16. Kapitel

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          Es waren zwei Tage vergangen, in denen ich es geschafft hatte, mich mehr um meine Arbeit zu kümmern. Lorcan hatte das Haus nur selten verlassen und hatte somit nicht dafür gesorgt, dass ich mir abermals Gedanken um ihn machte. Was die Sache von Dienstag betraf... darüber hatten wir nicht mehr gesprochen. Hauptsächlich, weil ich mich in meinem Zimmer versteckte und meine Arbeit tat. Lorcan sah ab und an vorbei, brachte mir Cookies nach oben oder heiße Schokolade oder beides.
         Er war sehr aufmerksam, was es schwerer machte, ihm so lange aus dem Weg zu gehen. Dennoch schämte ich mich noch immer etwas und ich musste meine Gefühle alle erstmal einordnen, was gar nicht so leicht war. Ich verstand, woher sie kamen. Das hatte Lorcan mir auch erklärt. Und dennoch... ich fragte mich, ob meine Gefühle so verrückt spielten, weil ein Teil von mir noch immer Werwolf war. Vielleicht lag es daran... Oder es lag einfach nur daran, dass ich anfing ihn zu mögen. Er war nicht so wie Liam es gewesen war. Überhaupt nicht.
        Lorcan war nett und freundlich. Aufmerksam. Sehr aufmerksam und er sorgte dafür, dass ich nicht hungern musste oder das es mir schlecht ging. Am Anfang war ich skeptisch gewesen, dass er das alles ernst meinte. Ich hatte ihn fälschlicherweise mit Liam und Phil verglichen, was ich nicht hätte tun sollen. Lorcan war zwar ein Werwolf, doch er glich Liam nicht im Geringsten. Überhaupt nicht. Er war anders als er. Er war netter, freundlich. Fürsorglicher. Lorcan schien das alles ernst zu meinen.
       Das spürte ich tief in meinem Inneren. Und doch hatte ich noch Angst. Wovor, wusste ich nicht genau. Diese Gefühle waren so intensiv, wenn er in meiner Nähe war. Selbst jetzt konnte ich seine Präsenz im Haus fühlen. Gestern hatte sich ein kleiner Teil in mir leer gefühlt, als er nicht mehr dagewesen war. Es war, als hätte er diesen Teil mitgenommen. Jetzt, wo er wieder da war, war dieser Teil wieder befüllt. Ich wusste nicht, ob diese Gefühle gut oder schlecht waren. Ich wollte es auch gar nicht wissen. Nicht wirklich jedenfalls.
         Seufzend machte ich den letzten Klick für ein neues Cover. Es war schön, so wie es war. Fand ich jedenfalls. In diesem Moment klopfte es an der Tür. Zwei mal. Ich wusste, dass es Lorcan war. In meinem Nacken kribbelte es. Das verriet mir, dass er es war. »Herein«, sagte ich, laut genug, dass er es hören konnte. Schließlich war er ein Wolf. Die Tür hinter mir ging auf und ich drehte mich um. Lorcan trat ins Zimmer. Heute trug er ausnahmsweise kein Hemd. Er trug tatsächlich ein graues Shirt.
         Ein Shirt, dass ziemlich eng an seinem Oberkörper anlag und nichts versteckte. Überhaupt nichts. Es zeigte sehr viel. Wirklich sehr viel. »Hey, störe ich?«, fragte er und lenkte somit meine Aufmerksamkeit von seinen Muskeln ab. Mit roten Kopf sah ich ihn an. »Nein«, piepste ich. Ein kleines Schmunzeln legte sich auf seine Lippen und seine Augen funkelten. Dennoch sprach er es nicht weiter an. »Ich wollte fragen ob du morgen Lust hast, mit mir zum Training zu gehen. Also zu den Mädchen. Eine von ihnen hat morgen Geburtstag und ich will sie überraschen.« Mit großen Augen sah ich ihn an. Er lud mich ein.
         Nicht zu einem Date. Aber zu etwas, was ihm sehr wichtig war. Mein Herz schlug auf einmal wild in meiner Brust. Er meinte es wirklich ernst mit mir. Er war bereit mir etwas zu zeigen, was ihm am Herzen lag. Allein die Vorstellung sorgte dafür, dass ich wie ein kleines Mädchen auf und ab hüpfen wollte oder ein Freudenschrei in mein Kissen loslassen wollte. Äußerlich versuchte ich allerdings Ruhe zu bewahren. »Wenn das okay ist, gerne. Ich sollte vorher nur mit der Arbeit fertig werden«, meinte ich. Lorcan grinste von einem Ohr zum anderen. »Okay. Dann ist das ja geklärt.«
         Sein Blick fiel auf das Cover, dass noch immer offen war. Ich hatte die App noch nicht geschlossen. Ich sah auch keinen Sinn darin, sie zu schließen, nur weil Lorcan das Zimmer betrat. Er betrachtete das Cover ausgiebig und lächelte dann. »Das sieht gut aus.« Dieses Lob von ihm trieb noch mehr Röte in meine Wangen. »Danke schön«, murmelte ich. Er grinste mich an. »Ach ja, Lucie kommt bald nach Hause und sie hat mich gefragt, ob ich dich fragen kann, ob ihr heute noch Kürbisse aushüllen könntet für Halloween morgen.«
         Ein breites Grinsen legte sich auf meine Lippen. »Aber klar doch.« Nun grinste auch Lorcan von einem Ohr zum anderen und wirkte mehr als glücklich über meine Antwort. »Dann sage ich ihr das später. Jetzt will ich dich nicht weiter stören.« Damit verschwand er auch schon wieder aus meinem Zimmer. Das Thema, dass mir immer noch peinlich war, schien er noch immer nicht anschneiden zu wollen. Warum, wusste ich nicht genau. Ich war nur glücklich, dass er es nicht tat. Ich wollte einfach nicht wirklich darüber reden, da ich mich selbst nicht erklären konnte.
           Es war einfach über mich gekommen. Einfach so. Von jetzt auf gleich. Ändern konnte und wollte ich es nicht. Ich bereute es auch nicht, dass ich es getan hatte, nur darüber reden wollte ich nicht wirklich. Mit niemanden. Es war mir einfach... peinlich. Ja, es war mir verdammt peinlich. Und doch wunderte es mich, dass er dieses Thema nicht ansprach. Bevor ich aber weiter darüber nachdenken konnte, bekam ich eine E-Mail. Mein Blick flog über die Worte, die ich dort lesen konnte. Ein kleines Lächeln legte sich auf meine Lippen, als ich die Nachricht fertig gelesen hatte.
           Da war jemand mehr als zufrieden mit meinem Werk gewesen, obwohl ich das Cover mit dem Drachen nicht ganz so ansprechend gefunden hatte. Doch die Autorin war damit mehr als zufrieden, was mich sehr freute. Ich schloss die E-Mail und machte mich daran, meinen nächsten Auftrag zu bearbeiten. Es verging eine gute halbe Stunde, bis ich unten die Stimme von Lucie hörte. Hayes schien heute mal nicht dabei zu sein. Ich hörte, wie sie mit ihrem Bruder über viele Dinge sprach. Sehr viele Dinge. So viele, dass ich sie gar nicht alle aufzählen konnte. Als sie geendet hatten, beschloss ich, zu ihnen nach unten zu gehen.
         Ich klappte den Laptop zu und stand auf. Als ich gerade auf die Tür zulief, klingelte mein Handy. Leide musste ich nicht hinsehen, um zu wissen, wer da anrief. Irgendwann hatte Phil mitbekommen, dass mein Handy wieder geladen war und das er mich anrufen konnte. Der Klingelton verriet es mir ebenfalls. Mir wurde eiskalt, als ich daran dachte, dass er am anderen Ende der Leitung war und darauf wartete, dass ich abheben würde. Warum er mich anrief, wusste ich nicht genau. Vielleicht war es ein verzweifelter Versuch mich zu finden.
         Auf einmal kam mir etwas in den Sinn. Ich riss die Augen auf und rannte zu meinem Handy. Was ich dann tat, verstand ich selbst nicht ganz. Ich nahm den Akku heraus und sah, wie der Bildschirm schwarz wurde. Meine Brust hob und senkte sich in flachen Atemzügen. Ein Teil in mir wusste, dass es etwas paranoid war, doch ich wusste nicht, wie weit Phil technisch begabt war. Mein konnte ein Handy orten. Das wusste ich. Ich wollte das Risiko nicht eingehen, dass er mich fand. Nicht jetzt. Nicht heute. Überhaupt nicht. Er sollte mich niemals finden.
        Er würde mich auch nie bekommen. Ich war glücklich hier. Lucie war wie eine kleine Schwester für mich und alle anderen waren super nett zu mir. Lorcan behandelte mich besser als jeder Junge, den ich je getroffen hatte, obwohl Lorcan überhaupt nicht mehr als Jungs durchging. Lorcan war wirklich ein Mann. Er behandelte mich auch wie ein Mann eine Frau behandelte. Mit Respekt. Ich war nicht weniger wert als er. Das vermittelte er mir jedes mal. Und das war so viel wert.

Lorcan - "Sie will zu mir" ✔Where stories live. Discover now