#Mizpah

23 3 3
                                    

Das Wort kommt aus dem Hebräischen und bedeutet wörtlich „Wachturm". Es beschreibt die tiefe Verbindung, die zwei Menschen zueinander empfinden und ganz besonders jener, die voneinander durch große Abstände oder gar dem Tod getrennt sind. Es gab auch sogenannten Mizpah-Schmuck, der für ein Paar angefertigt wurde. Meist war es ein Anhänger in Form einer Münze, die in einer Zickzack-Linie in zwei Teile geschnitten wurde, ganz ähnlich wie heutige Freundschaftsketten.



Der flackernde Kerzenschein rief urplötzlich alte Erinnerungen wach. Es waren Erinnerungen, die er beinahe vergessen hätte. Erinnerungen, an die er sich nicht erinnern wollte. Unter ihnen waren auch zweifelsfrei schöne, doch es schmerzte nur noch mehr, wenn ihm bewusstwurde, dass er all das verloren hatte. Hinzu kamen noch die schrecklichen, die grausamen Bilder in seinem Kopf. Der brennende Schmerz durchzuckte ihn aufs Neue und er konnte seine Tränen nicht länger unterdrücken.

Inzwischen war bereits so viel Zeit verstrichen, doch die Geister der Vergangenheit plagten ihn noch immer. Seine rechte Hand verkrampfte sich um die flauschige Decke, dessen weinrote Farbe in dem spärlichen Licht kaum auszumachen war. So viele gemeinsame Stunden hatten sie darunter verbracht. Ein weiterer Stich machte sich in seinem Herzen bemerkbar, beinahe so, als würde ihm jemand ein kleines Messer hineinrammen. Sein Atem setzte für eine Sekunde aus, Azure brauchte Zeit, um den Schmerz zu verarbeiten.

Manchmal meinte er, dass der Duft des Erdbeerblonden noch in den Fasern der Decke hing und er erwischte sich hin und wieder dabei, wie er jenen vermissten Duft beinahe schon zu inhalieren versuchte. Lächerlich, denn er war längst verflogen. Die unerträgliche Sehnsucht ließ ihn fantasieren und versetzte ihn mehr als nur einmal in alte Zeiten zurück. Er konnte einfach nicht vergessen, er würde es niemals können. Wie sollte er auch? Frank war ein so großer, so wichtiger Teil seines Lebens gewesen. Nein, nicht nur ein Teil. Frank war sein Leben gewesen. Das konnte man nicht einfach so aus dem Gedächtnis löschen, auch wenn er das wirklich gerne tun würde.

Seine Stirn legte sich in Falten, die Augen geschlossen, nur um festzustellen, dass die ungebetenen Bilder auf diese Weise nur noch klarer wurden. Azure ertrug diese elende Dunkelheit nicht mehr und entzündete eine weitere Kerze. Es schwang ein Hauch Romantik in den schimmernden Flammen, doch Azure war zu sehr in seinen wirren Gedanken versunken, als dass er es bemerkt hätte.

Die Berührung der weichen, geschwungen Lippen, die sich so oft auf die seinen gelegt hatten, wurde beinahe greifbar. Er hatte diese Lippen vergöttert. Schmunzelnd erinnerte sich Azure an den honigverschmierten Mund, mit dem ihm Frank nach seinem Geschmack immer viel zu nahegekommen war. Frank hatte Honig geliebt und sich nicht selten gehörig damit eingesaut. Der Dunkelhaarige selbst hatte das goldene Zeug schon immer verabscheut und hatte lieber etwas mehr Abstand zu seinem Freund gehalten, wenn dieser mal wieder freudig ein Honigbrot verputzte.

Natürlich hatte das Frank nur noch mehr angestachelt und hatte absichtlich viele klebrige Küsse auf Azures Wange verteilt, wenn dieser einmal nicht hingesehen hatte.

Es hatte den Erdbeerblonden so glücklich gemacht. Hätte Azure jetzt noch die Gelegenheit, dann würde er sich freiwillig mit unendlich Honigküssen eindecken lassen. Er wollte nur ein einziges, ehrliches Lachen sehen. Ein letztes Mal. Einen letzten Kuss. Einen letzten Augenblick.

Seit Frank nicht mehr war, hatte Azure selten gelächelt, er konnte sich nicht mehr über dieselben Dinge freuen wie früher einmal. Ganz besonders am Tage des Lichtfests wurde er immer wieder schmerzlich darauf hingewiesen, dass sein größtes Geschenk, seine einzige Liebe nicht mehr bei ihm war und es niemals wieder sein würde.

My Unconventional DictionaryWhere stories live. Discover now