C o n a l l

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Wenige Stunden später, noch vor Sonnenuntergang kamen wir in der nächsten Stadt an. Nottingham. Und wir schienen genau zur richtigen Zeit gekommen zu sein. Die Straßen waren geschmückt, die Menschen in Scharen unterwegs und von irgendwoher drang Musik durch die Gassen. Lyra setzte sich sofort auf und begutachtete staunend die Lichter und Dekorationen zwischen den Häuserwänden, während ich den Wagen hindurch lenkte.

Wir kamen auf einer kleinen Anhöhe aus und ich hielt den Wagen am Rande des Weges. Auf der Karte war keine Unterkunft zu finden und wenn wir nicht zufällig jemandem über den Weg liefen, der uns ein Gästezimmer anbot, würden wir die Nacht im Wagen verbringen müssen. Keiner von uns war von dem Gedanken sonderlich begeistert, aber wir hatten gewusst, dass es früher oder später dazu kommen würde. Bei den warmen Nächten die letzten Tage würde das auch kein großes Problem werden.

Ich stellte den Motor aus und ehe ich mich versah, war Lyra schon aus dem Auto gesprungen. Sie lief im Eilschritt los und ich brauchte einen Moment bis ich mich aus meiner verdutzten Starre gelöst hatte und ihr hinterher lief. Lyra hetzte den Hügel hinunter und wurde erst langsamer als wir endlich die kleinen Gassen der Stadt erreichten, die über und über mit Lichtern, bunten Bändern und Lampions geschmückt waren. Menschengruppen schlenderte umher, blieben an den Ständen an den Seiten stehen, kauften Sachen und gingen weiter.

»Wow«, entfuhr es mir und Lyra neben mir schien es ähnlich zu ergehen. Ihre Augen funkelten im Schein des schwummrigen Lichts und ihre Haare schimmerten in einem rötlichen Ton. Sie sah atemberaubend aus.

Wir liefen weiter, schoben uns zwischen den anderen hindurch, bestaunten dabei einen Verkaufsstand nach dem nächsten und folgten den leisen Klängen der Musik.

Unter uns die Pflastersteine, über uns die bunten Lampions und um uns herum Menschen, die das gleiche selige Lächeln auf den Lippen trugen wie wir. Sie schoben sich in Gruppen durch die Gassen und obwohl es so viele waren und die Gassen so klein, war es kein Gefühl des Gedränges. Mehr eine sanfte Strömung, von der man sich bereitwillig mitreißen ließ. Ein Gefühl der Sorglosigkeit.

»Hey, da müssen wir hin«, meinte Lyra mit einem Mal begeistert und zupfte am Ärmel meines Shirts. Ich schaute erst verdutzt auf ihre Finger und dann zu ihr und in die Richtung, in die sie deutete. Ich reckte den Kopf und erkannte zwischen den Wohnhäusern eine alte Kirche.

Unweigerlich verzog ich das Gesicht. Ich war vielleicht religiös erzogen worden, aber den christlichen Glauben hatte ich schon vor Jahren abgelegt. Ein weiterer Streitpunkt zwischen Dad und mir. Er hasste es, dass ich nie zu seinen Sonntagspredigten erschien.

Doch bevor ich etwas erwidern konnte, lief Lyra los. Und ich konnte nicht anders als mich von ihr mitziehen zu lassen. Zwar hatte sie meinen Ärmel wieder losgelassen, doch mein Körper folgte ihr auch so.

»Wow«, machte sie, als wir vor der Kirche ankamen. Ihre Türen standen weit auf und von innen schien Kerzenlicht nach draußen. Menschen traten ein, kamen heraus und grüßten sich gegenseitig. Es war ruhiger als auf den Straßen. Wir standen im Schatten der Häuser, die Musik war gedämpft und eine warme Brise ließ Lyra's Haare in der Luft tanzen.

In mir kämpfte sich die Hoffnung hoch, Lyra würde die Kirche nicht betreten wollen. Denn allein bei dem Gedanken bildete sich ein dicker Kloß in meinem Hals. Dabei war mein letzter Besuch in einer Kirche nur wenige Monate her. Nicht zum Beten, sondern weil Ma mich darum gebeten hatte. Es war Ostern gewesen und sie hatte sich gewünscht die ganze Familie in der Kirche bei sich zu haben. Das hatte ich ihr nicht abschlagen können.

Ich schluckte und sah die Fassade hinauf. Die Kirchenuhr war kaum zu erkennen, doch es musste kurz nach fünf sein.

Mein Blick sprang zurück zu Lyra, die vor den Treppenstufen stehengeblieben war und keine Anstalten machte nach drinnen zu gehen. »Willst du nicht rein?«, fragte ich und musterte sie amüsiert.

Smallest HeroesWhere stories live. Discover now