32. Kapitel

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            Eine merkwürdige Kälte um mich herum weckte mich. Verschlafen öffnete ich meine Augen, erkannte im ersten Moment aber sehr wenig, da es noch immer dunkel war. Nur der Mond, der durch das Fenster schien, erhellte das Zimmer etwas und tauchte es in ein kaltes Licht. Doch ich musste nicht viel sehen um zu erkennen, dass Lorcan nicht mehr neben mir lag. Seine ganze Wärme fehlte und seine Präsenz war verschwunden.
             Auch diese Ruhe, die ich durch seine Nähe empfand, war aus meinem Körper verschwunden. Stattdessen spürte ich plötzlich diese nagende Unruhe in meinem Inneren, die ich nicht wirklich einordnen konnte. Ich redete mir ein, dass Lorcan auch auf dem Klo sein konnte. Dieses Mantra half allerdings nicht lange, denn im nächsten Moment hörte ich Stimmen der anderen im Haus. Stimmen, die wild durcheinandersprachen und aufgeregt klangen. Sofort war ich hellwach, obwohl ich bestimmt nur drei Stunden geschlafen hatte.
             Ich warf die Decke von meinem Körper und schwang die Beine über die Bettkante. Sofort stand ich auf und lief zu meinem Schrank, um mir wärme Sachen anzuziehen. Die wärme Kleidung bestand aus einer Jogginghose und einem Hoodie und einem BH, da ich es mir wirklich nicht leisten konnte, ohne herumzulaufen. Eilig hastete ich zu der Türe meines Zimmers und zog sie auf. Mir blieb das Herz stehen, als ich eine Gestalt vor meiner Tür erblickte. Ein Schrei wollte meiner Kehle entweichen, doch als ich Hayes erkannte, entspannte ich mich wieder.
             »Was ist los?«, fragte ich ihn alarmiert, als ich den Schimmer von Sorge in seinen grünen Augen erblickte, die ihr Strahlen verloren hatte. Eigentlich kannte ich die Antwort bereits. Es lag auf der Hand, was los war. Lange genug hatte Phil uns warten lassen. Lange genug hatte er uns im Hinterhalt beobachtet und nun griff er an. Oder war auf dem besten Wege dies zu tun. Ich hätte es wissen müssen. Hätte verstehen müssen. Doch ich hatte es nicht getan. Dafür hatte es sich viel zu gut angefühlt zu glauben, uns allen würde noch etwas Zeit bleiben.
               Doch die Zeit war jetzt vorbei. »Phil ist auf dem Weg hierher. Lorcan berät sich mit den anderen. Er wollte dich noch nicht wecken, aber es ist langsam Zeit«, sagte er. Seine Stimme klang kalt und emotionslos. Ich wusste, dass er seine Angst dahinter versteckte. Es war immer nur ein kleines Zucken seiner Augen, doch ich wusste, dass er zu Lucie wollte. Sicher gehen wollte, dass es ihr gut ging. Vielleicht wollte er es nicht zeigen, doch ich sah es. Deswegen nickte ich ihm zu, bedankte mich leise für die Information und ging mit wildklopfendem Herzen nach unten.
         Dort war die Hölle los. Alle redeten durcheinander, liefen wild und unruhig umher und schienen keine Ruhe mehr zu finden. Die flimmernde Anspannung im Raum war direkt spürbar. Nichts, was ich gerne hatte und nichts, was ich gerne spürte. Denn die Nervosität übertrug sich automatisch auf mich. Nichts, was gut war. Wenn man nervös war, konnte man viele Fehler machen. Da war ich mir sicher. Als Lorcan meine Anwesenheit spürte, unterbrach er seine Rede kurz und sah mich an. Da war so viel Sorge in seinem Blick, dass ich nicht wusste, was ich tun sollte.
             Ich wollte zu ihm und ihn umarmen, auf der anderen Seite wusste ich aber, dass das nicht viel bringen würde. Es würde Phil nicht daran hindern hierher zu kommen. Wir alle wussten, dass nur ich diesen Kampf verhindern konnte, in dem ich mich auslieferte. Doch Lorcan würde das niemals zulassen. Hayes auch nicht. Niemand hier. Das war auch nicht wirklich eine Lösung. Es musste eine andere Lösung geben. Nur welche, das wusste ich nicht. Phil würde sich niemals davon abbringen lassen.
             Er war so versessen darauf allen hier wehzutun. Besonders Lorcan. Doch das würde ich niemals zulassen. Stumm ging ich zu Lorcan und setzte mich neben ihn. Unterm Tisch nahm er meine Hand in seine, bevor er fortfuhr, den anderen den Plan zu erklären. Als ich zu Alaric und seinen Freunden sah, sah ich die Sorge in ihren Augen und auch die Angst. Immer wieder sahen sie zu mir und ich war mir mehr als sicher, dass sie vorhatten, alles für meine Sicherheit zu tun.
             Ich hörte Lorcan genau zu. Da sie aus allen Richtungen kamen, war es nicht leicht zu sagen, was wir als erstes tun sollten. Das Einzige, was wir tun konnten, war es, uns um das ganze Haus zu verteilen und vorbereitet zu sein. Diesmal erlaubte Lorcan mir, mit zu kämpfen. Zwar schien es ihm nicht zu passen, doch er wusste, dass ich mich davon nicht abbringen lassen würde. Im nächsten Moment kam Hayes mit Lucie die Treppe nach unten. Ich runzelte die Stirn, als ich den Rucksack auf ihrem Rücken sah.
             »Hayes wird Lucie beschützen. Alaric meint, dass Phil Lucie als Druckmittel nutzen könnte. Also wird Hayes sie von hier fortbringen und sie beschützen«, erklärte Lorcan. Ein Stich durchfuhr mein Herz, als ich daran dachte, dass er allein mit ihr rennen würde. Lucie hatte Tränen in den Augen, als sie auf uns zukam. Sofort stand ich auf und schloss das kleine Mädchen in meine Arme. Sie drückte sich fest an mich und schluchzte.
             »Shh. Hayes passt gut auf dich auf«, flüsterte ich ihr zu. Sie schüttelte den Kopf. »Das weiß ich. Ich hab Angst um dich.« Ein kleines Lächeln legte sich auf meine Lippen, während mir Tränen die Sicht verschleierten. »Lorcan und das Rudel passt auf mich auf. Und Hayes Rudel achtet auch auf mich. Mach dir keine Sorgen«, versuchte ich ihr zu versichern, obwohl ich es selbst nicht ganz glaubte. Schniefend löste sie sich von mir, dann sah sie zu Lorcan, der auch Tränen in den Augen hatte. Er musste seine Schwester erneut wegschicken. Um sie zu schützen.
Ich konnte mir nur etwas vorstellen, wie schlimm das für ihn sein musste. Er wollte ihr großer Bruder sein und sie beschützen, konnte es aber nicht. Es war besser so. Das wusste er. Doch es war schmerzhaft für ihn. Sehr schmerzhaft. Er wollte sie nicht gehen lassen. Er wollte sie in seinen Armen halten. Vielleicht zog er sie genau deswegen so fest in seine Arme und umklammerte sie fest. Sie verschwand fast in seiner Umarmung, da er so viel größer war als sie.  Eine Träne lief seine Wange hinab, doch mehr nicht.
               Mit allen Mitteln versuchte er stark für seine kleine Schwester zu sein. Ein Kloß bildete sich in meinem Hals und mein Herz krampfte sich zusammen. Es tat so weh. Ich wünschte, dass alles nicht so wäre. Dass Phil mich nicht holen wollen würde und das wir alle nicht kämpfen mussten. Doch ich konnte es nicht ändern. Phil war besessen. »Bald kannst du wieder hier her. Vielleicht schon heute Abend. Aber vorher muss Hayes dich wegbringen«, hauchte Lorcan. Seine Stimme war sehr kratzig. Vermutlich hielt er die Tränen zurück.

Lorcan - "Sie will zu mir" ✔Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt