Kapitel 21

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„You return like autumn and I fall every time."
-faraway
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Shawn


Aaliyahs Atemzüge wurden nach einer gefühlten Ewigkeit so regelmäßig, dass ich dachte, sie wäre im Stehen an meiner Brust eingeschlafen. Doch ich erkannte ihre Müdigkeit zweifellos, als sie aufblickte und ein träges Lächeln, das gefaketer nicht hätte sein können, ihre Lippen umspielte. Es war die Art von Müdigkeit, bei der Schlaf nicht half, weil nicht ihr Körper sondern ihre Seele müde war. Das einzige, was in diesem Augenblick tatsächlich hilfreich war, war für Liyah da zu sein und darauf zu warten, dass sie sich von selbst öffnete. Es war eigentlich egal, dass es sich um Stunden oder auch Tage handeln konnte – ich würde ihr nicht von der Seite weichen – doch gerade musste ich ernsthaft gegen den Impuls ankämpfen, Braxton zu suchen, ihn zu finden und ihn sich wünschen zu lassen, er hätte nie das Licht der Welt erblickt. Und so gerne ich ihm auch gezeigt hätte, wie falsch es gewesen war, sich mit uns anzulegen, musste ich Prioritäten setzen. Und drei Tage, bevor ich in Detroit mein nächstes Konzert spielen würde, zwei Nächte, bevor ich meine Familie wieder zurücklassen musste, gab es definitiv Wichtigeres, als den Tod dieses Arschlochs wie einen Unfall aussehen zu lassen.

Ein Atemzug nach dem anderen.

„Danke."

Aaliyahs leise Stimme verriet... ja, was denn? Dass sie sich schämte? Wofür? Ihre Trauer? Enttäuschung? Erkenntnisse?

„Wofür?", fragte ich im gleichen Tonfall und ließ nicht zu, dass sie den Blickkontakt zu mir unterbrach. Es schienen mehrere Leben vergangen zu sein, seit wir uns wahrhaft verstanden hatten, ohne Worte auszutauschen. Und auch wenn es keinen quälenderen Schmerz geben konnte, als meine kleine Schwester leiden zu sehen, bedeutete mir dieser Moment mehr, als sie jemals würde ahnen können. Er war einer dieser, in denen wir uns hielten, um unsere zerbrochenen Teile wieder zu kleben. In denen es okay war, alles andere als okay zu sein und in denen wir nicht wussten, wie es weiterging. Die einzige Gewissheit, die wir brauchten, war die, dass es weitergehen würde. Wenn nicht im nächsten Herzschlag, dann eben im übernächsten. Wir hatten es in der Hand, unsere Welt jeden Tag ein kleines Stück zu bewegen und das Mädchen, dass sich zu der jungen Frau entwickelte, die ich erst kennenlernen musste, gab stets mehr als sie hatte. Ich hätte niemals stolzer auf sie sein können. Auf die Art, wie sie mit ihrem Schmerz umging. Und darauf, dass sie mir so oft beigebracht hatte, dass jeder Moment zählte. Nicht Tage. Nicht einmal Stunden.

Momente.

Und dass sie mich zu meinem bis jetzt liebsten geführt hatte, bestärkte mich nur millionenfach in dem Willen für sie da zu sein, solange ich atmete. Und wenn das bedeutete, niemandem körperlichen Schmerz zuzufügen, sondern mit ihr zu schweigen, bis es wieder ging... Dann war es eben so.

„Was hat er getan?"

Es hatte erst eine weitere Stunde vergehen müssen, bis ich die Frage stellen konnte, die auf meiner Zunge brannte, seit ich ihre ersten Tränen hatte wegwischen müssen. Meine Schwester seufzte so schwer wie ihr Herz vermutlich gerade war und ich verfluchte in diesem Augenblick, dass auch Liyah irgendwann erwachsen wurde. Noch schlimmer war allerdings die Tatsache, dass ich der Typ Bruder wurde, der ich nie hatte werden wollen. Ich wollte ihr Kumpel sein, jemand mit dem sie gerne ihre kleinen und großen Siege feierte und einer der Menschen, denen sie genug vertraute, um sein zu können, wer sie wirklich war. Stattdessen wurde ich zu einem verlogenen Mistkerl, der ihr in den Rücken fiel und zu schwach war, um sie vor der offensichtlichen Gefahr zu schützen.

Meine Brust wurde eng und mir war, als wäre ich nicht mehr in der Lage zu atmen, als ich erkannte, wie sehr ich versagt hatte. In meinen Augen brannten Tränen. Ich bekam tatsächlich keine verdammte Luft mehr während mir klar wurde, worauf das hier hinauslief. Ich schluckte krampfartig.

nothing compared to you - s.m. & c.c.Where stories live. Discover now