4. Caccia

131 17 152
                                    

Caccia (ital.): Jagd; Auch Bezeichnung für einen zweistimmigen Kanon

Sebastian war gerade aus dem Bett gestiegen, als es an seiner Tür klopfte. Er kämpfte sich mühsam durch die enge Wohnung, stieß dabei gegen eine kleine Kommode, die er sich erst vor kurzem gekauft hatte, fluchte laut und erreichte schließlich die Tür.
Ein gut gekleideter Mann blickte ihm gelangweilt entgegen.

„Kommen Sie mit, Mr. Moran", sagte der Herr und ignorierte dabei gekonnt, dass Sebastian noch seine Schlafsachen trug.

„Kann ich mich schnell umziehen?", fragte Sebastian, der bereits ahnte, wer den Herren geschickt hatte. In ganz London gab es nur einen Mann, der die Dreistigkeit besessen hätte, seine Mitarbeiter um acht Uhr morgens aus dem Bett klingeln zu lassen.

„Nehmen Sie ihre Sachen mit und ziehen Sie sich in der Droschke um. Der Professor wartet nicht gerne. Ihr Gewehr sollten Sie vielleicht auch dabeihaben", damit drehte sich der Mann um und ging die Treppe hinab.

Sebastian eilte ins Schlafzimmer, griff sich seine Kleidung vom letzten Tag und sah zu, dass er hinter dem Mann herkam.
Dieser saß bereits auf dem Kutschbock und kaum, dass Sebastian eingestiegen war, setzte sich das Gefährt bereits in Bewegung.

Als die Kutsche vor der roten Backstein Villa zum stehen kam, hatte Sebastian sich umgezogen und seine Haare halbwegs ordentlich gelegt. Er stieg aus, warf sich seinen Mantel über und nickte dem Fahrer zu, ehe er an die dunkle Tür klopfte. Es dauerte nicht lange und Moriarty öffnete ihm.
Der Professor winkte ihn nach drinnen, wo Sebastian seinen Mantel wieder auszog. Die Villa war trotz der kalten Außentemperaturen gut geheizt.
Im Wohnzimmer flackerte ein Feuer im Kamin und wärmte die unmittelbare Umgebung.

„Nehmen Sie doch Platz", auf dem Tisch standen bereits zwei Tassen Tee, „Sie fragen sich sicher, warum ich Sie hier her zitiert habe:"
„Ich frage mich, ob die Möglichkeit bestanden hätte auszuschlafen..."

Der Professor ignorierte den Einwurf: „Ich habe gehört, dass Sie Ihre neue Waffe gestern erhalten haben und wie der Zufall es will habe ich einen kleinen Auftrag für Sie."

„Okay. Warum informiert mich Joe nicht über den neuen Auftrag, normalerweise ist das doch seine Aufgabe", fragte Sebastian, den das Vorgehen des Professors verwirrte. Er hatte nicht ohne Grund in der ersten Zeit seiner Anstellung viel mit der rechten Hand Moriartys zu tun gehabt. Joe Miller hatte Aufträge überbracht und überwacht und war Sebastian in dieser Tätigkeit schnell sympathisch geworden, obwohl er kaum mal ein Wort des Lobes übrighatte.

„Sie sollen keine dummen Fragen stellen, Sebastian", Moriarty benutze seinen Vornamen, was sein Herz ein paar Takte schneller schlagen ließ, „Ich möchte mich von Ihrer Fähigkeit als Scharfschütze überzeugen."

„Ich dachte Joe würde Ihnen berichten..."
„Tut er auch, aber... egal. Es kommen Veränderungen auf dieses Netzwerk zu."
„Inwiefern?"

„Wir expandieren. Nehmen heiklere Aufträge an, stellen weitere Mitglieder ein und verdienen mehr. Ich will nur, dass Sie mich von Ihren Qualitäten überzeugen."

Die Droschke wartete noch vor der Villa, als die beiden Männer nach draußen traten. Moriarty hatte sich einen Mantel über den Anzug geworfen und wirkte eher wie jemand, der fein Essen oder in die Kirche gehen wollte, als wie jemand, der einem Mord beiwohnen wollte. Aber vermutlich hatten sich schon die alten Römer herausgeputzt, wenn es ins Kolosseum ging, um den Gladiatoren dabei zuzujubeln, wie sie abgeschlachtet wurden. Panem et circenses hielten wohl nicht nur die Römer bei Laune.

Sie fuhren über die Themse nach Brixton, wo sie vor einem freistehenden Häuschen hielte. Sebastian wollte schon austeigen, als Moriarty ihn zurückhielt und mit dem Kopf auf einen älteren Herrn deutete, der vertieft in seine Tagezeitung den Gehweg entlang schritt.

RequiemWo Geschichten leben. Entdecke jetzt