11. Rabia

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Rabia (ital.): Wut

Ihr Atem ging schnell und keuchend und schon von Weitem konnte er den Angstschweiß riechen, der ihre Sachen durchtränkte. Sie musste ahnen, was ihr bevorstand und dennoch bettelte sie nicht um ihr Leben. Er bewunderte sie, wie er sie schon immer bewundert hatte.

„Oh Mary Ann, in welche Lage hast du dich nur gebracht?", der zweite Mann trat aus dem Schatten in die Mitte des Raumes. Eine Lampe spendete spärliches Licht, doch seine schwarzen Augen lagen noch immer im Dunkeln. Ein gelblicher Schein ließ seine Haut krankhaft wirken und obwohl seine Stimme sanft durch den Raum waberte, wussten sie alle, dass er der gefährlichste Mann Londons war.

Sebastian selbst stand noch immer im Schatten und beobachtete wie Mary Ann sich zu Moriarty umdrehte. Sie lächelte ihm verbittert zu, natürlich hatte sie gewusst, wer sie in die Buck's Row bestellt hatte. Sie hätte die Einladung ablehnen können, dachte er. Dann ständen sie nun nicht zu dritt in dem schäbigen Haus, in dem der Tod in jeder Ecke zu sitzen schien.

„Hallo James", sagte sie. Die Zeit der Förmlichkeiten war vorbei, es gab keinen Grund mehr sich an die Regeln der Gesellschaft zu halten. „Sebastian, willst du nicht ins Licht treten, damit ich dein hübsches Gesicht noch einmal sehen kann?"

Ein tiefer Atemzug, dann trat er vor. Sie sah aus, wie noch vor wenigen Tagen. Braune Locken, die ihrem runden Gesicht schmeichelten und dennoch wirkte sie verändert. Es war der Ausdruck, der ihr Gesicht umspielte. Er war nicht mehr offen und freundlich, sondern hart und feindselig. Niemals hatte Sebastian sich ausgemalt eines Tages so von ihr angesehen zu werden. Eine kalte Faust schlang sich um seine Eingeweide und er betete, dass er endlich aus diesem Alptraum erwachen würde. Seine Gebete wurden nicht erhört. Vermutlich machte sich Gott, wenn es ihn den gab, einen Spaß aus dieser Situation, immerhin war Sebastian nicht sein treuster Anhänger und die von Gott aufgestellten Regeln, beachtete er sowieso nicht.

„Mary Ann", er nickte ihr zu, doch sie musste den gequälten Ausdruck auf seinem Gesicht bemerkt haben, denn ein hämisches Grinsen schlich sich in ihr Gesicht.

„Oh, Seb", sie seufzte, „Ich dachte wirklich wir wären Freunde. Ich habe dich für vieles gehalten, aber nicht für einen Lügenden Bastard."

„Hör auf", James war zwischen sie getreten. In seiner rechten Hand hielt er ein Messer. Sebastian fiel auf, dass er müde wirkte, doch er ahnte, dass James nie zuvor so gefährlich gewesen war. Nun wo er selbst näher am Geschehen stand, erkannte er den Zorn, der in James Augen flackerte. Bitte, dachte er, lass mich nie der Grund für eine solche Wut sein.

„Womit soll ich aufhören, James? Dein Schoßhündchen als Lügner zu bezeichnen? Aber das ist er, ihr beide seid nichts als dreckige Lügner", höhnte sie.

„Warum? Weil ich Miller habe töten lassen?", James lachte, „Und was hast du getan? Bist zu Sherlock Holmes gelaufen und hast ihn um Hilfe angebettelt. Dabei hattest du nicht mal den Mut, deinen richtigen Namen zu benutzen, Mary Ann Nichols oder soll ich dich Fred Porlock nennen?"

„Da haben wir uns wohl alle nicht so ganz an die Spielregeln gehalten", ihre Stimme klang wie die eines kleinen Mädchens. Leicht wiegte sie ihren Kopf hin und her, während sich auf ihrem Gesicht ein Grinsen ausbreitete. „Was willst du tun? Mich töten? Tu es, ich fürchte den Tod nicht. Aber ich weiß, was du fürchtest."

James sah sie einen kurzen Moment einfach nur an, dann reichte er Sebastian wortlos das Messer. „Sebastian wird dich töten."

„Ich wusste, dass du feige bist", höhnte Mary Ann und für den Bruchteil einer Sekunde glaubte Sebastian ihr.

James ging nicht auf ihre Worte ein. Stattdessen trat er auf Sebastian zu und der Ausdruck des Wahnsinns hatte sich in sein Gesicht gefressen.

„Erinnerst du dich an den Mord an Martha Tabram?", als Sebastian nickte fuhr er fort, „Ich möchte, dass sie genauso grausam stirbt. Mary Ann, meine Liebe, deine Vergangenheit als Prostituierte ist heute Gold wert. Wenn sie dich finden, wird es das einzige sein, was sie in dir sehen werden und dann war das hier nicht unser Mord, sondern der eines Verrückten, der es auf Prostituierte abgesehen hat."

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