3. Kapitel - Abschied

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(Bild: Kates angefangene Zeichnung von der schlafenden Katze)

In den nächsten Tagen trifft man mich fast nur noch in eines der Schulbücher vertieft an. Es gibt so viele Zaubersprüche! Aber nicht nur, dass sie furchtbar interessant sind, die anderen Kinder sind mit Zauberei aufgewachsen und können bestimmt schon viel, da möchte ich nicht herausfallen. Also merke ich mir so viele Kräuter, Sprüche und Tränke wie möglich.
Erst eine Woche vor der Abreise fällt mir plötzlich mit Schrecken auf, was ich alles zurücklasse, mein Zuhause, meine Freunde und vor allem Dad, der dann ganz alleine sein wird! Aber nicht nach Hogwarts gehen kommt nicht in Frage. Also braucht Dad einen Ersatz! Ich lege das Buch für Zaubertränke auf die Seite und fange an, nachzudenken. Neue Frau? Nein, das will ich nicht, und außerdem weiß ich nicht, wo ich so schnell eine auftreiben sollte. Ein anderes Kind ist noch weniger sinnvoll, aus den gleichen Gründen. Eine ganze Weile sitze ich auf dem Baum und starre Löcher in die Luft, bis mir endlich der richtige Einfall kommt: Ein Haustier! Eher eine Katze, mit einem Hund muss man dauernd spazieren gehen und dafür hat Dad keine Zeit.
Als wir beim Abendessen sitzen, fange ich vorsichtig an: „Duhuu, Dad?“ Mein Vater sieht von seinem Teller auf und blickt mich fragend an. „Wenn ich dann weg bin, bist du ja ganz alleine“, fahre ich fort. „Du könntest dir eine Katze als Gesellschaft zulegen.“ Erwartungsvoll beobachte ich ihn, wie seine Miene in rascher Folge von neugierig zu geschockt und dann zu freudig überrascht wechselt. „Das ist eine tolle Idee!“, ruft er aus, springt auf und umarmt mich.
Wenig später stehen wir vor dem Katzengehege im örtlichen Tierheim. Ein älterer Mann, der dort angestellt ist und den wir flüchtig kennen, stellt uns die Katzen vor: „Das da“, er zeigt auf ein etwas molliges orangenes Tier, „ist Tommy, er ist wirklich sehr lieb, aber etwas faul und daher als Wohnungskatze geeignet. Die graue auf dem Sessel heißt Mia, ist auch eine Schmuserin, hat aber im Gegensatz zu Tommy einen großen Bewegungsdrang...“ So stellt er uns nach und nach alle Katzen vor, aber irgendwann schweifen meine Gedanken ab und ich höre nicht mehr wirklich zu. Danach können wir endlich die Tiere selbst kennenlernen. Dad geht als erstes zu einer Rotbraunen um sie kennen zu lernen, ich dagegen setze mich einfach auf ein Sofa und warte, ob eine von selbst zu mir kommt. Ich hole meine Zeichensachen hervor und beschließe, die schlafende Katze etwa einen Meter entfernt von mir aufs Papier zu bringen. Schon nach wenigen Strichen bin ich total vertieft in meine Arbeit un zucke heftig zusammen, als sich plötzlich ein grauer Kopf zwischen mein Gesicht und das Papier schiebt. Laut schnurrend lässt sich die Katze, ich glaube Mia heißt sie, auf meinem Schoß nieder und mir bleibt nichts anderes übrig, als das angefangene Bild zur Seite zu legen. Kurz darauf setzt sich mein Vater neben mich und beginnt, die Graue hinter den Ohren zu kraulen. „Von der Beschreibung her würden sich Paul, Mia, Toni und Stripe am besten eignen. Was meinst du dazu?“, fragt er mich. Was soll ich schon sagen? „Ich kenne bisher nur diese hier und das auch kaum.“ Dad seufzt. „Ich kann mich einfach nicht entscheiden!“ Ich überlege eine Weile und sage dann: „Also äußerlich finde ich Mia am ansprechendsten und außerdem ist sie selbstständig zu mir auf den Schoß gekommen.“ Wir schweigen, bis ich hinzufüge: „Aber es ist deine Katze, also auch deine Entscheidung.“ Ein zweites mal seufzt er. „Das wird es wohl sein.“

Nachdem wir die ganzen Formalitäten erledigt haben, können wir endlich unsere eigene Katze mit nach Hause nehmen! Zum Glück verkauft das Tierheim auch nötiges Zubehör wie Futternäpfe, Kratzbäume und Spielzeug, und so ist unser altes Auto am Ende voll beladen. Während der kurzen Fahrt streiche ich Mia über das seidige Fell und kann ein seliges Lächeln nicht von meinem Gesicht verbannen.
In der nächsten Woche fertige ich unzählige Zeichnungen von meinem Zimmer, dem Haus, dem Garten und auch von Mia an, damit ich, falls ich mich auf Hogwarts einsam fühlen sollte, etwas zum erinnern habe. Ich bin so nervös, weil ich einfach nicht einschätzen kann, was mich erwartet! Ich habe meinen Koffer bestimmt schon fünf mal ein- und wieder ausgepackt, und jetzt, am Abend des 31. Augusts, am letzten Tag vor der Fahrt, liege ich in meinem Bett und komme einfach nicht zur Ruhe. Mir fallen tausend Sachen ein, die ich plötzlich noch erledigen muss, aber ich weiß, wenn ich jetzt aufstehe, werde ich danach noch weniger einschlafen können und morgen todmüde sein. Erst als Mia irgendwann zu mir ins Bett kommt, wird mein Gedankenkarussell langsamer, bis es schließlich anhält und ich endlich einschlafe.
Am nächsten Morgen habe ich das Gefühl, viel früher aufgewacht zu sein als ich hätte müssen, aber als ich auf die Uhr schaue, kriege ich einen Schock: es ist schon zehn Uhr! So schnell ich kann springe ich aus dem Bett und laufe zu meinem Vater. „Dad, Dad! Wir haben verschlafen!“ Er knurrt etwas, das nach „Lass mich in Ruhe, wir haben noch genug Zeit!“, klingt, aber nur wenn man viel Fantasie hat. „Aber es ist zehn Uhr!“ Sichtbar unwillig öffnet er die Augen und deutet auf den Wecker neben dem Bett. „Nein.“ Er schließt die Augen wieder und fängt beinahe sofort wieder leise an zu schnarchen. Verzweiflung steigt in mir auf und ich will schon widersprechen, aber dann stocke ich, dann auf dem Wecker steht tatsächlich eine andere Zeit! Dann ist wohl gestern meine Uhr mal wieder stehen geblieben! Weil es jetzt ja doch erst halb sieben ist, nehme ich ein Blatt Papier und einen Bleistift aus meinem Zimmer und beginne, meinen schlafenden Vater zu zeichnen. Die Zeit scheint quälend langsam zu vergehen, und als ich nach etwa einer halben Stunde fertig bin und Dad sich immer noch nicht rührt, laufe ich in meinem Zimmer auf und ab und stelle mir dabei zum hundertsten Mal Hogwarts vor. Wie groß wird es sein, wie viele Schüler wird es geben? Wird es auch so ein grauer Klotz sein wie die Schule, auf die ich eigentlich gehen sollte? Ich nehme das Ticket, das schon auf meinem Gepäck bereit liegt, und lege es auf den Nachtisch, nur um es keine Minute später wieder zurückzubringen.
Als Dad dann endlich aufgestanden ist und wir frühstücken, fragt er mich nach einer Weile: „Warum zappelst du eigentlich so rum? Dadurch geht es nicht schneller und sonst ändert sich auch nichts.“ Natürlich hat er recht, aber ich schaffe es trotzdem nicht, meine Füße ruhig zu halten.
Dann ist der Zeitpunkt des Abschieds gekommen. Ich hätte nicht gedacht, dass es mir so schwer fällt, Mia zurückzulassen, aber sie ist mir in der kurzen Zeit wirklich ans Herz gewachsen. Ein letztes Mal klettere ich auf meinen Baum, ein letztes Mal gehe ich die mir so vertraute Treppe hinunter. Plötzlich wünsche ich mir, dass alles so bleibt und ich nicht nach Hogwarts müsste, aber jetzt ist es zu spät.
Dad startet den Motor des Autos und wir fahren los in Richtung London. Mir bleibt nichts anderes übrig, als durch das Fenster einen letzten Blick auf das Haus, in dem ich so lange gewohnt habe, zu werfen. Während der Fahrt zum Bahnhof King's Cross bin ich abwechselnd sehr still und dann rede ich wieder so schnell, dass mein Vater mir garantiert nicht folgen kann. Irgendwann hole ich das Buch mit den Zaubersprüchen raus und lese weiter darin, obwohl ich weiß, dass ich es am Ende bereuen werde. Und tatsächlich ist mir eine Viertelstunde später als wir anhalten, nicht ganz wohl in der Magengegend. Das könnte aber auch an der Aufregung liegen. Wir steigen aus, Dad lächelt mir zu und gemeinsam betreten wir den Bahnhof.

(Nov 2019)

Grün und Silber (Harry Potter FF, Next Generation)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt