Kapitel 12 - Das Lied vom Fluss

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Er war so wütend, dass er nicht einmal einschlafen konnte, als er endlich zu Hause im Bett lag, obwohl ihm übel war vor Müdigkeit. Nachdem er im Empfangsraum kurz nach dem Rechten gesehen und dann Djoras Scherben aufgewischt hatte, hatte er sich zwei Hände voll Wasser aus dem Löscheimer ins Gesicht geklatscht, versucht, einen kühlen Kopf zu bekommen.

Samalja war hereingekommen. „Du siehst müde aus", hatte sie gemeint und er hatte zurückgeschnappt: „Ich weiss!"

Dann hatte er sich übers Gesicht gefahren, sich daran erinnert, dass sie nichts dafür konnte, und hinzugefügt: „Bisschen wenig geschlafen die letzten Tage."

Sie legte fragend den Kopf schräg, als wartete sie auf eine Erklärung. „Ich habe doch gesagt, ich habe noch anderes zu tun", meinte er schulterzuckend und mit einem schiefen Grinsen.

„Übernimm dich nicht", sagte sie besorgt.

Er hätte am liebsten aufgelacht, winkte aber nur ab.

Dass er sich am Ende vielleicht wirklich selbst überschätzt hatte, wurde ihm klar, als er am Morgen die unterste Treppenstufe verfehlte, der Länge nach hinklatschte und sich einen Atemzug lang ehrlich wünschte, er wäre mit dem Kopf aufgeschlagen und bewusstlos geworden, weil er dann zumindest hätte schlafen können.

Er rappelte sich auf, aber schaffte es den ganzen Vormittag über kaum, Mira zuzuhören, als würden ihre Worte und Sätze ineinander verschwimmen, zu einem Grundton werden, der zwar angenehm zu hören war, aber ohne Inhalt, wie Wasserplätschern. Schliesslich kamen Kunden und er schlug eines der Bücher auf, die Mira ihm neu aus ihrer Bibliothek geholt hatte.

Das nächste, was er mitbekam, war, dass sein Gesicht an der bedruckten Seite plattgedrückt wurde. Erschrocken und benommen fuhr er auf. Wo war der Kunde? Alles drehte sich. Wie lange sah Mira ihn schon an? Verdammt. Er setzte zu einer Entschuldigung an, aber Mira schnitt ihm mit einer Handbewegung das Wort ab. „Geh hoch und leg dich eine Weile hin. Das ist effizienter als hier am Tisch zu schlafen."

Er war zu fertig, um zu widersprechen, stattdessen stolperte er die Treppe hoch, stiess die Türe eines der leeren Patientenzimmer auf und liess sich auf das Bett fallen, zu müde um auch nur die Schuhe auszuziehen.

Er erwachte erst wieder, als es bereits dämmerte, und brauchte mehrere Atemzüge, um zu begreifen, wo er sich befand, dass es Abend sein musste, nicht Morgen. Scheisse, hatte er jetzt den halben Tag verpennt? Ich muss ins Liliths, schoss ihm als nächstes durch den Kopf. Hastig rappelte sich auf.

Mira blickte auf von einem Notizbuch, als er in den Laden hinuntergestolpert kam. „Warum bist du neuerdings so müde?", fragte sie geradeheraus.

Ihm war klar, dass er ihr nichts vormachen konnte, und eigentlich hatte er auch keinen Grund dazu. „Ich habe die letzten Nächte gearbeitet", antwortete er ehrlich.

Sie nickte nur, hakte nicht nach, stattdessen meinte sie: „Es macht keinen Sinn, wenn du dich komplett um den Schlaf bringst, um hierher zu kommen."

„Tut mir leid", sagte er beschämt. „Ich dachte, weil es nur ein paar Tage sind..."

„Egal ob in ein paar Tagen oder meinetwegen Wochen", unterbrach sie ihn. „Komm wieder, wenn du ausgeschlafen bist, und vorher will ich dich hier nicht sehen. Verstanden?"

Er nickte nur.

Den halben Weg zum Liliths rannte er, trotzdem war er zu spät, und spätestens um Mitternacht hatte seine Laune einen Tiefpunkt erreicht, weil er nicht dazu gekommen war, etwas zu Abend zu essen, und sich deshalb fühlte, als wäre er dabei zu verhungern. Nachdem sein Magen mehrmals laut geknurrt hatte, steckte Ezali ihm irgendetwas aus den Vorratsschränken der Küche zu, was sicher nicht für ihn bestimmt war, aber sie versicherte ihm, dass sie keinen Ärger dafür bekommen würde.

Niramun III - Mit Faust und KlingeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt