Lady Violet

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Die Kapuze weit ins Gesicht gezogen, hob er das Glas an seine Lippen. Das kalte Bier lief ihm über die Zunge und glitt mit einer Leichtigkeit in seinen Rachen, die die Dame im violetten Kleid auf der anderen Seite des Raumes in Staunen versetzte. Er sah kurz zu ihr hinüber, weil er ihren Blick wie Dornen auf der Haut spürte.

Habe ich das Richtige getan? War es richtig, sie einfach zurück zu lassen? Was würde mit ihr passieren?

Er schüttelte leicht den Kopf. Es war nicht gut in diesem Moment an sie zu denken. Sie gehörte zum Feind. Oder viel mehr: Sie war der Feind.
Seine Fingernägel ritzen während er so in Gedanken schwelgte eine kleine Kerbe in den Tisch.

"Hey!" Er hob den Kopf nicht.
"Hallo! Mysteriöser Unbekannter! Ich rede mit dir!" Die violett gekleidete Dame hatte sich neben ihm auf den freien Stuhl plumpsen lassen.
Nach einigen weiteren unangenehm ruhigen Sekunden atmete sie frustriert aus.
Er hatte gehofft, sie würde einfach wieder gehen, doch das Gegenteil war der Fall. Sie stupste ihn unter dem Tisch mit ihrem Fuß an. "Mein Name ist Violet."
"Was du nicht sagst.", erwiderte er trocken.
Sie kräuselte die Lippen und zog ihre rechte Augenbraue spöttisch nach oben. "Na wenn wir da nach gehen muss dein Name wohl Stinkstiefel sein."
Sein Mundwinkel zuckte kurz. Fast hätte man denken können, er habe gelacht.
"Du hast da was.", sagte Violet, erhob sich mit einem schnellen Ruck und beugte sich über den Tisch zu ihm hinüber.
Er hielt die Luft an, als sie mit dem Finger über seine Oberlippe fuhr. "So ein Bierschaumschnurrbart ist schon ziemlich sexy, aber du verzeihst mir sicher die Bemerkung, dass er nicht zu deinem Teint passt."
"Ich fand ihn perfekt." murrte er.
Sie hielt inne. Hatte er tatsächlich gerade einen Scherz gemacht? Und das obwohl er der miesepetrigste Mensch war, der ihr seid Ewigkeiten begegnet war.
Sie lächelte und richtete sich wieder in den Stand auf. "Und?"
"Was und?"
"Ja, und? Hast du auch einen Namen?" Sie zwinkerte ungeduldig.
Er sah wieder auf seine Hände herab. "Nein."
"Nein?"
"Nein!", erwiderte er nun mit Nachdruck.
Sie atmete tief durch. "Nun gut. Mysteriöser Unbekannter. Dann werde ich dich eben weiter so nennen."
Die Arme vor der Brust verschränkt entgegnete sie: "Wir tanzen jetzt."
Die Antwort kam wie aus der Pistole geschossen. "Ich tanze auf gar keinen Fall. Das können Sie gern weiterhin selbst tun, Miss."
Er hatte schon seit einer Ewigkeit - und mit Ewigkeit sind Jahre gemeint - nicht mehr getanzt. Das letzte Mal als Kind. Er hatte aufgehört die Tage im Gefängnis zu zählen, was auch der Grund dafür war, dass er keine Ahnung hatte, wie alt er eigentlich war. Alles was er wusste, war, dass es Winter war. Und, dass diese Frau offenbar vor hatte, ihn auf die Tanzfläche zu befördern.
Plötzlich packte sie ihn am Arm und zog ihn weg vom Tisch. Er hatte nicht mal genug Zeit, um sich auf den stürmischen Überfall vorzubereiten.

Und hier war er nun. In mitten lauter Menschen. Violet ihm gegenüber und sie schwang ihre Hüften.
Sie lächelte und griff nach seinen Händen. Die eine Hand legte sie in ihre, die andere führte sie zärtlich an ihren Rücken. Und auf einmal rückte sie näher. Er spannte sich sofort an.
Erst, als sie nach oben, in sein Gesicht blickte und ihn herzlich anlächelte, fing er an, sich zu entspannen.
Sie führte ihn. Machte einen Schritt in seine Richtung und er ging mit und ließ es einfach geschehen, dass diese Frau ihn tatsächlich zum tanzen brachte.
Sein Blick glitt über ihr dunkles Haar und ihre entblößten Schultern, ihre wohl geformten Brüste und die ausladende Hüfte unter dem violetten Kleid.
Er ließ ihre Hand los und griff fest um ihre Taille. Und dann führte mit einem Mal er.
Schmunzelnd blickte sie zu ihm empor und legte die Hände auf seine definierten Schultern. "Na siehst du. Geht doch."
Sie tanzten und er vergaß, seine Vorsätze, sein Vorhaben, seine Zukunft.

Und dann lagen seine Lippen auf den ihren. Er hatte keine Ahnung, wie das so schnell passiert war aber er tat gut daran, es einfach darauf zu schieben, noch nie in seinem Leben solche Berührungen gespürt zu haben. Sie schmeckte nach süßen Trauben. Er konnte nicht einmal sagen, woher er das wusste, denn Trauben gehörten nicht zu dem, was er Jahre lang zu essen bekommen hatte. Ihre Lippen waren so weich und er krallte sich in den Stoff ihres Kleides.
Sie löste sich kurz von ihm. "Lass und hoch gehen.", säuselte sie an seine Lippen.
Er nickte nur und ließ sich von ihr durch die Menge zur Treppe ziehen.


Light in ChainsWhere stories live. Discover now