3. Kapitel

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         Träge glitt mein Blick aus dem Fenster. Da ich das Licht der Lampe ausgeschalten hatte, konnte ich gut den Wald erkennen, den das Haus umgab. Ich vermutete, dass ich mich im ersten Stock befand, sicher war ich mir aber nicht. Die Baumkronen wiegten sich im Wind, während erneuter Regen auf das Dach prasselte. An anderen Tagen hatte mich das Geräusch von Regen beruhigt. Heute löste es eine komische Form von Panik in mir aus.
         Ab und an hörte man den Wind leise heulen, was mir immer wieder einen kalten Schauer über den Rücken jagte. Ich saß im Schneidersitz auf dem Bett und war froh, dass heute noch Samstag war. Meine Arbeiten lagen noch immer Zuhause. Bei Phil. Mittlerweile wollte ich diese Wohnung nicht mehr als mein Zuhause bezeichnen. Dennoch kam ich nicht an meine Arbeiten heran, was nicht gut war. Am Montag sollte ich der Autorin das Cover schicken.
         Seufzend lehnte ich meinen Kopf an die Scheibe und warf einen Blick auf die Uhr, die wie die Sterne an der Decke leuchtete und einem Mond glich. Es war kurz vor Mitternacht und ich bekam einfach kein Auge zu, weil sich meine Gedanken drehten. Immer schneller, immer mehr. Sie fuhren Achterbahn und ich bekam sie nicht in den Griff. Bis jetzt hatte es keiner gewagt, dieses Zimmer zu betreten, worüber ich sehr froh war.
         Ab und an hörte man nur die Stimme von unten heraufdringen, was mir aber auch egal war. Mir war alles egal. Meine Augen brannten schon vor Müdigkeit, doch ich hatte bereits versucht zu schlafen. Es hatte nicht geklappt. Im Gegenteil. Als ich irgendwann eingeschlafen war, hatte mich kurz darauf ein Albtraum geplagt. Dem entsprechend war ich nicht scharf darauf, noch einmal zu schlafen. Deswegen beobachtete ich lieber, wie die Bäume sich im Wind wiegten.
Im nächsten Moment ertönte ein Klopfen.
        Ein bestimmtes Klopfen. Zweimal. Langsam drehte ich mich zur Tür. »Herein«, sagte ich gerade so laut, dass man es draußen auf dem Gang hören musste. Leise öffnete sich die Türe und das helle Licht aus dem Gang flutete das Zimmer. So erkannte ich nur eine Silhouette, die groß und muskelbepackt war. Ich musste nicht raten, um zu wissen, wer dort stand. Lorcan. Mit seiner Ankunft wehte mir der Geruch von heißer Schokolade und sein eigener Duft von Wald entgegen.
         »Warum sitzt du im Dunkeln?«, fragte er mich. Ich zuckte mit den Schultern. »So kann ich rausschauen.« Lorcans Blick schnellte zum Fenster. Ich war mir sicher, dass er trotz des Lichtes, dass vom Gang in das Zimmer fiel, auch noch etwas sehen konnte. Werwolfaugen und so. Dann glitt sein Blick zu mir zurück. So sah es jedenfalls aus. Gerade als ich etwas sagen wollte, stellte er das Licht an. Grummelnd kniff ich die Augen zusammen. Das Licht im Zimmer war grell und blendete mich für einen Moment.
         Lorcan lachte rau. Und obwohl es ein raues Lachen war, war es dennoch warm und ehrlich. Ein heißer, wohliger Schauer rann meinen Rücken hinab. Ein Schauer, den ich mir so an sich nicht erklären konnte. Vor ein paar Wochen hatte ich Phils Lachen noch am schönsten gefunden. Jetzt geriet mein Herz ins Stocken, wenn Lorcan lachte. Schnell schüttelte ich diese Gedanken ab.
         »Was ist so lustig?«, fragte ich und verschränkte trotzig die Arme vor der Brust. Jetzt, da ich Lorcan ganz sehen konnte, erkannte ich, dass er sich umgezogen hatte. Er trug jetzt eine schwarze Jogginghose, die sich eng an seine muskulösen Schenkel und Waden schmiegte. Dazu trug er ein weißes T-Shirt mit V-Ausschnitt, welches sich auch an seine Muskeln schmiegte. Doch was mir besonders auffiel, war die dampfende Tasse in seinen starken Händen.
         »Du hast dich nur gerade benommen wie ein Vampir. Sonst nichts«, antwortete er mir gluckend. Ungläubig hob ich eine Braue. »Du weißt ganz genau, dass es die nicht mehr gibt.« Er grinste nur als Antwort. Da ich nicht mehr mit ihm über dieses Thema sprechen wollte, sah ich wieder auf die Tasse, aus der der verdächtige Duft nach Kakao kam. »Warum hast du Kakao dabei?«, fragte ich. Seine Augen, die fast wie Obsidiane wirkten, richteten sich erst auf die dampfende Tasse, dann auf mich.
         »Der ist für dich, ich dachte, dass dir das beim Schlafen helfen könnte«, meinte er und kam auf mich zu. Ich beobachtete jeder seiner Bewegungen. Warum, wusste ich nicht genau. Er kam nur ganz normal auf mich zu, um mir diese Tasse zu geben und doch spürte ich, wie das Herz wild in meiner Brust pochte. Ein Kloß bildete sich in meinem Hals. Das ist nicht gut, sagte ich mir. Das war es überhaupt nicht. Ich verstand nicht, warum ich so reagierte. Er hielt mir die Tasse hin. Zögerlich nahm ich sie ihm ab, darauf bedacht, seine Hand nicht zu berühren.
         »Hast du den gemacht?«, fragte ich leise und umschloss die warme Tasse mit beiden Händen. Er nickte als Antwort, während sein Blick auf mich gerichtet war. »Oh... danke. Du hättest dir nicht extra die Arbeit machen müssen«, erwiderte ich, was ihn kurz Lächeln ließ. »Das war doch keine Arbeit. Ich mach das gerne, wenn es dir beim Schlafen hilft«, antwortete er leise. Seine Worte verwirrten mich, da er nicht wissen konnte, dass mir Kakao beim Schlafen half.
Es stand nicht auf meiner Instagramseite und auch sonst wurde es nirgends erwähnt. Also konnte er es gar nicht wissen.
        Nicht wirklich jedenfalls. »Woher willst du wissen, dass es mir beim Schlafen hilft?«, hakte ich nach. Ich sah, wie er kurz zusammenzuckte und sich dann kurz am Nacken kratzte. Er schien zu überlegen, was er mir jetzt sagen sollte. »Ich nahm einfach an, dass dir das hilft. Mir hilft es auch immer, wenn ich nicht schlafen kann«, antwortete er mir und sah mich an. Ich wusste, dass ein Teil davon die Wahrheit war, doch ein anderer Teil war gelogen.
         »Du hast also angenommen, dass es mir hilft?«, fragte ich deswegen nach. Vielleicht, weil ich einfach die Wahrheit wissen wollte, vielleicht weil ich genug von Geheimnistuerei hatte oder weil ich ihn einfach nur ärgern wollte. Ich wusste es nicht genau. »Ja...«, meinte er etwas hilflos. Da ich ihn nicht weiter ärgern wollte, beließ ich es fürs Erste dabei. Morgen konnte er mir immer noch alles erzählen. Dann musste er es aber. »Okay«, antwortete ich dann, bevor ich einen kleinen Schluck nahm.
         Sobald sich der süße Geschmack der Schokolade auf meiner Zunge ausbreitete, schloss ich genüsslich die Augen und unterdrückte gerade noch so ein genüssliches Stöhnen. Diese heiße Schokolade schmeckte besser als alles andere, was ich je getrunken hatte. Sie war perfekt. Mit ein kleinem bisschen Sahne oben drauf. Sie schmeckte himmlisch. Doch bevor ich es richtig genießen konnte, spürte ich Lorcans Blick auf mir brennen. Ein Blick, den ich bis tief in meine Knochen spürte, bis tief in meine Seele. Langsam öffnete ich die Augen wieder.
         »Ist was?«, fragte ich leise. Seine Augen schienen noch dunkler zu sein, als gerade eben noch. Fast schwarz wie die Nacht. Mein Puls beschleunigte sich und das Blut rauschte in meinen Ohren. Er hob eine Hand. Nervös sah ich dabei zu, wie die Hand meinem Gesicht näherkam. Schließlich berührte sein Daumen meine Oberlippe und ich hatte das Gefühl in Flammen aufzugehen. Dieses Gefühl war merkwürdig und so vollkommen fremd. Ich hatte es nicht erwartet. Nicht einmal bei Phil hatte ich mich gefühlt.
         Sanft strich sein Daumen über meine Oberlippe. Seine Augen waren an diese Stelle gehaftet und ich könnte schwören, tausend Gefühle in seinen Augen aufflammen zu sehen. Doch dann löste er den Daumen schnell von meiner Oberlippe und der Moment war vorbei. Fragend blickte ich auf seinen Daumen hinab, nur um zu verstehen, was er getan hatte. Ich hatte Sahne auf meiner Oberlippe gehabt. Röte schoss mir in die Wangen, dennoch lächelte ich etwas.
         »Ich hätte das auch selbst hinbekommen, Lorcan«, wisperte ich leise. Als ich seinen Namen aussprach, schoss sein Blick wieder zu meinen Augen. Etwas schien er daran zu mögen, wenn ich seinen Namen sagte. »Wo bleibt denn da der Spaß, Nera?«, raunte er. Wieder einmal an diesem Tag bekam ich wegen ihm eine Gänsehaut. Keine Gänsehaut, die man bei Angst bekam. Ich kannte ihn nicht. Ich sollte Angst vor ihm haben, ich sollte nicht so auf ihn reagieren.
Und doch tat mein Körper es, was mich verwirrte. Er war ein Fremder. Ein Werwolf noch dazu. Dennoch saß ich hier, auf diesem Bett, mit einer heißen Schokolade in der Hand, die er mir gemacht hatte. »Also darf ich das auch machen?«, fragte ich nach, ohne dass ich es aufhalten konnte. Mit ihm zu flirten war das Letzte, was ich tun sollte und dennoch tat ich es. Ein schiefes Grinsen schlich sich auf seine Lippen. »Klar.«
         Verlegen senkte ich den Blick und beeilte mich, noch einen Schluck von der dampfenden Schokolade zu nehmen. Sein Blick brannte weiter auf mir, doch ich wagte es nicht mehr, nach oben zu blicken. »Dann lass ich dich mal wieder allein. Bis morgen in der Früh«, hauchte er leise. Dann hörte ich, wie er langsam aus dem Zimmer ging. Erst, als er die Tür hinter sich schloss, wagte ich es, den Blick zu heben. Eine Geste, die ich kurz darauf bereute, da Lorcan wieder die Tür aufmachte.
         Fragend sah ich ihn an. Er jedoch schenkte mir nur ein kleines Lächeln, bevor er den Lichtschalter betätigte und mich somit wieder in komplette Dunkelheit hüllte, die nur von dem kleinen Lichtschein unterbrochen wurde, den der Gang spendete. Doch auch dieser erlosch, als Lorcan die Tür zumachte. Für ein paar Sekunden starrte ich die weiße Tür an, die bis jetzt die einzige Grenze zwischen dem Rudel und mir war. Bis jetzt hatte ich keinen von ihnen getroffen, doch ich wollte es momentan auch nicht.
         Ich wollte meine Ruhe. Wollte alles in Ruhe verarbeiten. Musste mir über viele Dinge klar werden. Aus diesem Grund wandte ich mich wieder dem Fenster zu, trank aus der Tasse, die meine Hände wärmte um im Zimmer den Geruch von Schokolade verströmte. Ein Geruch, den ich nicht mehr missen wollte. Ich wusste nicht, wie lange ich dort saß und einfach aus dem Fenster blickte. Den Bäumen zusah, die im Wind wiegten, den letzten Blättern zusah, die zu Boden glitten. Erst, als die Tasse leer war und mir eine selige Ruhe überkam, kuschelte ich mich in die warmen Decken und bettete meinen Kopf und das gemütliche Kissen.
         Es dauerte nicht mehr lange, bis die Müdigkeit von mir Besitz ergriff und mich mit ihren dunklen Klauen in eine Schwärze zog, die ich mehr als willkommen hieß.

Lorcan - "Sie will zu mir" ✔Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt