10. Kapitel

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        Unruhig wälzte ich mich hin und her. Der Wind peitschte unaufhaltsam gegen die Fensterläden und ließ diese wackeln. Draußen heulte er in den Baumkronen und ließ die übrigen Blätter von den Bäumen sausen. Regen setzte zum Glück nicht ein, der Wind war aber schon genug. Immer wieder donnerte der Wind gegen die Hauswand. Draußen ließ er irgendetwas Loses schlackern. Immer wieder. Mittlerweile leuchteten die Sterne über mir an der Decke. Es war so dunkel, dass man sie sehen konnte.
         Sie spendeten genügend Licht, so wie die Monduhr, die ebenfalls leicht zu leuchten schien. Jedenfalls leuchteten die Zahlen so, dass man sie erkennen konnte. Das Bett knarzte zum Glück nicht bei meinen Bewegungen, weswegen niemand hörte, dass ich mich hin und her wälzte. Das hoffte ich zumindest. Sicher war ich mir da nicht. Ich blickte umher. In der Nacht konnte ich die Schemen des Schreibtisches ausmachen und meine Bücher. Meine Gedanken rasten und drehte sich um morgen.
         Ich musste unbedingt an dem Cover weiterarbeiten, damit ich es so bald wie möglich an den Autor schicken konnte. Sonst würde ich in Verzug kommen und das konnte meinem Geschäft schaden. Ich dachte daran, wie das morgen alles werden würde. Ob viele Leute auf der Arbeit sein würden oder ob Lucie morgen in die Schule gehen würde. Da ich aber ein Hausaufgabenheft auf dem Tisch gesehen hatte, ging ich davon aus.
         Irgendwie herrschte diese gewisse Unruhe in meinem Inneren. Eine Unruhe, die ich nicht erklären konnte. Mein Magen grummelte merkwürdig und ich hatte das Gefühl, bald aufs Klo rennen zu müssen. Etwas schien in meinem Körper nicht zu stimmen. Ich war seltsam nervös. Warum, wusste ich nicht. Ich wusste nicht, wie es morgen werden würde. Wie meine nächsten Tage hier werden würden. Wie es überhaupt werden würde. Zudem schwirrte mir all das, was Lorcan mir gesagt hatte, im Kopf herum. Ich hatte keine richtige Familie, ich war seine Seelenverwandte und ich hatte Werwolfsblut in mir.
         Blut eines Alphas. Des ersten Alphas, den es überhaupt gegeben hatte. Ein merkwürdiges Gefühl das zu wissen. Besonders, wenn ich mich noch nie in meinem Leben verwandelt hatte. Mir war nie aufgefallen, dass ich besonders gut hatte hören und sehen können. Ich hatte immer nur gedacht, dass die anderen eben etwas schlechter sehen konnten. Mir war auch nie aufgefallen, dass ich nie krank wurde. Ich hatte es einfach für ein gutes Immunsystem gehalten. Schließlich gab es immer Leute, die anfälliger waren als andere. So war es immer und würde es immer sein.
         Niemand hatte es mir gesagt. Niemand hatte es gewusst. Doch alle hatten gewusst, dass diese Leute, die mich großgezogen haben, nie meine richtigen Eltern gewesen waren. Niemand hatte es für nötig gehalten, mir das zu sagen. Nein, sie hatten mich lieber ausgeschlossen, als wäre ich eine unerwünschte Person, die so oder so niemand wollte. Ein Kloß bildete sich in meinem Hals, doch ich verdrängte diese bösen Gedanken aus meinem Kopf.
         Stattdessen fragte ich mich, ob Lorcan sich auch so um mich kümmern würde, wenn er sich nicht von diesem Gefühl, dass ihm sagte, dass ich seine Seelengefährtin war, leiten lassen würde. Ich fragte mich, ob er das alles nur wegen diesem Gefühl tat, oder weil er es wirklich wollte. Das hatte ich mich schon immer gefragt. Besonders, als mir Liams Freude einst davon erzählt hatten und ich Hoffnungen hatte, dass Liam und ich für einander bestimmt seinen. Im Nachhinein war es vermutlich ganz gut, denn das Letzte, was ich mitbekommen hatte, war, dass er seine Mate zum Weinen gebracht hatte.
           Er hatte ihr gesagt, was sie tun und lassen sollte. Er war zwar in sie verliebt gewesen, und doch hatte er über sie bestimmt. Sie hatte nicht einmal mehr ihren Bruder sehen dürfen. In meinen Augen eine Vorschrift, die etwas übertrieben war. Schließlich war es ihr Bruder und kein dahergelaufener Typ. Darum musste er sich also keine Sorgen machen. Jedenfalls nicht wirklich. Ich rollte mit den Augen. Auch diese Gedanken sollte und wollte ich aus meinen Gedanken verdrängen. Ich wollte sie nicht.
           Liam verdiente es nicht, dass ich an ihn dachte. Nie wieder. Also versuchte ich die bekannte, alte Methode, um in den Schlaf zu fallen. Schäfchenzählen. Leider verwandelten sich die Schafe nach 10 Stück in Werwölfe mit scharfen Klauen und Zähnen. Also riss ich die Augen wieder auf und versucht ein anderes Bild zu sehen. Doch auch das klappte nicht sonderlich gut. Seufzend schnappte ich mir mein Handy von dem kleinen Nachttisch und schaltete den Bildschirm an. Mit ein paar schnellen Bewegungen meiner Finger hatte ich den Code eingegeben und befand mich kurz darauf auf YouTube, wo ich nach Musik zum Einschlafen schaute.
         Irgendwann fand ich gute Musik, die sehr beruhigend wirkte. Irgendwie griff ich im Dunkeln auch nach meinen Ohrhörern, die ich vorhin nach dem Essen auch herausgeholt hatte. Dann steckte ich mir diese rein und lauschte der Musik. Leider war die Musik nicht so beruhigend, wie der Titel verhieß. Eher rasten meine Gedanken nur noch schneller. Immer schneller. Immer wilder. Irgendwann überkam mich Frustration. Ich wollte das nicht hören. Wirklich nicht. Ich hasste es. Ich wollte es nicht. Nie und nimmer.
           Frustriert stellte ich die Musik ab und atmete tief durch. Im nächsten Moment ging die Tür auf und das Licht des Ganges flutete den dunklen Raum. Stöhnen kniff ich die Augen zusammen, die sich mittlerweile an die Dunkelheit gewöhnt hatten. Es dauerte nur eine Sekunde, bis ich wusste, wer dort im Türrahmen stand. Es gab nur einen hier, der so groß und muskulös war, wie Lorcan. »Kannst du nicht schlafen?«, fragte er besorgt. Seine Stimme war sanft und leise. »Nicht wirklich«, meinte ich nur leise und versuchte ein Seufzen zu unterdrücken. Lorcan kam herein und schloss leise die Tür hinter sich. Verwirrt runzelte ich die Stirn.
           Zwar konnte ich noch leichte Umrisse seines Körpers erkennen, die immer näher kamen, aber sehr viel sehen konnte ich dennoch nicht. Erst, als er die Lampe auf meinem Nachttisch anmachte, konnte ich ihn erkennen. Langsam ließ er sich auf die Bettkante gleiten. Weit genug weg von mir, so dass ich mich nicht bedrängt fühlte. Sein Blick glitt über mich hinweg, dann glitt sein Blick zu meinen vielen Büchern, die das Bücherregal, was vorher kahl gewirkt hatte, ausschmückte. Er runzelte leicht die Stirn, als würde er überlegen, dann glitt sein Blick zurück zu mir. Da war etwas in seinen dunklen Augen, dass ich nicht ganz deuten konnte. Vielleicht wollte ich es aber auch nur nicht deuten. Genau konnte ich das nicht sagen.
           »Soll ich dir etwas vorlesen?«, fragte er mich, frei heraus. Erstaunt riss ich die Augen auf und konnte nicht glauben, was er mir da sagte. Was er mir damit sagen wollte. Verblüfft starrte ich ihn an. Wusste nicht genau, was ich antworten sollte. Erstens war es schon spät. Wenn er morgen vielleicht auf die Arbeit musste, dann würde er müde sein und würde den ganzen Tag verschlafen rumlaufen. Etwas betrübt sah ich ihn an. Dann sagte ich endlich, was mir durch den Kopf ging.
           »Wenn du morgen früh raus musst, solltest du jetzt langsam auch schlafen«, meinte ich etwas besorgt. Er schüttelte den Kopf. »Muss ich nicht. Hayes bringt Lucie zur Schule in Mistfall und da ich zwei Wochen Urlaub genommen habe, geht das schon«, meinte er. Ich runzelte die Stirn. »Als was arbeitest du eigentlich?« Die reine Neugier hat da aus mir gesprochen. »Ich bin Trainer.« Mit großen Augen sah ich ihn an. Ich konnte mir vorstellen, was er trainierte, wollte aber sicher sein. »Was trainierst du?«
           Ein schiefes Grinsen huschte über seine Lippen. »Du bist heute aber sehr neugierig, Nera.« Ich rollte mit den Augen, lächelte aber. »Beantworte die Frage.« Er lächelte mich warm an. »Football mit Mädchen.« Bei dem letzten Wort riss ich die Augen auf. Mir war klar, dass es an Highschools kein Football mit Mädchen gab. Das ausgerechnet Lorcan Mädchen trainierte, überrascht mich für einen Moment. Ich stellte mir vor, wie dieser große Mann vor einer Horde kleinen Mädchen stand und ihnen erklärte, was sie zu tun hatten. »Sind sie nicht traurig, dass du sie jetzt während der Schulzeit hängen lässt?«, fragte ich nach. Lorcan nickte.
             »Schon aber ich habe ihnen gesagt, dass es mir sehr wichtig ist und sie verstehen es. Außerdem machen Hayes und Milan die Vertretung für mich nach ihren Kursen an der Uni. Also geht das in Ordnung. Sie haben eh einen Narren an Milan gefressen«, meinte Lorcan und lächelte. Ich fragte mich, wer von den ganzen Jungs heute Milan gewesen war. Vielleicht einer, der mit Lorcan meine Sachen geholt hatte. Sicher wusste ich es nicht, da Lorcan mich heute nicht mit Informationen hatte überladen wollen. »Aber jetzt wieder zu meiner Frage. Soll ich dir etwas vorlesen?« Noch immer sah ich ihn etwas ratlos an, dann gab ich die beste Antwort, die ich in diesem Moment geben konnte: »Wenn du möchtest.« Kaum hatte ich den Satz zu Ende gesprochen, war Lorcan auch schon aufgesprungen und lief zum Bücherregal. Welches Buch er da herausfischte, konnte ich schlecht erkennen.
         Erst, als er sich wieder auf die gleiche Stelle setzte und das Buch aufschlug, erkannte ich das Cover und den Titel. Es handelte sich um ein Buch, was ich schon lange nicht mehr gelesen hatte. Ein kleines Lächeln legte sich auf meine Lippen und ich kuschelte mich ins Bett. Die Decke zog ich dabei fester um mich und versuchte eine passende Position für meinen Kopf zu finden. Dann begann Lorcan schon mir vorzulesen. Seine Stimme war sanft und weich und sorgte für eine gewisse Ruhe in meinem Körper und in meinem Kopf.
           Alles in mir wurde ganz ruhig. Wirklich alles. Ich entspannte mich und schloss die Augen, während Lorcan mir die Geschichte von Lilac und Tarver vorlas. Eine Geschichte, die mich immer wieder begeistern konnte. Die mich immer wieder beruhigte. Ich wusste nicht, wie lange er mir schon vorlas, als die dunklen Fängen des Schlafes an meinen Nerven zerrten. Ich wusste nicht, wie lange es dauerte, bis mich schließlich die sanfte Dunkelheit des Schlafes zu sich nahm. Ich schlief nur plötzlich ein und alles um mich herum war dunkel.

Lorcan - "Sie will zu mir" ✔Onde histórias criam vida. Descubra agora