#Mamihlapinatapai

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Das Wort beschreibt den Austausch der Blicke zweier Menschen, die sich beide wünschen, dass der andere sie anspricht, jedoch keiner von beiden dazu bereit ist, dies zu tun. (Das ist wohl die bestmögliche Übersetzung, da es kein deutsches Äquivalent dazu gibt.)

Dieses Wort stammt aus der Sprache der Yaghan und steht sogar im Guinness-Buch der Weltrekorde.


Hedda wanderte durch die dunkle Nachbarschaft, ihre Hände zitterten, jedoch nicht allein der kühlen Herbstbrise wegen. Sie verschnellerte ihren Schritt, zog ihren dünnen Schal bis unter die Nase. Die dunkelblonde junge Frau hasste es durch die Unterführung zu gehen, doch es ließ sich auf dem Weg zur Tankstelle nicht vermeiden und sie brauchte jetzt wirklich eine Zigarette. Oder auch zwei. Am späten Abend wirkte das flackernde Licht in der Unterführung viel unheimlicher als am Tage. Eigentlich konnte sich die 25-Jährige glücklich schätzen, dass es überhaupt Licht gab. Nichts desto trotz war sie erleichtert, als sie endlich den Ausgang erreicht hatte. Von hier waren es nicht mehr als zwei Minuten bis zu der Tankstelle, die das rettende Nikotin zu unverschämten Preisen verkaufte. Der Wind wehte um ihre Nase, sodass sich diese rot verfärbte und ihre Zähne klapperten. Ihre Kleidung war für eine kalte Nacht nicht gerade passend und doch wanderte sie damit draußen herum. Mit klammen Händen stieß sie die Tür der Tankstelle auf und ein helles Klingeln ertönte. Sie hasste dieses Geräusch, aber noch mehr hasste sie das fahle Licht von Tankstellen. Ohne Umschweife stapfte sie schnurstracks zur Kasse, um sich ein Päckchen Zigaretten vom Kassierer geben zu lassen. „Welche?", fragte dieser gelangweilt, ohne von seinem Handy aufzusehen. Wie unhöflich. Der Kassierer war Hedda sofort unsympathisch. „Pueblo", antwortete diese, bemühte sich nicht mehr um einen freundlichen Ton. Der fremde Mann legte sein Handy seufzend beiseite, um besagte Schachtel Zigaretten aus dem Regal hinter sich zu holen. Müde ließ er das Päckchen auf den Tisch fallen und forderte 6,50 € von der ungeduldig wartenden jungen Frau. Hedda kramte in ihrer Hosentasche nach Münzen, zählte kurz nach, bevor sie das Geld auf die Theke warf und sich mit hastigen Bewegungen die Zigaretten schnappte. Kurz bevor sie aus der Tür treten wollte hielt der Kassierer sie auf. „Moment, das ist zu wenig!", rief er Hedda hinterher. Mit einem energischen Augenrollen ging sie zurück an die Theke. „Sind sie zu blöd zum Zählen? Die Summe passt!", beschwerte sich Hedda wütend. Der Mann hinter der Theke tippte auf die Münzen vor ihm. „Es fehlen zwanzig Cent", sagte er mit ruhiger Stimme. Mit hochrotem Kopf musste Hedda feststellen, dass der Kassierer recht hatte und bereute ihre schroffen Worte. Wortlos fischte sie weitere zwanzig Cent aus ihrer hinteren Hosentasche und drückte sie dem jungen Mann in die Hand. Erst jetzt sah sich Hedda den Kassierer etwas näher an und dieser war überraschend gutaussehend. Für einen langen Augenblick sahen sich die beiden einfach nur in die Augen, ehe Hedda auf dem Absatz kehrt machte und beinahe schon aus der Tankstelle hinausrannte. Draußen angekommen zündete sie sich sofort eine Zigarette an, wagte es nicht sich noch einmal umzudrehen und machte sich auf den Heimweg.

Hedda konnte tun was sie wollte, doch der Zwanzig-Cent-Mann ging ihr nicht mehr aus dem Kopf. Seine stechenden, stahlgrauen Augen, sein dunkles Haar, welches ihm wirr in die Stirn hang. Er hatte zwar dunkle Ringe unter den Augen gehabt, doch Hedda musste selbst ähnlich fertig ausgesehen haben. In dieser Nacht schlief sie kaum, sondern fantasierte weiterhin über den Mann mit den unglaublichen Augen.

Seitdem kaufte Hedda ihre Zigaretten ausschließlich in jener Tankstelle, auch wenn sie nicht immer auf den Kassierer aus jener Nacht traf. Für ihre schnippische Reaktion würde sie sich noch immer am liebsten in den Arsch beißen. Der gutaussende Kassierer hatte diesen Vorfall nie angesprochen, genauso wenig wie Hedda, doch immer wenn sie den Laden betrat, schlich sich ein schiefes Lächeln auf seine Lippen und sein Blick haftete an der leicht reizbaren dunkelblonden Frau. Hedda selbst spürte ihren Kopf jedes Mal rot anlaufen, aber auch ihr Blick klebte an den faszinierenden Augen des anderen. Auch wenn dessen Gesicht oftmals von Müdigkeit gezeichnet war, sich dunkle Ringe unter seine Augen gelegt hatten, so nahm ihn das nicht sein umwerfendes Aussehen. Hedda war sich fast sicher, dass der Fremde eine Verehrerin an jedem Finger hatte, doch er machte nie Anstalten sich an Hedda heranzumachen - zu ihrem Wehleiden. Vielleicht war sie nicht sein Typ oder es lag an ihrem peinlichen Auftritt, den sie bei ihrem ersten Treffen hingelegt hatte. Sie traute sich nicht den Grauäugigen anzusprechen, von den Zigaretten abgesehen und stellte sich stattdessen oft an die Tankstelle um eine zu Rauchen. Dabei sah sie immer wieder verstohlen durch das große, verschmierte Fenster. Sie beobachtete den anderen dabei, wie er an seinem Handy spielte. Hin und wieder kam es vor, dass er unerwartet aufsah und den Blick der 25-Jährigen dabei auffing. Jedes Mal, wenn das passierte, breitete sich wieder das schiefe Grinsen auf seinem Gesicht aus. Dieses Lächeln ließ Heddas Kniee weich werden.

Am Sonntagabend, Hedda versuchte einfach nur die Nacht hinter sich zu bringen, verschlug es sie erneut in die schlechtbesuchte Tankstelle. Freudig stelle sie fest, dass der Mann mit den grauen Augen hinter der Kasse stand und, wie sonst auch, die Zeit mit seinem Handy totschlug. „Pueblo?", fragte er amüsiert, griff aber bereits nach der besagten Marke. „Ja", bestätigte Hedda mit einem schüchternen Lächeln und könnte sich gleichzeitig dafür schlagen. Sie legte ihm bereits die passende Summe auf die Theke, sie zählte lieber dreimal nach. Dankend nahm sie die Zigaretten aus der Hand des Mannes, bevor die beiden einen letzten vielsagenden Blick austauschten.

Am Tag darauf spazierte Hedda erneut voller Vorfreude durch die Tür der Tankstelle nur um betrübt festzustellen, dass der gutaussehende Mann mit den unfassbaren Augen nicht da war und er war es an keinem anderen Tag mehr seither.

Sie wusste nicht wo er war oder ob er jemals zurückkommen würde. Hedda wusste nicht einmal seinen Namen. Die junge Frau ging immer seltener in diese Tankstelle, bis sie es schließlich gänzlich vermied. Es war eine Schande, ihn nicht angesprochen zu haben und sie bereute es jeden weiteren Tag.

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