichter. Hier und da konnte man allerdings vereinzelt auch so etwas wie Mitleid aufblitzen sehen, was aber natürlich niemand freiwillig zugegeben würde, denn: Mitgefühl für jemanden zu empfinden war in dieser Welt verpönt.

In der Zwischenzeit tat sich etwas auf der erhöhten Kanzel am Ende des Raumes. Wachmänner, allesamt in rot-schwarze Gewänder gehüllt, versammelten sich links und rechts vor dem imposanten Herrschersessel, der sich in der Mitte der Kanzel befand.

Konnte man die Stimmung zuvor bereits als angespannt beschreiben, so hatte diese Mittlerweile ihren Höhepunkt erreicht.

Niemand wagte sich zu bewegen, selbst das Atmen fiel den anwesenden Menschen schwer.

Die beiden Schutzpatrone, die Vertrauten der Herrscherin, nahmen ihre Plätze direkt neben dem Stuhl in der Mitte ein.

Die langen, spitz gefertigten Speere mit der blutroten Spitze am Ende hielten sie mit einer Eleganz in den Händen, die einen Normalsterblichen vor Neid und Ehrfurcht erblassen ließen.

„Kniet vor eurer Königin!" - sobald die Worte des Mannes seinen Mund verlassen hatten, kam Bewegung in die Menschenmassen.

Fast synchron ließen sich die Leute auf ihre Knie fallen und senken ihre Blicke zum Boden.

Kurz darauf erklangen Schritte. Nicht zögerlich, sondern fest und zielgerichtet, also genau wie es von einer Königin erwartet wurde.

„Erhebt euch!" Es waren nicht die Worte der Königin gewesen, die dies aussprachen, denn sie verschwendete niemals ihre Worte für solche Nichtigkeiten.

Langsam erhoben sich die Menschen wieder und warfen ehrfürchtige Blicke in Richtung der Kanzel, auf der sich ihre Herrscherin befand.

Die Königin war der Inbegriff von Schönheit. Sie war groß gebaut und schlank. Ihre leuchtend roten Haare fielen in Wellen an ihrem Körper hinunter. Das feuerrote Kleid, welches aufwendig mit einem schwarzen Feuervogel bestickt wurde, schmiegte sich wie eine zweite Haut an sie.

Wenn man einen Makel an ihr suchen müsste, würde man sich wahrscheinlich an ihre Augen wenden: Die Kälte und Grausamkeit die sich darin spiegelten, verursachte sogar bei den stärksten Männern eine Gänsehaut.

Diese Augen hatten sich nun auf den Mann in der Mitte des Raumes gerichtet, der immer noch kniend und leicht zitternd da saß. Seine Augen hatte er stur auf den Boden gerichtet, sehr darauf bedacht, sie nicht anzusehen.

„Tiam." Ein Raunen durchflutete den Saal, denn niemand hatte erwartet, dass die Königin selbst das Wort an den Mann richten würde.

Widerwillig blickte dieser auf.

„Wieviel bist du bereit zu geben, Tiam?" Die Worte der Königin waren kalt, aber von einer freudigen Erregung erfüllt.

Tiam blickte in die kalten Augen der Königin und wollte Antworten, doch seine Stimme versagte ihm den Dienst. Er rang um Worte, die jedoch nicht kommen wollten. Sein Blick flog nervös über den Saal voller Menschen. Jeder der hier Anwesenden starrte ihn mit einer Intensität an, die ihm das Herz zusammenzog.

Für einen Moment schloss er seine Augen, um an den Menschen zu denken, für den er bereit war, freiwillig hierher zu kommen und sich in die grausamen Hände der Herrscherin des Feuerordens zu begeben.

Er wusste nur zu gut, wie das hier schließlich enden würde.

Trotzdem schluckte er den dicken Kloß in seinem Hals herunter, räusperte sich und sprach dann mit fester Stimme: „Ich werde alles geben."

Die Menschen um ihn herum begannen aufgeregt zu flüstern und miteinander zu diskutieren. Niemand gab freiwillig alles, nur Lebensmüde oder Verrückte taten dies.

„Ruhe!" Der Schutzpatron stellte sich direkt neben seine Monarchin.

Sofort wurde es wieder still im Saal und nur die verwirrten Blicke der Anwesenden waren noch zu spüren.

Du wirst mir freiwillig alles geben?", wollte die Königin mit einem leichten Lächeln auf den Lippen wissen.

Der Mann schluckte erneut, während dicke Schweißperlen seine Stirn bedeckten.

Obwohl seine Stimme vorhin sehr klar und fest war, schwankte sie nun leicht: „Alles. Wenn sie ihr Versprechen einlösen."

Das hohe unnatürliche Lachen der Regentin durchflutete den Raum.

„So viel. Und das nur für ein Waisenkind, dessen Leben nicht mehr Wert hat als der Boden, auf dem ich laufe!" Gehässig drein blickend ging sie einige Schritte auf den Mann zu: „Ich halte mich immer an mein Wort - ihr Leben für das deine."

Mit diesen Worten berührte sie sanft die Stirn des Mannes und schloss die Augen. Für einen Moment schien es, als würde nichts passieren.

Doch dann verzog sich das Gesicht ihres Gegenübers schmerzerfüllt und das Blut, welches ihn am Leben hielt, floss langsam aus seinem Körper.

Die Macht des Feuerordens war endlos, doch das Leben war es nicht.

Nahm man das Blut eines Menschen, so konnte man das eigene verlängern, dies konnte jedoch nicht unter Zwang geschehen: Es musste freiwillig gegeben werden.

Sie wird zu spät erkennen, welchen Fehler sie begangen hat, waren die letzten Gedanken des Mannes, bevor sein lebloser Körper dumpf auf dem Boden aufschlug und das Leben in ihm erlosch.

Die Erbin des BlutesWhere stories live. Discover now