Teil 3

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Das leise Gemurmel der Anwesenden steigerte sich immer weiter. Schon nach kurzer Zeit schwoll der Lärmpegel so stark an, dass es einem aufgewühlten Bienenschwarm gleichkam. Einige Menschen tuschelten hinter vorgehaltener Hand, während andere, ohne jegliche Scham, die Gestalt neben Pateo anstarren. „Bist du von Sinnen, Pateo?”Ein kleiner, eher schüchtern wirkender Mann war aufgesprungen. Sein Gesicht war feuerrot und in seinen Zügen schien sich das blanke Entsetzen abzuzeichnen. „Beruhige dich, Laurentius.” Pateo hatte sich ebenfalls erhoben, wirkte aber, im Gegensatz zu seinem Gegenüber, eher ruhig und gefasst, ganz so, als hätte er mit dieser Reaktion gerechnet. Etwas ratlos suchte Tyra den Blick ihres Ziehvaters. Sie wusste nicht genau, warum die Menschen sich auf einmal so verärgert zeigten, andere wirkten fast ängstlich und wieder anderen stand der pure Hass ins Gesicht geschrieben.

Die junge Frau betrachtete den Fremden neben Pateo etwas genauer. Obwohl der König schon eine beachtliche Körpergröße vorzuweisen hatte, überragte der Fremde diesen jedoch um mindestens einen halben Kopf. Das spärliche Licht, welches von den vielen vereinzelten Kerzen, die im Raum verteilt worden waren, abgeworfen wurde, erhellte das Gesicht des Mannes kaum. Ab und an wurde es jedoch ein wenig beleuchtet und Tyra konnte einen Blick darauf erhaschen: Seine Gesichtszüge wirkten hart und seine Augen, soweit man es durch diese kurzen Blicke erkennen konnte, waren ausdruckslos, dennoch zierte ein leichtes lächeln seine Mundwinkel. Seine Haare jedoch waren es, die Tyra einen leichten Schauer über den Rücken laufen ließen. Diese standen in alle erdenklichen Richtungen von seinem Kopf ab, waren allerdings nicht lang genug, um ungepflegt zu wirken, eher so, als wären sie ein geplantes Chaos. Doch die Farbe…schneeweiß. Tyra hatte genügend Geschichten in ihrer Kindheit gehört, um sich sicher zu sein, wen sie hier vor sich stehen hatte. „Sie holen den Feind in unser Haus, Pateo!” Der Mann von eben, Laurentius, hatte wieder das Wort ergriffen und diesmal stimmten auch einige andere der im Saal Anwesenden seinen Worten zu. „Du dummer, naiver Mann”, sagte Raliel kichernd und erhob sich. „Du kommst ohne jeglichen Schutz in unser Land und erwartest, hier lebend wieder heraus zu kommen? Wie gutgläubig ihr Menschen des Eisordens doch sein müsst…gutmütig oder bist du doch schon des Lebens müde geworden? Sag es mir, Damien!”

Damien trat einen Schritt nach vorn an den steinernen Tisch heran, jedoch weit genug von den Schatten entfernt, so dass man sein Gesicht gut erkennen konnte. Er zog eine Augenbraue nach oben. „Schockierend”, sagte er mit einem Tonfall, der angedeutete, wie wenig betroffen er war. „Es scheint wohl so, als hätten wir viel zu besprechen.” Raliels Körper verkrampfte sich merklich und er ballte seine Hände zu Fäusten, auch seine Augen begannen wieder ihren eigenen kleinen Feuertanz zu tanzen. Einen Moment lang sah es so aus, als ob die beiden aufeinander losgehen wollten, und obwohl sich Tyra Raliels Stärke durchaus bewusst war, würde sie nicht auf den Ausgang des Kampfes wetten wollen. Raliel zeigte seine Stärke, hatte keine Angst vor irgendetwas, doch war er auch hitzköpfig und überhastete manchmal die Dinge. Damien dagegen wirkte ruhig und gelassen, als würde er genau planen und wissen, was er als nächstes tun würde. Seine  Physis war der von Raliel keinesfalls unterlegen, denn unter dem schwarzen Gewand, das er trug, zeichnete sich der Körperbau eines Kriegers deutlich ab.

„Seid ihr nun endlich fertig mit diesen Albernheiten?” Die Herrscherin hatte lautlos den Raum betreten und warf nun einen steinernen Blick über die Menge. Augenblicklich wurde es still im Saal und sowohl Raliel als auch der aufgebrachte Laurentius ließen sich schweigend wieder auf ihre Plätze sinken, wobei sie ihre Blicke langsam nach unten richteten. „Damien wird uns hier für einige Tage Gesellschaft leisten, um uns die Ehre zu erweisen, an seinen besonderen Fähigkeiten teilhaben zu können. Wir werden ihn daher herzlich willkommen heißen und unsere Gastfreundschaft demonstrieren.” Die Königin ließ sich elegant auf den Stuhl neben ihrem Ehegatten nieder, wo sie diesem kurz über den Arm strich. Dies könnte eigentlich als eine liebevolle Geste angesehen werden, doch Tyra wusste es besser: Diese Frau, die mit so ruhigen, selbstbewussten Worten sprach und das Vertrauen ihrer Anhänger genoss, war wahrlich mit vielen Fähigkeiten gesegnet, doch Liebe war ein Fremdwort für sie. Pateos Blick fing für einen kurzen Moment den seiner Frau ein, bevor er kaum merklich nickte und sich in seinen Stuhl zurücksinken ließ.

„Mylady?” Raliel hatte sich wieder von seinem Stuhl erhoben und suchte den Blick seiner Mutter. Diese gab ihm mit einer Handbewegung zu verstehen, dass er weiter sprechen sollte. „Meine Hoheit, ich versuche zu verstehen, warum wir dem Feind Obdach in unserem Hause gewähren. Er gibt vielleicht vor, uns helfen zu wollen – doch ich frage mich, wobei? Es könnte eine noble Geste seinerseits sein oder einfach ein raffinierter Schachzug, um unsere Schwächen auszukundschaften. Wir sollten ihm nicht trauen! Es sei denn…” „Es sei denn, Raliel? Hier gibt es keinen Anschein. Ich denke, du bist um einiges zu jung und zu unerfahren, um deine Meinung hier so offen kundzutun. Deine Lebenserfahrung bezieht sich auf Geschichten und Aufträge, die unsere Soldaten schon mit fünf Jahren allein hätten verrichten können. Hast du auch nur einen Funken Ehrgefühl in dir oder wieso wagst du es, mein Wort vor unseren Untertanen in Frage zu stellen?” Mit steinernem Blick sah die Königin auf den jungen Mann herab, der mit jedem ihrer eisigen Worte etwas weißer im Gesicht wurde. Mit matter, belegter Stimme antwortete dieser leise: „ Ich habe meine Kompetenz wohl überschätzt, daher möchte ich Sie aufrichtig um Vergebung meiner unüberlegten Worte bitten. Nichts läge mir ferner, als an der Autorität Eurer Majestät zu zweifeln.”

Für einen kurzen Moment hatte Tyra Mitleid mit dem Jungen neben ihr. Raliel mochte seine Fehler haben, doch die Kälte der Königin war ein herber Schlag, den niemand so einfach wegstecken konnte. Seine Fragen waren berechtigt und sicherlich hatten sich viele der hier Anwesenden genau dieselben gestellt, doch das Gesetz war, wie es war: Das Wort der Herrscherin zählte und hatte respektiert zu werden. Wäre es jemand anderer gewesen, der sich diesen Frevel erlaubt hätte, wäre das mit seinem letzten Atemzug geschehen.

Mit einem etwas milderen Gesichtsausruck wand sich die Monarchin zu Damien um und lud ihn mit einer einladenden Geste ein, sich neben ihr niederzulassen. Der Platz neben der Königin war normalerweise unbesetzt; noch nie hatte es Tyra erlebt, wie sich jemand dort niederlassen durfte. „Bitte entschuldigen Sie die Unannehmlichkeiten. Mein Sohn ist noch dabei die Etikette zu einzuüben.” Mit einem einnehmenden Lächeln wandte sich Damien der Königin zu: “Das macht nichts. Als ich klein war, hat mein Vater stets darauf bestanden, dass ich ihn zu allen Audienzen begleitete. Dort ging es um einiges ungezügelter zu als hier”, lachte er und dieses Lachen schien sogar seine Augen zu erreichen. Dieser Mensch war Tyra ein Rätsel: Bisher war ihr niemand untergekommen, der die Art Macht ausstrahlte, wie Damiel es tat, gleichzeitig aber mit seinen Emotionen so ungerührt umzugehen schien, als könnte ihm nichts und niemand etwas anhaben. Vielleicht hatte das etwas mit diesen besonderen Fähigkeiten zu tun, von denen die Königin erzählt hatte. Neben ihr warf ein sichtlich verkrampfter Raliel  dem jungen Mann, der so sorglos neben seiner Mutter saß und vergnügt lachte, einen vernichtenden Blick zu.

„Wenn ihr erlaubt, würde ich gern selbst einige Worte an die Anwesenden hier richten, Mylady.“ Damiens Blick wurde ernster und er erhob sich, nachdem er die lautlose Zustimmung der Königin bekommen hatte. „Mein Name ist Damien Froye. Wie ihr sicherlich schon erahnen konntet, ist mein Vater der Herrscher des Ordens des Eises. Über eine lange Zeit hatten unsere beiden Nationen gewisse Differenzen, jedoch sind wir bereit, diese zum Wohle aller eine Zeitlang auf Eis zu legen.“ Er lachte leise auf, sichtlich amüsiert über seinen eigenen kleinen Scherz. Ein Blick in die Runde zeigte jedoch, dass die anderen im Saal es eher nicht erheiternd fanden, und so räusperte der junge Mann sich kurz, um dann schließlich fortzufahren: „Es hat sich gezeigt, dass wir keine Fortschritte erreichen werden, wenn wir immer und immer wieder den gleichen Fehler begehen. Unsere Völker werden niemals Freunde werden, soviel ist gewiss. Dennoch gibt es im Moment weitaus größere Probleme, deren Lösung wir nur gemeinsam bewältigen können. Leider bin ich nicht befugt, hier über etwaige Einzelheiten zu sprechen, dennoch möchte ich Sie alle dazu aufrufen: Wenn Ihnen ihr Leben oder das Ihrer Liebsten etwas bedeutet, haltet den Frieden aufrecht und lasst uns zusammen dafür sorgen, dass diese Welt, welche wir alle schätzen sollten, auch weiterhin bestehen bleibt.” Nach seiner Ansprache war es ruhig geworden, alle im Saal wirkten erstaunt. Der junge Mann, kaum älter als Tyra, hatte eine Weisheit in sich und eine Art zu sprechen, dass es schier unmöglich schien, ihm nicht das Vertrauen zu schenken.

Pateo war mittlerweile aufgestanden und hatte sich neben ihn gestellt. Der ältere Mann legte ihm die Hand auf die Schulter: „ Ich weiß, wie schwer es für dich sein muss, Junge”, sagte er leise, sodass nur Damien seine Worte hören konnte. „Oh ja. Zu wählen war schon immer schwer. Und so wird es auch immer sein.” Dann ließ er seinen Blick auf die Menschen am Tisch schweifen und sprach lauter: „Ein großer Schritt ist getan. Er kam zu uns, allein. Wohl wissend, wie wir ihn empfangen werden. Und doch hat er das Wohl der Allgemeinheit seinem eigenen Schutz geopfert. Geben wir nun ihm einen Vertrauensvorschuss. Wir werden uns anhören, was er zu sagen hat. In vier Tagen, wenn der Mond seinen höchsten Punkt erreicht hat, werden wir uns erneut hier versammeln und dann, meine Freunde, wird man sehen, für welchen Weg wir uns schließlich entscheiden.”

Die Erbin des BlutesWo Geschichten leben. Entdecke jetzt