9. Con slancio

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Con slancio (ital.): mit Schwung

Die Depesche kam Mitte Januar. Sebastian hatte Moriarty im jungen Jahre1887 erst einmal gesehen und bei diesem Treffen waren sie wahrlich nicht dazugekommen über die Arbeit zu sprechen.

„Mrs. Angelica Steward. Parliament Street 234. Äußerste Vorsicht geboten!"

Mehr stand in der Depesche nicht drin, die Sebastian sich noch zweimal durchließ, ehe er sich auf den Weg zu der angebenden Adresse machte. Erst einmal ohne sein Gewehr, würde er die Lage auskundschaften, um sich dann einen Plan zurecht zu legen.

Die Droschke spuckte ihn am Anfang der Parliament Street aus, von wo aus er gemütlich die Straße hochschlendern konnte. Aufmerksam sah er sich um. Tastete die einzelnen Gebäude ab und stellte fest, dass die Menschen, die in dieser Gegend Westminsters unterwegs waren, allesamt wichtig aussahen. Sie trugen teure Mäntel und hasteten beschäftigt durch die Straße.

In seinem abgetragenen Mantel wirkte er schon fast schäbig. Doch niemand würdigte ihn auch nur eines Blickes, deshalb fiel auch niemanden auf, dass der blonde Mann vor der Nummer 234 länger stehen blieb als es sich gehörte.

Die Nummer 234 war ein hübsches Haus mit ordentlichem Vorgarten und gepflegter Fassade. Dann inspizierte er das gegenüberliegende Haus. Es gehörte einer Anwaltskanzlei, deren goldenes Schild einen gewissen Alan Haworth auswies.
Ohne groß nachzudenken betrat Sebastian das Gebäude. Das Treppenhaus war der Straße zugewandt und durch die Fenster hatte man einen guten Blick auf die Nummer 234. Einziges Problem war, dass jederzeit ein Klient oder der Anwalt selbst ins Treppenhaus treten konnten.

Als er zurück auf die Straße trat, hatte er einen Plan gefasst. Es würde schnell gehen müssen und es würde riskant sein, aber er sah keinen anderen Weg.

Halbwegs zufrieden mit seinem Plan beschloss er Moriarty einen Besuch abzustatten. Der Professor war tatsächlich Zuhause und öffnete ihm wie immer persönlich die Tür. Am Anfang hatte ihn der Mangel an Personal gewundert, doch inzwischen war er mehr als dankbar für die fehlenden Hausangestellte.

„Sebastian", begrüßte Moriarty ihn und winkte ihn hinein. Die Portraits starrten auf sie hinab, während Sebastian seinen Mantel ablegte. „Wie komme ich zu der Ehre?"

„Ich war in der Gegend und hatte Sehnsucht", eine flüchtige Berührung an der Schulter. James schüttelte den Kopf, gab ihm zu verstehen, dass nicht der geeignete Zeitpunkt für Zärtlichkeiten war.

„Nach meinem Whiskey nehme ich an."
„Sie haben mich ertappt."

Moriarty führte in die Stube und Sebastian erkannte den Grund für ihre Heimlichkeiten. In seinem angestammten Platz saß Mary Ann Nichols, die ihm breit entgegen lächelte, als er den Raum betrat. Sie hatte eine Tasse Tee in der Hand und blickte auf etwas hinab, das wie die Pläne eines Gebäudes aussahen.

„Tag", grüßte sie, ohne von den Unterlagen aufzublicken.

„Mary Ann", grinste Sebastian, der sich trotz, dass er gehofft hatte allein mit Moriarty zu sein, über ihren Anblick freute.

„Und du bist gut ins neue Jahr gerutscht?", fragte sie, während Moriarty ihm ein Glas Whiskey eingoss.

„So gut es eben geht, wenn man bei einem äußerst langweiligen alten Freund feiert."

„Stirling?", Moriarty deutete Sebastian sich zu setzen, während er selbst stehen blieb.

„Stirling", bestätigte Sebastian und erhielt einen mitleidigen Blick von Moriarty. „Und was planst du so, Mary?"

„Ist nen großes Versandhaus", sie deutete auf die Pläne, „Es geht um Informationen und Rechnungen, die wir brauchen."

Er nickte. „Ich habe mich in der Parliament Street ein wenig umgesehen."
Er richtete die Worte an Moriarty, welcher nicht überrascht schien.

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