t w e n t y f i v e.

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-Dienstag, 18. August 2020-

Nachdenklich nehme ich das Ende meines Bleistiftes in den Mund und starre auf die Aufgabe vor mir. Ich war noch nie ein Fan von Biologie, aber die ganzen Sachen mit der lichtabhängigen und -unabhängigen Reaktion der Fotosynthese bringt mich komplett durcheinander.
Gerade sitze ich draußen auf einer der Bänke, da ich unerwartet eine Freistunde habe und nun auf meinen Bus warten muss. Heute fahre ich nämlich nicht nach Hause, ich muss vielmehr zum Bahnhof, um nach Hamburg zu fahren.

Irgendwann gebe ich auf und klappe mein Buch zu, um dann alles in meinem Rucksack zu verstauen und einen Blick auf meine Uhr zu werfen. Zum Glück muss ich nicht mehr allzu lange warten, sodass bald darauf mein Bus an der entsprechenden Haltestelle hält und ich gemeinsam mit den anderen Schülerinnen und Schülern einsteigen kann. Nachdem ich mir einen Sitzplatz ergattert habe, hole ich meine Kopfhörer hervor, schließe sie an mein Handy an und spiele Musik ab. Da unsere Schule nicht allzu weit vom Bahnhof entfernt liegt, muss ich nicht lange warten und kann recht schnell wieder aussteigen. Ich kaufe mir noch eine Fahrkarte und stelle mich dann an den Bahnsteig, um auf den Zug zu warten. Glücklicherweise ist auf die Bahn heute mal Verlass und der Zug fährt beinahe auf die Minute pünktlich ein. Nachdem die anderen ausgestiegen sind, steige ich ein und halte nach einem Platz Ausschau, doch schnell muss ich feststellen, dass hier nichts mehr frei ist. Ich seufze leise und überspringe das gerade gestartete Lied auf meinem Handy.
So musste ich die Fahrt im Stehen verbringen, aber da der Zug nur einen Zwischenhalt in Harburg gemacht hat und dann recht schnell in Hamburg eingefahren ist, musste ich so nicht lange verharren. Als der Zug gehalten hat und ich endlich aussteigen konnte atme ich die frische Luft tief ein. Heute ist es angenehm warm, weshalb eine einfache Jeansjacke gereicht hat.

Ich folge dem Menschenstrom nach draußen und schaue dann auf mein Hand, um nach einer Route zu meinem Ziel zu suchen. Recht schnell hat Google Maps einen Weg gefunden und führt mich nun vom Bahnhof weg quer durch die Innenstadt an tausenden Geschäften vorbei. Irgendwann bleibe ich vor einem Café-Schild stehen und betrachte das Menü, bevor ich mir den Namen durchlese. Ja, das ist das richtige Café.

Ich atme tief durch und betrete dann das kleine, gemütliche Café. Die kleine Glocke bimmelt fröhlich vor sich her, da die Tür sie beim Aufmachen angestoßen hat und ich muss leicht lächeln. Auf den ersten Blick wirkt das Café etwas altmodischer, aber genau deswegen macht es einen sehr gemütlichen Eindruck. Ich mache einige Schritte, um nicht mehr im Eingang zu stehen und schaue mich weiter um. Mehr durch Zufall fällt mein Blick auf einen braunen Wuschelkopf, der gedankenverloren aus dem Fenster schaut und anscheinend wartet. Augenblicklich erhellt sich meine Miene und ich gehe lächelnd auf ihn zu. Wenige Meter vor ihm scheint auch er mich endlich zu bemerken, denn sein Kopf schnellt herum und er schaut mir direkt in die Augen.

Er steht auf, als ich bei seinem Tisch angekommen bin und ich umarme ihn einfach kurz zur Begrüßung ohne weiter darüber nachzudenken. Dann nehmen wir beide gegenüber voneinander Platz und ich ziehe mir meine Jacke aus, um mir dann leicht nervös durch die Haare zu fahren. Das hier heute ist das erste private Treffen von Shawn und mir seit ewig langer Zeit und mein klopfendes Herz macht alles nicht unbedingt besser.
„Also Emma... wie geht's dir denn heute?" Ich atme tief durch und wäge kurz ab, ob ich ihm die komplette Wahrheit erzählen sollte, aber entscheide mich doch dagegen. „Ähm, läuft alles irgendwie. Und wie geht's dir so?" Shawn weicht meinem Blick kurz aus, bevor er mich doch anschaut. „Ist bei mir genau so." antwortet er dann und ich nicke leicht.
Der Kellner kommt und nimmt unsere Bedienungen auf, bevor sich wieder eine Stille über uns legt. „Erzähl mir von dem Jungen." Schockiert weiten sich meine Augen. „Ich weiß nicht, ob das so eine gute Idee ist, Shawn..." gebe ich dann zu und fahre mir unsicher durch die Haare. „Emma, du warst ein sehr wichtiger Teil meines Lebens und es interessiert mich, wie dein Leben nach unserer Trennung ausgesehen hat. Und dieser Junge gehört nunmal dazu." Ich schlucke, bevor ich nachgebe und nicke. „Sein Name ist David. Ich habe ihn auf einer Party von Philip, dem Freund von Lynn, kennengelernt und wir haben uns gut verstanden. Wir haben... uns dann immer öfter getroffen und es war auch klar, dass er etwas von mir wollte, aber ich war lange nicht bereit dazu." Ich mache eine Pause und schaue auf Shawns Hand, die auf dem Tisch liegt und nach der ich gerade so unglaublich gerne greifen würde. „Aber schlussendlich dann doch, oder?" Ich zucke mit den Schultern. „Mehr oder weniger. Wir waren nicht richtig zusammen, aber wir waren auch nicht nur befreundet. Mir musste erst einiges klar werden, bevor ich erkennen konnte, dass ich nichts für David empfinde." „Also hast du auf den Videos wirklich mit ihm Schluss gemacht?" „Ich wusste nicht mal, dass du von der Existenz dieser Videos weißt!" Nun ist Shawn derjenige, der mit den Schultern zuckt. „Die waren überall in meinen Vorschlägen, irgendwann musste ich ja damit konfrontiert werden." Wir werden wieder ruhig, als der Kellner unsere Sachen bringt und ich nehme einen kurzen Schluck von meinem Getränk.

Danach haben wir uns immer mal wieder über andere Themen unterhalten und so langsam taut das Eis zwischen uns ein wenig auf, was mich ungemein erleichtert. Shawn öffnet sich mir gegenüber zwar wieder etwas mehr, aber dennoch ist da immer noch so eine gewisse Reserviertheit von ihm aus. Es wirkt fast, als würde er krampfhaft versuchen, nichts zu nahe an sich herankommen zu lassen. Vielleicht habe ich ihn damals mehr verletzt als angenommen und vielleicht besteht die Chance gar nicht mehr, dass wir uns wieder richtig annähern können...
Mit diesem Gedanken will ich mich aber im Moment gar nicht beschäftigen, denn noch bin ich hier bei Shawn, auch wenn ich bald schon wieder nach Hause und Shawn wieder zurück zum Hotel muss.
Eines ist allerdings klar für mich: So leicht werde ich nicht aufgeben!

ᴅɪғғᴇʀᴇɴᴛ ᴡᴏʀʟᴅs || sᴍWo Geschichten leben. Entdecke jetzt