Kapitel 3: Das schöne, alte, gelbe Haus und was darin so vor sich geht

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Während Frau Held verzweifelt versuchte, ihren Bürostuhl wieder auf die richtige Höhe einzustellen, guckte das kleine Häufchen Elend sich im Büro um. Es war ein sehr großes, schönes Büro. Neben dem Sofa befand sich sogar ein alter Kamin. Der sah jedoch etwas baufällig aus, als ob der Weihnachtsmann da mal mit Karacho durchgeplumpst wäre. Das kleine Häufchen Elend hüpfte auf eine Trommel, die vor dem Kamin stand. „KLONK" – Mist das war laut. Vorsichtig schielte das kleine Häufchen Elend zu Frau Held rüber. Frau Held hatte es wohl aufgegeben, ihren Bürostuhl richtig einzustellen, denn sie saß jetzt an ihrem Schreibtisch, die Schreibtischplatte ungefähr auf Schulterhöhe. Sie versuchte konzentriert zu arbeiten aber dem kleinen Häufchen Elend entging nicht das kleine Grinsen, als sie merkte, dass das kleine Häufchen Elend sie in ihrer doch relativ unbequemen Arbeitsposition entdeckt hatte.

Das kleine Häufchen Elend fing an, sich wohl zu fühlen. „Was ist das hier eigentlich für ein Haus?" fragte es. Frau Held holte tief Luft und erklärte dem kleinen Häufchen Elend, was eine psychiatrische Tagesklinik ist. Das kleine Häufchen Elend verstand nicht unbedingt alles, aber im Großen und Ganzen ging es wohl darum, dass Leute, die Unterstützung brauchen und auch bekommen möchten, sich hier melden können und dann gemeinsam üben können, mit schwierigen Situationen umzugehen oder gute Situationen noch mehr genießen zu können. Das fand das kleine Häufchen Elend toll und es begann, Frau Held auch von seiner schwierigen Situation mit dem verflixten Schicksal zu erzählen.

Frau Held hörte geduldig und sehr verständnisvoll zu. Das kleine Häufchen Elend hatte sich noch nie so wichtig gefühlt und es war ein komisches aber auch gutes Gefühl zugleich. Es spürte förmlich, dass die Anspannung und der Druck wie Steine von ihm fielen und es mehr und mehr zur Ruhe kommen konnte.

Mit der Erleichterung kam auch Müdigkeit und ehe es sich versah, war das kleine Häufchen Elend auf dem Sofa eingeschlafen. Frau Held legte ihren Schal als Decke über das kleine Häufchen Elend, das jetzt friedlich schlief und gar nicht mehr so elendig aussah wie heute Morgen, als sie es auf dem Gehweg eingesammelt hatte. Sie ging zurück zu ihrem tiefergelegten Schreibtischstuhl und machte sich ein paar Notizen zum kleinen Häufchen Elend, bevor sie sich wieder den aktuellen Themen ihrer anderen Patienten zuwandte, und versuchte, für jeden Einzelnen einen Lösungsansatz zu finden. Hin und wieder schaute sie auf ihre Notizen und überlegte, wie sie dem kleinen Häufchen Elend wohl helfen könnte. Genauso wenig wie sie es heute Morgen auf der Straße hätte sitzen lassen können, konnte sie es jetzt ohne Unterstützung wieder gehen lassen. Das war einfach gegen ihre Natur.

Die Zeit verging, Patienten kamen und gingen und nur die wenigsten bemerkten die sanfte Bewegung des ruhigen Atems unter Frau Helds Schal. Das kleine Häufchen Elend verschlief Beratungsgespräche, das Mittagessen, die Visite und auch die Nachmittagsaktivitäten. Den Schlaf hatte es schon lange nötig gehabt. Jetzt hatte es endlich einen sicheren Ort gefunden, an dem es sich erlauben konnte, sich auszuruhen.

Kurz nach 16 Uhr weckte Frau Held das kleine Häufchen Elend, um ihm mitzuteilen, dass sie jetzt bald Feierabend machen und nach Hause fahren würde. Sofort stieg Panik im kleinen Häufchen Elend auf und diese stand ihm wohl auch ins Gesicht geschrieben, denn Frau Held beruhigte es direkt „Keine Sorge, du kannst gerne hier ihm Büro bleiben und am Donnerstag bin ich wieder da. Dann sehen wir weiter." Das kleine Häufchen Elend fand diesen Vorschlag äußerst zuvorkommend und bedankte sich vielmals. „Nichts zu danken!", sagte Frau Held, „Ich helfe gerne, wenn ich kann."


Das kleine Häufchen Elend - Band 1: Das kleine Häufchen Elend sucht ein ZuhauseWhere stories live. Discover now